„Es ist ja nicht der Sinn von Kommunalpolitik, nichts zu sagen“

Interview

Mit dem Kommunalpolitiker Nima Lirawi sprach die Journalistin Laura E. Ewert.

Lesedauer: 6 Minuten

Nima Lirawi

Nima Lirawi, 36, ist Kommunalpolitiker in München – Bezirk Neuhausen-Nymphenburg - in Bayern und hat seit über zehn Jahren mit Drohungen gegen seine Person zu kämpfen.

Heinrich-Böll-Stiftung: Wie lange sind Sie schon in der Kommunalpolitik aktiv?

Nima Lirawi: Ich bin seit 2008 dabei, früher als Sozialdemokrat, dann parteilos und heute bin ich Mitglied der CSU und Bezirksausschussmitglied in Neuhausen-Nymphenburg. Meine Themen sind Bildungs- und Sozialpolitik, Verkehrspolitik, Integration, Migration und Rechtsextremismus. Seit 2023 bin ich Mitglied des Münchner Migrationsbeirats.

Wie sind Sie von der SPD zur CSU gekommen?

Ich hatte den Eindruck, dass die Sozialdemokratie Themen, die mir besonders wichtig sind, nicht mehr abdeckt. Ich halte es zwar für wichtig, dass es in Deutschland eine Sozialdemokratie gibt, in der Zwischenzeit haben sich aber auch meine persönlichen Ansichten verändert. Für mich bietet die CSU eine bürgernahe, pragmatische Politik im Bereich der Infrastruktur-, Sicherheits-, Innen- und Kommunalpolitik. Sie hat trotzdem die Sozialpolitik und Digitalpolitik stark im Fokus.

Was war Ihre Motivation, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren?

Gerade auf der kommunalen Ebene hat man die Möglichkeit, aktiv im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger gestalten zu können. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass es oft zähe Kämpfe mit der Verwaltung und juristischen Regelungen sind. Man kann aber doch etwas Sinnvolles für die Menschen vor Ort erreichen. Daher ist es wichtig, dass sich die Bürgerschaft verstärkt in der Politik einbringt.

Erfüllen Sie aktuell Ämter?

Im Bezirksausschuss bin ich Beauftragter gegen Rechtsextremismus und Wirtschaftsbeauftragter und im Migrationsbeirat leite ich den Bildungsausschuss.

Wie erleben Sie die aktuellen Drohungen gegen Kommunalpolitikerinnen und -politiker?

Ich habe in den letzten Jahren alle möglichen Anfeindungen bekommen. Mir wurde auch mal von hinten auf den Kopf geschlagen. Ich wurde „steckbrieflich“ gesucht. Das heißt, meine Adresse und Handynummer wurden im Internet veröffentlicht. Ich bekomme anonyme Droh-E-Mails, etwa von "Adolf Hitler" unterzeichnet, da steht dann drin, dass ich in ein KZ deportiert werden sollte. Ich wurde auch mal von einem Rechtsextremisten auf dem Weg nach Hause verfolgt. Da bin ich dann zur Polizei abgebogen. Er hat irgendwann gemerkt, in welche Richtung ich gerade laufe und ist umgedreht.

Haben Sie all das zur Anzeige gebracht?

Ja, der Täter, der mir auf den Hinterkopf geschlagen hat, wurde verurteilt. Eine rechtspopulistische Person, die versucht hat, ein Gespräch zwischen mir und der Polizei aufzuzeichnen, wurde ebenfalls verurteilt.

Würden Sie sagen, dass Ihnen die Behörden geholfen haben?

Auf jeden Fall, es gab auch mal Durchsuchungen von Servern oder meine Adressdaten wurden gesperrt. Ich kann wirklich nur an Betroffene appellieren, sich an die Sicherheitsbehörden zu wenden.

Wie erklären Sie sich diese Anfeindungen gegenüber Politikern?

Die kommen von Menschen, die nicht in der Lage sind, ein sachliches Argument auszutauschen, die versuchen, über Einschüchterungen jemanden loszuwerden. Es ist Wut und Frustration. Auch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie.

Und nehmen Sie da Veränderungen wahr?

Ich beobachte eine immer stärkere Zuspitzung und immer weniger inhaltliche Auseinandersetzung. Ich merke das an den Infoständen, wenn man versucht, sachlich mit den Menschen zu reden und man trifft beispielsweise auf jemanden, der offensichtlich AfD wählt – da ist es kaum möglich, überhaupt noch ins Gespräch zu kommen. Auch die sozialen Medien spielen eine unglückliche Rolle. Komplexe Themen werden oft nur mit Bildchen und kurzen plakativen Statements untermauert. Die Aufklärung über das Sachthema geht unter.

Worin sehen Sie die Gründe für die Wut?

Es könnte ein Hass auf die demokratische Gesellschaft sein, ein Hass auf das politische System, ein Kampf gegen „die da oben“, doch wer soll das denn sein? Wir haben es mit Menschen zu tun, die sich radikalisiert haben, die nicht mehr erreichbar sind und auch nicht mehr abschätzen können, was richtig ist und was falsch ist. Es gibt eine Stimmungsmache, die die Leute radikalisiert.

Was kann die Gesamtgesellschaft tun, um dieses Klima zu ändern?

Als Zivilgesellschaft müssen wir aktiv werden, denn die freiheitlich demokratische Grundordnung ist nicht selbstverständlich. Wir müssen uns fragen: Wie kann Teilhabe in der Gesellschaft gestärkt werden? Wie erreichen wir die Menschen, die in ihrer Bubble zu verschwinden drohen? Die Politik muss sich dafür auch mit dem Bildungssystem auseinandersetzen. Den Aufbau unserer Gesellschaft und unseres Staatssystems müssen wir besser vermitteln. Erklären, wie Meinungsfreiheit funktioniert. In der Bildungspolitik sehe ich zudem auch die Möglichkeit, die Voraussetzungen für sozialen Aufstieg zu schaffen, dafür muss die Durchlässigkeit im Bildungssystem gegeben sein.

Was raten Sie anderen betroffenen kommunalen Politikerinnen und Politikern?

Auf jeden Fall Strafanzeige zu erstatten, alles mitzuschreiben. Notieren, dokumentieren. Darauf achten, dass auch Zeugen dabei sind. E-Mails sofort speichern, schauen, dass man die Metadaten herauszieht. Es gibt inzwischen Stellen in der Justiz, die innerhalb von Stunden herausfinden können, woher die anonyme E-Mail versendet wurde.

Wie empfinden Sie den Rückhalt der Kollegen?

Die reagieren bei Bedrohungen mit Betroffenheit. Man muss aber auch sagen, dass nicht viele Kollegen das so erleben. Sie bekommen vielleicht mal eine Drohmail in drei Jahren. Ich habe dieses Jahr schon zwei Strafanzeigen wegen rassistischen Äußerungen mir gegenüber erstattet.

Gibt es denn bestimmte Anlässe, bei denen Sie ahnen, dass Sie wieder mit Bedrohungen rechnen müssen?

Die Drohung vom anonymen „Adolf Hitler“ bekam ich, nachdem ich öffentlich einen AFD-Politiker kritisiert hatte. Natürlich ist es so, wenn man sich stärker engagiert und ins Rampenlicht rückt, dann riskiert man auch, bedroht zu werden. Aber es ist ja nicht der Sinn von Kommunalpolitik, nichts zu sagen, nur weil man befürchtet, irgendeine Drohung zu erhalten. Gerade als Staatsbürger mit Migrationsbiographie möchte ich nicht still sein.

Auf der kommunalpolitischen Ebene kennt man sich, man trifft sich vielleicht auch mal wieder. Führt das dazu, dass Menschen gehemmter sind?

Per E-Mail ist es einfacher, Dampf herauszulassen. Da ist kein Mensch gegenüber, man drückt nur auf einen Knopf.

Wie ist es, wenn Sie an Infoständen stehen?

Am Infostand direkt wurde ich noch nicht bedroht. Aber inzwischen sprechen die Leute dort auch leichtfertiger rassistische Positionen aus. Ich wurde einmal mit einem Ei beworfen, aber das war, glaube ich, eher ein Hippie, der hätte auch einfach ein Bier mit uns trinken können.

Dass Sie auf den Hinterkopf geschlagen wurden, ist über zehn Jahre her. Die Bedrohungslage ist also kein neues Phänomen?

Natürlich nicht. Ich weise nur auf die Brandanschläge in den 90er Jahren hin. Rostock-Lichtenhagen, Mölln, und dann die Morde der NSU. Ich hatte damals ein Kulturfest für Toleranz organisiert, und da hat mich ein junger Rechtspopulist angegriffen, aber der ist dann auch direkt festgenommen worden.

Sie leben und arbeiten in Bayern, derlei Angriffe von Rechts verorten viele eher im Osten der Bundesrepublik. Sehen Sie ein Unterschied zwischen Ost und West?

Der Rechtsextremismus ist eindeutig ein gesamtdeutsches Phänomen. Ich glaube zwar nicht, dass es zum Beispiel in Sachsen gerade besonders angenehm ist, politisch engagiert zu sein, wenn man hört, wie die Kommunalpolitiker und Wahlkämpfer attackiert werden. Aber die Frage ist doch, wie steht es mit dem gesellschaftlichen Rückhalt für solche Angriffe? Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft in den neuen Bundesländern so etwas toleriert. Natürlich hat man die neuesten Umfragen im Kopf und stellt fest, dass die Demokraten dort um die Errungenschaften der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft kämpfen müssen. Die Rechtsextremisten sind offen rassistisch und antipluralistisch, deswegen werden Sie von ihren Kernwählern gewählt.