Kontinuität oder Kurswechsel? Was von Kamala Harris als US-Präsidentin außenpolitisch zu erwarten wäre

Analyse

Es gibt wenige Anhaltspunkte dafür, wie Kamala Harris als mögliche US-Präsidentin ihre Außenpolitik gestalten würde. Ihre Zeit als Vizepräsidentin lässt jedoch zumindest Rückschlüsse zu, wie ihr Umgang mit China, dem Ukraine-Krieg und ihre Nahostpolitik aussehen könnten.

Foto von Kamala Harris
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Kamala Harris

Ist Kamala Harris eine Transatlantikerin? Wird sie die Ukraine weiterhin unterstützen, wie schon Joe Biden? Wie verpflichtet ist sie der multilateralen Ordnung? Welche Politik verfolgt sie gegenüber China? Diese und ähnliche Fragen werden sich erst in den nächsten Wochen und Monaten besser beantworten lassen, hat sich Kamala Harris doch einen Großteil ihrer Karriere vorwiegend innenpolitischen Themen gewidmet. 

Zwar hat Harris in ihrer Zeit als Vizepräsidentin mehr als zwanzig Reisen ins Ausland unternommen und Präsident Joe Biden bei wichtigen außenpolitischen Konferenzen wie etwa ASEAN vertreten. Ein eigenständiges außenpolitisches Profil aber hat sie sich nicht erarbeitet. Das ist jedoch auch der Tatsache geschuldet, dass sie als Vize dazu verpflichtet ist, die Agenda des US-Präsidenten umzusetzen. Die Ansichten ihrer außenpolitischen Berater*innen können dennoch Indiz dafür sein, was von ihr auf dem internationalen Parkett zu erwarten ist. 

Das Wichtigste zuerst: Mit Kamala Harris sind keine drastischen inhaltlichen Veränderungen in der US-amerikanischen Außenpolitik zu erwarten. Ihr außenpolitisches Personal der vergangenen Jahre kann der Schule des liberalen Internationalismus zugerechnet werden – die eine regelbasierte Weltordnung unterstützt und den außenpolitischen demokratischen Konsens in Washington D.C. weitgehend widerspiegelt. 

Ändern könnte sich mit einer Präsidentin Kamala Harris allerdings der Ton, mit dem sie Werte und Interessen der US-Amerikaner*innen im geopolitischen Kontext vertritt. Sie könnte auch bereit sein, zumindest kleinere Kurskorrekturen vorzunehmen bei Themen, die in der US-Gesellschaft anders diskutiert werden als vom außenpolitischen Establishment. 

Harris‘ derzeitiger nationaler Sicherheitsberater, Philip Gordon, war unter Barack Obama zuerst im US-Außenministerium für Europa zuständig und anschließend Berater und Koordinator der Nahost-Politik im Weißen Haus. Mit den US-Interventionen im Nahen Osten geht er in seinem Buch „Losing the Long Game: The False Promise of Regime Change in the Middle East” hart ins Gericht - auch mit denen seines ehemaligen Vorgesetzten Barack Obama. 

Rebecca Lissner, stellvertretende nationale Sicherheitsberaterin von Kamala Harris, sieht die USA in einer aktiven Rolle, eine offene Welt zu gestalten. Dabei sollten die Vereinigten Staaten aus Lissners Sicht weder auf nationalistische-isolationistische Reflexe setzen, noch in der Nostalgie und Illusion schwelgen, dass die USA die einzige Supermacht seien. Vor ihrer Beförderung zur stellvertretenden nationalen Sicherheitsberaterin war Lissner federführend für die Erstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie im Weißen Haus 2022 zuständig. 

Europäische Sicherheit & Unterstützung der Ukraine

Dass Kamala Harris nahtlos an Joe Biden, einen der letzten Transatlantiker der alten Schule, anschließen kann, davon ist wohl nicht auszugehen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat sie zwar über mehrere Jahre hinweg Amerikas „eisernes“ Bekenntnis zur NATO unterstrichen. Doch Kamala Harris blickt – auch aufgrund ihrer eigenen Geschichte -  mit anderen Augen auf die Welt, als es Joe Biden tut. Die aktive Gestaltung der transatlantischen Beziehung zu Europa spielt für sie eine untergeordnete Rolle, wenngleich Harris natürlich den Wert der Allianz sieht und versteht. 

Bisher war ihre Kommunikation rund um den Krieg in der Ukraine nahezu deckungsgleich mit der von Joe Biden – der den Krieg in den Kontext von Demokratie versus Autokratie stellte. Darüber, ob Harris mit ihren Ansichten über die Unterstützungsleistung der USA oder Wege aus dem Krieg vom offiziellen Kurs Bidens abweichen wird, kann daher nur gemutmaßt werden. Diese Fragezeichen zu Harris‘ transatlantischen Prioritäten und die bislang schwach ausgeprägten Beziehungen in die europäischen Hauptstädte bereiten einigen Beobachtern derzeit Unbehagen

So viel ist sicher: Egal, wer im November ins Weiße Haus einzieht, langfristig müssen die europäischen NATO-Mitgliedsstaaten sowie die Europäische Union mehr Eigenverantwortung für die Sicherheitsarchitektur über- und eine aktivere Rolle in ihrer Nachbarschaft einnehmen.

Nahostpolitik

Harris hat im März 2024 als eine der ersten hochrangigen Vertreterinnen der Biden-Regierung zu einem vorübergehenden Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas aufgerufen. In ihren Stellungnahmen hat sie sich zwar ganz klar auf die Seite Israels gestellt und die Unterstützung der USA bekräftigt. Andererseits aber kritisierte sie die militärische Vorgehensweise der israelischen Regierung in internen Gesprächen und bezeichnet die Lage in Gaza öffentlich als humanitäre Katastrophe. 

Hochrangige Berater, die ihre Funktion aufgrund von Bidens-Nahostpolitik niedergelegt haben, zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass Harris die Menschenrechte von palästinensischen Zivilist*innen mehr als Joe Biden ins Blickfeld rücken würde. Ob sie eine nuancierte Sprache findet, wird sich wohl schon in den nächsten Monaten im Wahlkampf zeigen, muss sie doch viele der progressiveren, jüngeren Wähler*innen in Swing States wie Michigan, Wisconsin und Georgia abholen, um zu gewinnen. 

Harris‘ Abstimmungsverhalten im US-Senat lässt darauf schließen, dass sie einer engen Zusammenarbeit mit Saudi Arabien kritisch gegenüber steht. So hat sie zum Beispiel gegen eine US-Unterstützung der Saudis im Jemen-Krieg gestimmt und Waffenlieferungen abgelehnt. Philip Gordon wiederum ist bekannt als Verhandler und Befürworter des Iran-Atomabkommens (JCPOA), das 2015 in Kraft trat, aus dem die USA 2018 unter der Präsidentschaft von Donald Trump jedoch ausstiegen.

China 

Harris hat sowohl als Senatorin als auch als Vizepräsidentin einen entschiedeneren Kurs der USA im Umgang mit China vertreten. Sie kritisierte zwar Trumps Handelskrieg und beurteilte seine Zölle als schädlich für die amerikanische Wirtschaft, unterstützt jedoch ganz klar die Politik des „de-riskings“. Als Senatorin setzte sie sich für Gesetze ein, die die Menschenrechte in Hongkong stärken und Sanktionen gegen Verantwortliche für Menschenrechtsverstöße in Xinjiang vereinfachen sollten. Auf Chinas Präsident Xi Jinping traf sie im November 2022 beim APEC Leaders Retreat. Dort plädierte sie dafür, sämtliche Kommunikationskanäle offen zu halten, um den Wettbewerb der beiden Länder verantwortungsvoll zu managen. Darüber hinaus hat Harris ihre Unterstützung für Taiwan deutlich gemacht, insbesondere vor dem Hintergrund wachsender militärischer Bedrohungen seitens Chinas. 

Lateinamerika 

Während ihrer Zeit als Vizepräsidentin wurden Kamala Harris von Joe Biden die Migrationsagenden anvertraut. In diesem Politikfeld hatte sie jedoch Schwierigkeiten, sich zu profilieren, und wurde sowohl von Republikanern als auch von progressiven Stimmen in der Partei attackiert. In der Folge verbrachte sie viel Zeit mit den politischen Vertreter*innen der zentralamerikanischen Regierungen. So lud sie zum Beispiel Guatemalas frischgewählten progressiven sozialdemokratischen Präsidenten Bernardo Arévalo in das Weiße Haus ein, um dessen Antikorruptions-Kurs angesichts der autoritären Regierung zu unterstützen. Harris insgesamt durchwachsene Bilanz in puncto Migrationspolitik dürfte ihr allerdings bei Latino-Wähler*innen nicht schaden: In der Vergangenheit hat sie von dieser Wählergruppe überdurchschnittlich viele Stimmen erhalten. Seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur haben sich bereits mehrere wichtige Latino-Organisationen für sie ausgesprochen. 

Indien 

Ihre indirekte Verbindung zu Indien mütterlicherseits hat Kamala Harris dazu veranlasst, als Senatorin die indische Regierung direkt zu kritisieren und sich zum Beispiel mit der Diaspora aus der Kaschmirregion zu treffen. Seit sie die Funktion der Vizepräsidentin einnimmt, ist von dieser Haltung allerdings nichts mehr zu sehen - zu wichtig ist Indien als Verbündeter gegen China geworden. Präsident Narenda Modi scheint ihr die vergangene Kritik nicht übel genommen zu haben, immerhin lobte er sie bei seinem letzten Staatsbesuch 2023.

Personalauswahl entscheidend 

Kamala Harris konnte in den vergangenen Jahren an der Seite von Joe Biden einige außenpolitische Erfahrungen sammeln. Da ihr Fokus jedoch viel stärker auf innenpolitische Themen gerichtet ist, würden viele der Leitlinien von Harris‘ Außenpolitik letztlich von ihrem Team erarbeitet werden. Spannend würde im Falle ihres Sieges, ob diese Stellen hauptsächlich von ehemaligen Biden-Verbündeten besetzt werden. Alternativ könnten neue Ansätze, wie zum Beispiel ein holistischeres Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik – verbunden mit den Themen Klima, Menschenrechte und Demokratie – den Weg zu ihrem Schreibtisch finden.