Was ist zu tun, um auch in Zukunft verlässliche und auskömmliche Renten zu sichern und die Finanzierung gerecht zu gestalten? Diese Frage wird politisch kontrovers diskutiert. Der Beitrag stellt sieben verschiedene Szenarien zur Reform der Rente vor.

Unter wiss. Mitarbeit von Dr. Magnus Brosig*
Sinkt das Rentenniveau weiter, könnten künftig mehr Rentner*innen auf ergänzende Sozialleistungen wie Grundsicherung im Alter oder Wohngeld angewiesen sein. Eine Analyse beschreibt diesen Trend als Entwicklung hin zur „Kombirente“ – mit negativen Auswirkungen auf die soziale Lage im Alter.
Szenario 1: Auf dem Weg zur Kombirente
Wie sich das Niveau der Altersrenten in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) entwickelt, ist für die Lebenssituation im Alter von größter Bedeutung. Angesichts der demographischen Veränderungen prägen Überlegungen zur Absenkung des Rentenniveaus die politischen Debatten. Folgt die Politik diesen öffentlichen Diskursen, wird ein Entwicklungspfad eingeschlagen, der hier als der «Weg zur Kombirente» bezeichnet werden soll. Auf diesem Entwicklungspfad kommen immer mehr Rentner*innen in die Lage, dass sie neben der GRV-Rente noch bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen in Anspruch nehmen müssen, entweder Grundsicherung im Alter oder Wohngeld.
Wir sprechen hier von der Entwicklung zur «Kombirente», weil für Personen mit niedrigeren Renten nur durch die Kombination zweier Sozialleistungsarten eine hinreichende soziale Sicherung gewährleistet ist. Diese Begrifflichkeit folgt dem in den frühen 2000ern intensiv diskutierten Modell des «Kombilohns». In Analogie zu erwerbstätigen Personen, die ergänzende Sozialleistungen beziehen, könnte man auch von «Renten-Aufstocker*innen» sprechen. Die Forderung nach Senkung des Rentenniveaus bewirkt letztlich eine Selbstschädigung: Der volle Effekt der Herabsetzung des Rentenniveaus trifft nicht die, die bereits in der Rente sind oder in den nächsten Jahren ihre Rente beantragen werden, sondern wird diejenigen treffen, die heute für die Herabsetzung eintreten.
Die normative Problematik dieser Entwicklung liegt darin, dass das Rentensystem für eine wachsende Zahl von Personen nicht mehr hinreicht, um ihr Leben oberhalb des Existenzminimums angemessen zu bestreiten. Erwerbstätigkeit und lange Zugehörigkeit zur GRV genügen nicht, ein Leben im Alter zu führen, ohne auf die Leistungen von Grundsicherungssystemen zurückgreifen zu müssen. Die Sozialversicherungen sollten aber gerade eine soziale Sicherung jenseits der Armutspolitik und deren Instrumenten gewährleisten – bei langer Zugehörigkeit. Die Legitimation der GRV beruht auf der Erwerbstätigkeit (ergänzt um Kindererziehung und Pflegeleistungen) als Grundlage des Erwerbs sozialer Rechte auf Alterseinkommen. Es handelt sich um soziale Ansprüche, die unabhängig von einer Notsituation, wie sie die Bedürftigkeitsprüfung identifiziert, bedient werden. Bei entsprechend langer Zugehörigkeit zur Rentenversicherung, sollten daraus im Regelfall Ansprüche erwachsen, die oberhalb des Existenzminimums liegen. Für niedrigere Renten und viele Erwerbsminderungsrenten wäre dies aber bei Absenkung des Rentenniveaus nicht mehr möglich. Dann bleibt nur der Weg zu einem zusätzlichen Antrag in Grundsicherungssystemen. Im Falle der weit verbreiteten Nichtinanspruchnahme der antragsbasierten Grundsicherungsleistungen entstehen dann neue Armuts- und Notlagen.
Die Diskussion um höhere Altersgrenzen wirft grundlegende Fragen zum Verständnis des Ruhestands auf. Während einige länger arbeiten möchten, sind andere auf einen frühzeitigen Ausstieg angewiesen. Eine pauschale Anhebung der Regelaltersgrenze wäre weder kurzfristig umsetzbar noch gerecht. Durch Freiwilligkeit und Anreize hingegen könnte die Erwerbstätigkeit im Alter weiter erhöht werden.
Szenario 2: Erweiterte Alterserwerbstätigkeit
In Diskussionen um die Erhöhung von Altersgrenzen werden auch gesellschaftliche Vorstellungen zur Altersphase verhandelt. Wird die Idee des Ruhestandes als Lebensabschnitt ohne Erwerbstätigkeit verstanden oder setzt sich verstärkt die Vorstellung des «Active Ageing» fort, in der Erwerbstätigkeit zur Norm wird? Während die Altersgrenze gerade für belastete Berufsgruppen häufig einen wichtigen Schutz bedeuten kann, sehen sich andere, insbesondere besser gestellte Beschäftigte mitunter durch ein starres Renteneintrittsalter ausgebremst. Es wohnt diesem Entwicklungspfad eine ausgeprägte Zweischneidigkeit inne: Geht es um freiwillige Erwerbstätigkeit, oder sind es gesetzliche Regeln oder gesellschaftlicher Druck, die zur Weiterarbeit nötigen?
Die weitere Heraufsetzung der gesetzlichen Regelaltersgrenze von 67 Jahren auf 68, 69 oder 70 Jahre ist für die nächsten Jahre keine geeignete Maßnahme – weder für eine kurzzeitig implementierbare Reform noch für eine Reform mit Wirkung in den nächsten Jahren. Wie die Herabsetzung des Rentenniveaus träfe auch die weitere Erhöhung der Regelaltersgrenze einen Teil jener Generationen, die die Rentenleistungen nun einschränken wollen, weil die Leistungen an die Babyboomer gehen. Diese Leistungseinschränkungen würden aber in den nächsten Jahren gar nicht wirksam. Die Babyboomer werden zu Bedingungen der aktuellen schrittweisen Anhebung der Altersgrenzen auf 67 bis zum Jahre 2031 in Rente gehen. Eine neuerliche Heraufsetzung der Regelaltersrente kann mithin frühestens 2032 in Kraft treten und müsste wiederum in Schritten erfolgen. Es ist demnach ein rein fiskalisches Argument, das eine weitere Erhöhung der Altersgrenzen unterstützen kann, kein Thema der Generationengerechtigkeit.
Es ist daher vor allem die Diskussion über die Erwerbstätigkeit im höheren Alter, insbesondere nach Überschreiten der Regelaltersgrenze, die im Hintergrund der Identifikation des Entwicklungspfades «Erweiterte Alterserwerbstätigkeit» steht. Wenn alles für die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit bis zur Altersgrenze und auch bei vorzeitigem Rentenbezug getan wird und somit auch durch Freiwilligkeit und Anreize die Fachkräftesicherung erreicht werden kann, fehlt es an Argumenten für eine Erhöhung der Regelaltersgrenzen aus Arbeitsmarktgründen. Es muss immer im Auge behalten werden, dass nicht jede Person in der Lage sein wird, im hohen Alter weiterzuarbeiten.
Ein alternativer Reformpfad zur „Kombirente“ zielt auf eine breitere Einbindung der Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung. Durch mehr sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit sowie die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamt*innen könnten die Beitragseinnahmen der GRV langfristig gestärkt und ihre Finanzierung gesichert werden.
Szenario 3: Der Inklusionspfad
Dieser Entwicklungspfad ist das Gegenbild zu einer Entwicklung zur Kombirente (vgl. Szenario 1). Es beschreibt eine Entwicklung, bei der die Rentenversicherung über mehrere Inklusionsschritte hinweg die gesamte Bevölkerung in Fragen der Alterssicherung, Erwerbsminderung und des Todesfalls sowie für das Risiko der Langlebigkeit versichern würde – und das auf der Basis einer Einbeziehung weitester Teile der Bevölkerung in die Erwerbstätigkeit. Entsprechend umfasst der Inklusionspfad zwei Formen der Einbeziehung von mehr Personen: Zum einen die Einbeziehung in die Erwerbstätigkeit, insbesondere in den Arbeitsmarkt für lohnabhängige Beschäftigung zur Erweiterung der Versichertenbasis der GRV und zur nachhaltigen Sicherung ihrer Finanzierung, zum anderen die Einbeziehung weiterer sozialer Gruppen in die Sozialversicherungspflicht, insbesondere sind Selbstständige und Beamt*innen zu nennen.
Die Inklusion in den Arbeitsmarkt ist auf gesetzgeberische Maßnahmen jenseits des Rentenrechts angewiesen. Sie erfordert Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, in Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie die weitere Verbesserung der Situation bei Kindertagesstätten sowie im Sozial- und Steuerrecht, um Fehlanreize gegen substanzielle Erwerbstätigkeit abzubauen. Als wichtige Ressource für die Verbesserung der Finanzsituation der GRV gilt auch die Zuwanderung. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist die entscheidende Größe für die GRV.
Die Ausweitung des Versichertenkreises in der GRV ist sicherlich die größte Möglichkeit der dauerhaften Erhöhung der Beitragseinnahmen. Das betrifft zwei Gruppen, die Selbstständigen und die Beamt*innen. Wenn man bei beiden Gruppen nur Personen die Versicherungspflicht auferlegt, die neu eine Tätigkeit als Selbstständige aufnehmen oder den Beamtenstatus erwerben, wird die Integration in die GRV zeitlich gestreckt und die Beiträge wachsen langsam auf. Dieser Beitragsüberhang hält ca. 30 Jahre an, wird aber oft nicht anerkannt und als bloße Zwischenphase bis zum Eintreffen erheblicher Ausgabeverpflichtungen bestimmt. Angesichts der demographischen Belastungen genau in diesem Zeitraum ist jede Beitragseinnahmenverbesserung der GRV, die auch mit Leistungsversprechen einhergeht, zu begrüßen.
Die gesetzliche Rentenversicherung behandelt alle Versicherten weitgehend gleich – unabhängig von Beruf, Herkunft oder Geschlecht. Doch unterschiedliche Lebenserwartungen und Risiken, etwa zwischen Berufsgruppen, werfen Gerechtigkeitsfragen auf. Vorschläge zur stärkeren Berücksichtigung beruflicher Belastungen oder anderer Benachteiligungen in der Rentenberechnung stoßen jedoch auf erhebliche praktische und rechtliche Hürden.
Szenario 4: Interne Differenzierung
Die Versicherten unterliegen in der GRV allesamt denselben Regeln, die durch Anwartschaftszeiten, Versichertenzeiten, Alter etc. geprägt sind. Es gibt in der GRV grundsätzlich keine Sonderregeln je nach Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft, nach Beruf, Tätigkeit, Qualifikation und auch nicht nach Religion oder Weltanschauung. Von den im Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetz genannten Merkmalen ist nur das Alter in der GRV relevant, weil an diesem Merkmal das Leistungsversprechen dieser Institution hängt. Die Altersgrenzen waren lange Zeit nach Geschlecht differenziert. Sonderregeln gelten heute nur in Abhängigkeit von der langjährigen Zugehörigkeit zur GRV und bei Schwerbehinderung sowie für Bergleute.
Das Wissen um die gruppenbezogenen Verteilungseffekte von rentenpolitischen Regelungen, die für alle Personen und Gruppen gleich sind, lässt immer wieder Forderungen nach Reformen auftreten, die gruppenbezogene Nachteile kompensieren sollen. Besonders häufig gilt dies für die Größe Lebenserwartung. Die unterschiedliche fernere Lebenserwartung nach Berufsgruppen (und Geschlecht und Einkommen) führt zu Überlegungen, ob man nicht im Sinne einer größeren Gleichheit und Gerechtigkeit die durchschnittliche Lebenserwartung einer Berufsgruppe in die Bestimmung der Rentenhöhe einbauen müsste. Schließlich werden bei der aktuellen Regelung Personen mit schwerer körperlicher Tätigkeit und geringerer Lebenserwartung benachteiligt. Ihre aufgrund geringerer Entgelte niedrigeren Renten haben eine weit kürzere Laufzeit als die Altersrenten von Personen in Berufen ohne besondere körperlich anstrengende Tätigkeiten, die zudem aufgrund besserer Bezahlung noch höhere Renten erhalten. Diese Benachteiligung auszugleichen, kann aus normativen Überlegungen durchaus einleuchten.
Voraussetzung einer solchen Regelung ist jedenfalls, dass ein System der Berufs- oder Tätigkeitsklassifikationen geschaffen oder genutzt werden kann, welches die Belastungsunterschiede halbwegs angemessen abbildet und nicht sofort vor Gericht landet. Zudem müsste dieses System auf den gesamten Erwerbs-Lebenslauf angewendet werden können. Je detaillierter die Differenzierung, desto mehr Problemfälle und Individualkonstellationen werden auftreten, die das Differenzierungssystem in Frage stellen und bis zu Grundsatzurteilen führen, die die Zielsetzungen der Differenzierung konterkarieren können. Wie z. B. verschiedene Berufstätigkeiten über das gesamte Arbeitsleben hinweg miteinander verrechnet werden sollen, wenn ganz unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt wurden, ist noch völlig unklar. Eine solche interne Differenzierung in der GRV nach Lebenserwartung und Beruf(stätigkeit) brächte mit Sicherheit sehr große administrative Belastungen mit sich und erzeugte viele Konflikte über die richtige Einstufung.
Die Umstellung von der Pflichtversicherung auf eine bloße Versicherungspflicht mit Opt-Out-Möglichkeit könnte die solidarische Grundlage der gesetzlichen Rentenversicherung gefährden, wenn diese Möglichkeit erweitert würde. Langfristig droht ein Entwicklungspfad, bei dem insbesondere gutverdienende Gruppen das System verlassen – mit weitreichenden Folgen für die Stabilität und Finanzierungsbasis der GRV.
Szenario 5: Leerlaufen der GRV
Eine Weggabelung zwischen Pfaden der Rentenentwicklung liegt dort, wo von der Pflichtversicherung auf die Versicherungspflicht umgeschaltet wird, um zunächst Selbstständigen Wahlmöglichkeiten zwischen GRV und anderen Absicherungsformen zu bieten. Pflichtversicherung besagt, dass alle Personen aus Gruppen, die als versicherungspflichtig definiert werden, auch in der gesetzlichen Sozialversicherung versichert sein müssen. Sie können die Versicherung in der GRV nicht vermeiden, es gibt keine Austrittsmöglichkeit. Versicherungspflicht heißt dagegen, dass Menschen, die als versicherungspflichtig definiert sind, entweder bei der GRV oder in einer anderen Versicherung versichert sein müssen. Sie dürfen nicht nicht versichert sein, aber es gibt Bedingungen, unter denen sie nicht bei derGRV versichert sein müssen: Sie müssen aktiv nachweisen, dass sie bei einem anderen Versicherer versichert sind, dann können sie bei der GRV die Opt-Out Option wählen und aus der dortigen Versichertengemeinschaft ausscheiden. Eine solche bloße Versicherungspflicht zerstört den Solidaritätszusammenhang der GRV und führt direkt zum Entwicklungspfad des «Leerlaufens der GRV».
Insbesondere gutverdienende Versicherte würden den Opt-Out-Weg beschreiten und zu privaten Versicherern wechseln, eventuell auch in Verträge, die nicht alle Risiken abdecken, so nicht das Risiko der Erwerbsminderung und des Todesfalls. Die hier beschriebene Tendenz entsteht, wenn eine Opt-Out-Option, nachdem sie zunächst für die Gruppe der Selbstständigen eingeführt wurde, Forderungen nach Umstellung auf die Versicherungspflicht auch bei anderen Gruppen auslöst. Schon unter den Selbstständigen ist ein Opt-Out-System eine «Risikoauslese zu Lasten des Solidarsystems» 1 und wird es mit der Erweiterung auf andere Versichertengruppen erst recht. Dieser Pfad stellt den größten Bruch mit den Traditionen der deutschen Rentenversicherung dar.
Zusätzliche kapitalgedeckte Elemente in der Altersvorsorge werden häufig gefordert – doch die Ausgestaltungsformen unterscheiden sich erheblich. Von Staatsfonds über betriebliche Altersvorsorge bis hin zu individuellen Kapitalkonten reichen die Konzepte. Besonders der Staatsfonds bietet einen hohen Sozialschutz, da er Kapitalmarktrisiken kollektiv abfedert.
Szenario 6: Zusätzlicher Ausbau der Kapitaldeckung
Die Forderung nach Ausbau der Kapitaldeckung ist weit verbreitet. Es gibt aber sehr unterschiedliche Formen eines solchen Ausbaus, daher muss zunächst identifiziert werden, was mit Kapitaldeckung jeweils gemeint ist. Denkbar sind Staatsfonds zur Stützung der GRV, wie mit dem «Generationenkapital» angestrebt, ein Ausbau der betrieblichen Alterssicherung mit überbetrieblich verwalteten Institutionen in Richtung einer obligatorischen zweiten Säule, der Umbau der staatlich geförderten Riester-Rente in der dritten Säule als private individuelle Alterssicherung entweder in Richtung Bürger*innenfonds oder in Richtung multifunktionaler Kapitalanlageformen mit deutlich vermindertem Sozialschutz und schließlich die Bildung von individuellen, fondsverwaltenden Kapitalkonten mit Wahlmöglichkeiten innerhalb der GRV auf der Basis eines zusätzlichen Pflichtbeitragssatzes.
Unter diesen Möglichkeiten bietet der Staatsfonds den höchsten Sozialschutz und bringt keine problematischen Nebeneffekte mit sich. Ein Aufbau eines Kapitalstocks wäre grundsätzlich hilfreich. Da hier die Kapitalmarktrisiken kollektiv getragen werden, ist diese Lösung bei weitem einer Bildung von individuellen Kapitelkonten mit Wahl der Fonds durch die Versicherten und entsprechender individuellen Risikotragung vorzuziehen.
Rentenpolitik folgt nicht immer langfristigen Strategien – oft bestimmen kurzfristige politische und wirtschaftliche Entwicklungen das Handeln. Der sogenannte Pfad der „Ad-hoc-Rentenpolitik“ beschreibt eine Vorgehensweise, bei der situative Entscheidungen im Vordergrund stehen. Angesichts zunehmender Unsicherheiten kann ein solches Vorgehen auch eine pragmatische Antwort auf komplexe Rahmenbedingungen sein.
Szenario 7: Ad-hoc-Rentenpolitik
Die Beschreibung möglicher Zukünfte darf nicht nur mit der Möglichkeit konsistenter Entwicklungspfade rechnen. Ökonomische Entwicklungen können sich in einer Richtung verstetigen, aber auch in eine andere Richtung umschlagen, disruptive Ereignisse im internationalen System sind nicht auszuschließen, politische Konjunkturen lösen sich sehr schnell ab, und Regierungswechsel tun ihr Übriges, um das Verfolgen eines Entwicklungspfades mindestens zu erschweren. Deshalb ist auch ein Entwicklungspfad in Rechnung zu stellen, welcher nicht von einer mittel- und langfristig durchgehaltenen Linie ausgeht, sondern ein Schwanken, ein Vor und Zurück, ein Lavieren zwischen verschiedenen möglichen Richtungen darstellt. Alterssicherung beruht auf diesem Entwicklungspfad auf Einzeleingriffen, die der jeweiligen Situation, speziell der Haushaltslage und den politischen Konstellationen geschuldet sind. Da kurzfristig und situativ angelegte Überlegungen im Vordergrund stehen, soll dieser Pfad als «Ad-hoc-Rentenpolitik» bezeichnet werden.
Der Entwicklungspfad der «Ad-hoc-Rentenpolitik» wird erst dann eingeschlagen, wenn über einen längeren Zeitraum immer nur situativ entschieden wird. Die Politik folgt der jeweiligen Lage der Rentenfinanzen und des Arbeitsmarktes sowie der Steigerung von Löhnen und Preisen, aber auch den durch aktuelle Migrationsbewegungen bedingten Verschiebungen in der demographischen Entwicklung. Ausschlaggebend für die Reaktionsweisen auf die jeweilige Situation sind die politischen Konstellationen, insbesondere zwischen Regierung und Opposition, aber auch innerhalb der Regierungsparteien, sowie die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Geschichte der Alterssicherungspolitik zeigt, in welchem Ausmaß die jeweiligen Akteurskonstellationen rentenpolitische Entscheidungen prägen.
Solche Ad-hoc-Rentenpolitik ist keineswegs per se als ‹Versagen› oder ‹Unfähigkeit› der Politik zu interpretieren. Eine längerfristige Politik müsste annehmen können, dass die in den letzten Jahren ja häufiger auftretenden Krisen, die sich zu «Polykrisen» verdichten können, nicht ein Ausmaß erreichen, dass sie Trends der Modellrechnungen grundlegender verändern. Die Zahl der zu berücksichtigenden Parameter ist so groß, dass auch Modellrechnungen mit Varianten nicht alle Lagen der Rentenfinanzen, des Bundeshaushaltes, der Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung, der Migrationsbewegungen, ja selbst der Entwicklung der ferneren Lebenserwartung und der Bevölkerungsgröße einbeziehen können, mit denen sich Politik in einer konkreten Situation auseinandersetzen muss. Daher kann es politisch sinnvoll sein, eher kurzfristig zu agieren, aber so, dass auf Fälle von Trendumkehr oder Verschiebung in den Größenordnungen von Trends noch rechtzeitig reagiert werden kann.
*Dieser Text ist im Wesentlichen ein Auszug aus der Studie „Rente mit Zukunft. Reformszenarien der Alterssicherung“ von Prof. Frank Nullmeier unter wiss. Mitarbeit von Dr. Magnus Brosig, im Auftrag und herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung im März 2025.
Fußnoten
- 1
Ulber, Daniel 2023: Mindestabsicherung von Selbstständigen in der Rentenversicherung. Rechtsgutachten. Haus der Selbstständigen, Berlin, Leipzig, Köln, Hamburg, S.57