Mit dem Kommunalpolitiker Jonas Löschau sprach die Journalistin Laura E. Ewert.
Heinrich-Böll-Stiftung: Wie lange sind Sie schon in der Kommunalpolitik?
Jonas Löschau: Ich bin vor fünf Jahren in den Kreistag von Bautzen gewählt worden. Ich habe die erste Fridays For Future Demo in Bautzen organisiert. Vor vier Jahren kam noch das Stadtratsmandat in Bautzen dazu. Seitdem bin ich noch ein bisschen sichtbarer unterwegs.Vor allem für junge Menschen in der Region. Weil deren Repräsentanz eher schlecht ist in den politischen Gremien. Und kümmere mich vor allem um soziale Themen, um die soziale Infrastruktur, Jugendsozialarbeit zum Beispiel. Demokratieförderung, Kultur und Bildung, das sind so die Themen.
Warum haben Sie sich für die Kommunalpolitik entschieden?
Ich bin 2019 eher unerwartet in den Kreistag eingezogen, damals habe ich vor allem kandidiert, um ein paar wenige Stimmen zu sammeln und unser grünes Ergebnis zu verbessern. Im Nachhinein bin ich enorm dankbar dafür, dass es geklappt hat, weil man in einem kommunalen Gremium in sehr kurzer Zeit enorm viel Neues lernen und verstehen kann - unter anderem, wie komplex viele Probleme schon auf kleinster Ebene sind. Da blieb vom anfänglichen Optimismus und Tatendrang nicht viel übrig. Trotzdem findet man Möglichkeiten und Stellschrauben. Ansonsten versucht man, außerhalb des Rates etwas anzuschieben, mit den vielen tollen Menschen, die man kennenlernen darf. Das bereichert unglaublich.
Wie sind die Grünen aufgestellt in der Region?
Im gesamten Landkreis gibt es 100 Mitglieder auf ungefähr 300.000 Einwohnerinnen. Aber im letzten Jahr sind viele neue Leute dazugekommen, Menschen mit Ambitionen, die Bock haben, etwas zu bewegen. Die Demos im Januar und Februar haben noch mal neue Menschen zu uns gebracht. Und auch nach den Wahlergebnissen von letzter Woche, gibt es wieder den Effekt, dass Leute sagen, jetzt ist Zeit, sich für die Demokratie zu engagieren. Und das gibt natürlich Rückenwind.
Wo haben Sie mit Anfeindungen zu tun?
Ich bin noch in einer einigermaßen privilegierten Position. Ich glaube, Frauen sind von diesem Hass mehr bedroht. Da ist die Hemmschwelle geringer. Meine Kollegin hatte mit Morddrohungen per Brief und auch Anrufen zu kämpfen. Gerade im letzten Jahr hat sich das Klima in Bautzen – wie in wahrscheinlich vielen anderen Orten auch – noch mal stark verändert. Die Präsenz von Rechtsextremen hat deutlich zugenommen, die auf Demos und Veranstaltungen Leute gezielt bedrohen. Und das betrifft auch mich, wenn ich im Stadtbild unterwegs bin. Ich kann es schwer trennen, ob die Leute mich anpöbeln, weil ich lackierte Fingernägel habe und nicht ganz so heteronormativ aussehe oder ob es wegen meines Engagements ist.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Vor einem halben Jahr auf einer Demo hat jemand meine Regenbogenflagge bemerkt und meinte dann: „Dich zünde ich an! Du brennst bestimmt gut.“ Vor drei Wochen kam jemand auf mich zu, der meinte „Du organisierst doch den CSD, wir sind auch da und sorgen dafür, dass es der letzte sein wird.“
Wie reagieren Sie dann?
Also ich reagiere eher mit Lachen, das überspielt die Gefühle, aber ich finde solche Drohungen auch armselig. Wie armselig es ist, jemanden anderen aufgrund seiner Herkunft oder seiner Hautfarbe oder seiner vermuteten Orientierung zu beschimpfen. Man realisiert erst im Nachhinein, was da gerade passiert. Man darf es nicht zu nah an sich herankommen lassen.
Seit wann nehmen Sie eine Veränderung wahr?
Seit den letzten zwei, drei Jahren. Sie bauen Strukturen und Präsenz auf. Es gibt gerade am Rand der Montagsdemonstrationen Gruppen, die sich seit einem Jahr viel stärker formieren. Doch im letzten Jahr gab es auch einen Zuwachs an zivilgesellschaftlichem Engagement. Wir hatten den ersten CSD, drei große Demos gegen Rechtsextremismus. Wir machen Kulturveranstaltungen jeden Montag, die „Happy Mondays“, um ein positives Zeichen zu setzen. Und die werden permanent begleitet von den Rechtsextremen, die versuchen, Leute einzuschüchtern.
Wie sieht das aus?
Auf den Montagsdemos werden zum Beispiel, Leute, die sich in Bautzen engagieren, Journalistinnen oder Politiker regelmäßig „outgecalled“. Da werden Namen, teilweise auch Adressen veröffentlicht und es wird zur Gewalt gegen sie aufgerufen. Da werden Menschen öffentlich an den Pranger gestellt. Die Fraktionsvorsitzende der CDU aus der Stadtratsfraktion musste sich jetzt mehrmals öffentlichen Angriffen von der Jungen Alternative stellen.
Gibt es einen fraktionsübergreifenden Zusammenhalt, was diese Thematik angeht?
Auf alle Fälle. Generell arbeiten wir in der Stadt sehr gut zusammen. Bei wichtigen Themen sitzen wir gemeinsam an einem Tisch oder unterstützen die Zivilgesellschaft. Man trifft sich, wenn es darum geht, eine Demo oder eine Veranstaltung zu organisieren. Und das hilft natürlich, dass man sich gegenseitig den Rücken stärkt, um das Engagement von den Vereinen und von der Straße zu unterstützen.
Und gibt es Strategien, wie man sich schützt?
Das wird in den nächsten fünf Jahren eine Aufgabe, darüber nachzudenken, wie wir präventiv dieser Drohkulisse und dem Hass begegnen können und welche Projekte wir auflegen, die Kommunalpolitiker gegen Hass und Angriffe schützen können. Die kandidierenden Frauen haben sich bereits untereinander vernetzt. Und man überlegt sich auch, wann man vom Einkaufen zu Fuß nach Hause geht, versucht, nach Veranstaltungen mit Menschen unterwegs zu sein, sich gegenseitig nach Hause zu bringen, auch wenn es nur 500 Meter sind, einfach weil man nicht wissen kann, was passiert. Angriffe und Übergriffe auf Menschen sind in der Region ein Thema und deswegen überlegt man sich, wie man damit umgeht.
Welche Ideen haben Sie schon entwickelt?
Es ist wichtig, diese Fälle zur Anzeige zu bringen. Ich zögere da selbst auch oft ein bisschen, spiele Situationen für mich herunter. Aber alles, was in irgendeiner Art und Weise ein Übergriff, ein Angriff oder auch eine Bedrohung ist, sollte zumindest zur Anzeige gebracht werden. Ich habe im direkten Umgang mit der Polizei gute Erfahrungen gemacht. Ich kann aber auch verstehen, wenn sich einige Leute nicht darauf verlassen, dass sie von der Polizei alleine geschützt werden. Da hat die Polizei eine Aufgabe, dieses Vertrauen in einigen Teilen der Bevölkerung wieder zurück zu erarbeiten.
Worin sehen Sie die Gründe für den Anstieg von Hass und Gewalt?
In Bautzen führen die Corona-Demos, die seit vier Jahren stattfinden, dazu, dass Rechte sich vernetzt, aber auch weiter radikalisiert haben. Seit einem Jahr hat sich dieser Jugendblock in Bautzen gebildet, der im Verfassungsschutzbericht auftaucht. Der Grund dafür sind meiner Meinung nach mangelnde politische Bildung, die vom Elternhaus oft einfach nicht gewährleistet ist und in der Schule zu wenig stattfindet. TikTok und die Entwicklung der sozialen Medien in den letzten Jahren ist auch ein großer Faktor. Die riesige Reichweite, die mediale Hetze, egal ob gegen People of Color, gegen Geflüchtete, gegen Schwule, gegen Transmenschen, gegen Grüne – alle, die in irgendeiner Art und Weise progressiver sind. Und auch die Weltlage, viele Sachverhalte, die schwer zu erklären sind, die einem Angst machen, sind ein Faktor. Das ist auch nachvollziehbar, aber sich in starken Gruppen zusammenzurotten und als gemeinsames Merkmal auszumachen, dass man alle Ausländer und Schwulen hasst, das ist auch keine Lösung.
Wie kann man sich gegenseitig Mut machen?
Gerade in dieser Zeit und gerade an Orten wie diesen, wo man selbst häufig einfach noch nicht stark genug ist, dagegenzuhalten, muss man sich vernetzen. Die Grünen liegen bei drei bis fünf Prozent, da ist es umso wichtiger, sich mit den anderen Parteien, mit der Zivilgesellschaft zusammenzutun und gemeinsam zu überlegen, was man bewegen kann. Räume schaffen, Inseln des Positiven. Wir haben Kulturveranstaltungen, bei denen Chöre singen, Bands spielen, wo sich verschiedene Vereine präsentieren. Dort kann man sich treffen, sich austauschen, Spaß haben und das ist extrem wichtig, um die Zuversicht nicht zu verlieren. Wir dürfen auch nach der Europa-Wahl die Zuversicht nicht verlieren. Es wird hart, aber jetzt machen wir erst recht weiter.