Gewappnet gegen Bedrohungen aus der Reichsbürgerszene

Interview

Mit dem Kommunalpolitiker Stephan Eiklenborg sprach die Journalistin Laura E. Ewert.

Lesedauer: 7 Minuten

Stephan Eiklenborg

Stephan Eiklenborg, 56, ist seit zehn Jahren parteiloser Bürgermeister in Sande, Friesland. Als ehemaliger Bundespolizist ist er es gewohnt, gegen Angriffe gewappnet zu sein.

Heinrich-Böll-Stiftung: Wie sind Sie in die Kommunalpolitik gekommen? 

Stephan Eiklenborg: Ich war daran interessiert, wie Gesellschaft funktioniert. Und durch meinen Beruf, 1986 habe ich beim Bundesgrenzschutz angefangen, hatte ich die deutsch-deutsche Grenze immer vor Augen. Am Tag der Wiedervereinigung, war ich im Reichstag eingesetzt. Das hat mich total fasziniert. Als Familienvater wurde ich dann Vorsitzender des Schulelternrats und damit hat es angefangen. Der Schulleiter war in der SPD und hat mich gefragt, ob ich nicht eintreten will und das habe ich gemacht, das war 2004. 2007 habe ich meine jetzige Frau auf einem SPD-Seminar kennengelernt, bin mit ihr hierhergezogen und wir beide haben dann als Vorstand den Ortsverein geführt. Mir hat immer gefallen, mitreden und auch Einfluss haben zu können.

Was sind Ihre Themen?

Meine Themen als Bürgermeister sind, dass die Basics funktionieren. Straßen müssen gemacht werden, Schulen müssen auf Stand sein. Die Kanalisation, Abwasser, Regenwasser muss auf Stand sein. Dann kann man sich mit den schönen Themen beschäftigen. Was ich hasse ist, sich über Bonbons zu unterhalten, wenn kein Brot mehr da ist. Das ist das Dilemma, was wir oft haben, dass man zu viel mit Nebenkriegsschauplätzen beschäftigt ist und unheimlich viel Energie reinsteckt und so das Wichtige übersieht.

Es gibt ja immer öfter das Problem, dass Bürgermeister-Ämter nicht mehr besetzt werden können, weil keiner den Beruf ausüben möchte. Wie würden Sie für die Kommunalpolitik werben?

Ich mache das hauptberuflich und das ist kein Job wie jeder andere. Ich neige nicht dazu, so zu tun, als sei das alles nur leicht und lustig, es hat sehr tolle Erfolgsmomente und es hat auch sehr kritische Phasen. Das Amt ist eine tolle Herausforderung, der man sich aber auch stellen wollen muss. Es ist was für Überzeugungstäter.

Sie sind seit zehn Jahren Bürgermeister – allerdings parteilos. 

Ja. Ich habe es damals riskiert, auf eigene Kosten gegen den Amtsinhaber (ebenfalls SPD) zu kandidieren, der 13 Jahre lang im Amt war, weil ich gesehen habe: Hier passiert wenig von dem, was passieren muss, wir gehen immer weiter in die Krise. Damals war ich noch Mitglied der SPD. Ich war auch in der Fraktion, saß im Rat, aber als klar wurde, dass ich Bürgermeister werden möchte, da sind bei einigen Damen und Herren in der Partei die Nerven durchgebrannt. Aus irgendeinem Grund hat man versucht, meine Kandidatur zu verhindern.

Und dann sind sie aus der SPD ausgetreten?

Dann wurde es menschlich unschön und ich bin ausgetreten. Ich habe dann den Wahlkampf selber finanziert und bin parteilos angetreten. Und ich habe den Leuten auch vor der Wahl gesagt, was ich denke. Zum Beispiel haben wir drei Grundschulen – eine gute ausgebaute Schule würde reichen. Wir haben zu wenig Kinder, wir haben zu wenig Lehrer, wir haben kein Geld, um nachhaltig die Schulstruktur zu finanzieren und zu stabilisieren. Das Ansinnen wurde natürlich versucht, gegen mich im Wahlkampf einzusetzen. Die Leute haben mich trotzdem gewählt, mit fast 60 Prozent. 

Und sind die Schulen noch da?

Ja, denn der Rat hat nicht zugestimmt. Wir haben dann in den letzten 10 Jahren mehrere 100.000 Euro investiert und die Finanzlage ist immer schlechter geworden. Insofern ist es dann auch kein Spaßfaktor, dieses Amt zu führen, man verwaltet Mangel. Aber wenn man dann trotz Mangelverwaltung immer mal wieder gute Sachen durchsetzen kann, macht es Spaß. Viele Bürger sprechen einen auch direkt an und sagen, dass man wieder kandidieren soll. Man bekommt also auch positives Feedback. Viele sehen, in was für einer Spannungslage sich dieses Amt befindet. Auf der einen Seite zerrt der Rat, auf der anderen Seite zerrt die Öffentlichkeit und dann zerrt auch die eigene Mitarbeiterschaft, die zurecht ebenfalls Ansprüche hat.

Hat sich die Stimmung in der Bürgerschaft in den letzten Jahren verändert? 

Insgesamt merkt man, dass die Distanz zwischen Bürgern und Bürgermeistern oder Mandatsträgern weniger wird, was ja an sich nicht verkehrt ist. Doch es wird oft nicht genutzt, um konstruktiv zu sein, sondern um zu pöbeln oder Frust loszuwerden. 

Wo sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung

Wir haben seit vielen Jahrzehnten, auch wenn einige Leute etwas anderes behaupten, gesellschaftlich ein Wohlstandsniveau, das sich andere Länder nur wünschen können. Das führt aber nicht dazu, dass die Leute Zufriedenheit, sondern eher dazu, dass sie Verlustängste entwickeln. Und ich glaube, diese Angst, dass man absteigt, diese Angst der Mittelschicht nach unten wegzurutschen, ist eine Gefahr. Da muss Politik aufpassen, dass jeder seine Chance hat. Sollte das nicht so sein, sollten irgendwann immer mehr Leute zwei Vollzeitjobs brauchen, um in den urbanen Gebieten überhaupt noch über die Runden zu kommen, müssen die etablierten Parteien das in den Fokus nehmen und sich darum kümmern. Aber die Bürger müssen auch die Chancen, die Ihnen gegeben werden, nutzen. Die Leute sind auch oft ziemlich uninformiert und haben nicht das Rüstzeug, einfache und populistische Parolen zu erkennen und diesen etwas entgegen zu setzen. Sie folgen lieber den Emotionen als dem Verstand. Und das kann es für jeden Staat gefährlich werden. 

Inwiefern sind Sie persönlich betroffen?

Ich habe etwa einen mehrere Seiten langen Brief von einer Bürgerin bekommen, in dem sie mir mit einem ordentlichen Militärgericht drohte, wo ich mich dann zu rechtfertigen hätte und wo ich dann meiner Strafe zugeführt würde. Das habe ich dann zur Anzeige gebracht, die Polizei nimmt das ernst. Aber die Staatsanwaltschaft war der Meinung, es würde nicht ausreichen, um einen Straftatbestand zu erfüllen. Wichtiger ist aber, dass diese Vorkommnisse polizeilich registriert sind. Denn irgendwann kommt es vielleicht zu einer Eskalation von derselben Täterperson und dann ergibt sich ein anderes Gesamtbild.

Die Angriffe kamen aus der sogenannten Reichsbürger Szene?

Ja. Ich weiß, dass auch die Mutter der Verfasserin in der Szene aktiv ist. Und ein Bekannter, der dazu recherchierte, hat mir mitgeteilt, dass in einer Telegram-Gruppe der Szene dieser Fall besprochen wurde. Da sind auch Forderungen gefallen wie den Staat abzuschaffen. Es ist unheimlich wichtig, dass der Staat da aufpasst. Diese Kräfte sind entschlossen, wenn es darum geht, Einfluss zu nehmen. Und dass vor Gewalt nicht zurückgeschreckt wird, ist bekannt.

Bei den Reichsbürgern wurden zudem Waffen gefunden. Wie schätzen Sie die Bedrohungslage für sich ein?

Da ich in meinem Berufsleben immer unterschwellig damit rechnen musste, dass die Situation eskaliert, bin ich im Kopf anders aufgestellt. Wenn hier plötzlich jemand reingestürmt kommt, ist für mich klar, es könnte theoretisch gefährlich werden. Man ist ausgebildet, man hat die eine oder andere Kompetenz, damit umzugehen. Es ist jetzt nicht so, dass man Angst hat, ich gehe nicht davon aus, dass sowas passiert. Aber man ist schon sensibilisierter.

Wissen Sie, warum Sie in den Fokus der Reichsbürger geraten sind?

Das war ein ganz konkreter Anlass. Da ging es um eine Vollstreckung von Gebühren und die betreffende Person wollte nicht zahlen. 

Erleben Sie Solidarität bei Kolleginnen und Kollegen?

Kommunalpolitiker, die Ehrenamtsmandate haben, das sind hier 22 Ratsfrauen und -herren, werden über Social Media auch durchaus mal angegiftet. Die wissen also, wie sich sowas anfühlt. Und von daher ist da auch die Solidarität da. Bei den anderen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen ist das Verständnis sowieso vorhanden.

Was ist Ihr Lösungsansatz?

Im Gespräch bleiben, das ist auch ein Training für einen selbst. Man darf laut sagen, was man denkt, aber man muss immer in der Lage bleiben, zuzuhören, was der andere sagt. Wenn das nicht mehr stattfindet und wenn eigene Fehler nicht erkannt werden, ist das eine Entwicklung, die insgesamt nicht gut ist. Niemand ist perfekt, und einfache Lösungen gibt es in der Regel nicht. Es braucht auf allen Seiten Kommunikationsbereitschaft.