Dezentralisierung in der Ukraine: Kein wirksames Mittel zur Befriedung

Donbas-Express
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Der Donbas-Express verbindet Kiew mit Donetsk - wie die Verwaltungen der Städte zueinander stehen, soll eine neue Reform regeln

Eine Verfassungsänderung zur Dezentralisierung soll der Ukraine Frieden bringen: Was kann die Reform tatsächlich bewirken und welche Veränderungen stehen noch aus? Fragen an Robert Sperfeld, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew.

Am 16. Juli 2015 hat das ukrainische Parlament, die Verkhovna Rada, eine Verfassungsänderung zur Dezentralisierung auf den Weg gebracht. Sie gilt als Voraussetzung für die Umsetzung der „Minsker Vereinbarungen“ und somit für die friedliche Beilegung des Konfliktes im Osten der Ukraine. Was verbirgt sich hinter der nun von der Verkhovna Rada beschlossenen Dezentralisierungsreform?

Robert Sperfeld: Die von der Rada beschlossene Verfassungsänderung steht nicht zuvorderst im Kontext der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk zur Befriedung der Situation im Osten der Ukraine. Sie ist zuallererst eine überfällige Reform der lokalen und regionalen Verwaltungsstrukturen in der gesamten Ukraine in Vorbereitung der Kommunalwahlen am 25. Oktober 2015, die gemäß dem Subsidiaritätsgedanken Verantwortlichkeit für lokale Angelegenheiten auch auf der lokalen Ebene ansiedelt. Hierzu werden Gemeindestrukturen und Finanzbeziehungen zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen neu gegliedert, um handlungsfähige Verwaltungseinheiten und Gemeindeparlamente in direkter Verantwortlichkeit gegenüber der lokalen Öffentlichkeit zu schaffen.
Gleichzeitig ist diese Verfassungsänderung Voraussetzung für die im Februar in Minsk vereinbarte Autonomie der von den Separatisten kontrollierten Teile der Gebiete Luhansk und Donezk, für die nun in der Verfassung ein Sonderstatus vorgesehen ist. Formal in Kraft treten kann die geänderte Verfassung aber erst nach Prüfung des Verfassungsgerichts und drei Monate nach erneutem Beschluss in der Rada im September, das heißt erst Mitte Dezember.

Stellt diese Verfassungsänderung die Grundlage für die Autonomie der umkämpften Teile der Ostukraine im Sinne der „Minsker Vereinbarungen“ dar? Ist die Ostukraine der friedlichen Konfliktbeilegung nun ein Stück näher gekommen?

Die Ausgestaltung der Autonomie wird in der Verfassung einem separaten Gesetz überlassen, über das die Rada gesondert entscheiden muss. Präsident Petro Poroschenko hat aber schon klar gestellt, dass die Ukraine weiterhin ein Einheitsstaat bleibt und es lediglich um einen Sonderstatus für die lokale Selbstverwaltung in den betreffenden Gebieten geht. Den ersten Reaktionen der Separatisten und aus Russland zufolge ist dies für sie inakzeptabel.

Jedes Sonderstatus-Gesetz würde ohnehin aber erst nach Einhaltung von Waffenstillstand und Gefangenenaustausch in Kraft treten. Eine solche Reihenfolge ist auch in den Minsker Vereinbarungen“ vorgesehen. Davon sind wir aber weit entfernt – es sterben fast täglich Menschen an der „Kontaktlinie“. Die Frage, wie in Luhansk und Donezk Kommunalwahlen organisiert werden können, die auch von der Ukraine als legitim anerkannt würden, ist angesichts der Abwesenheit von ca. einem Drittel der angestammten Bevölkerung ebenso offen.
Jegliches Entgegenkommen machte aus Sicht der ukrainischen Seite nur dann Sinn, wenn die Ukraine dadurch die Kontrolle über die Grenze mit Russland wiedergewinnen würde. Darauf können sich allerdings die Separatisten kaum einlassen, da nur der Nachschub aus Russland ihre Existenz sichert.

Kurz gesagt: Keine Dezentralisierungsreform in der Ukraine kann die Konstruktionsfehler der praktisch nicht umsetzbaren Minsker Vereinbarungen auflösen. Für Moskau ist die derzeitige Situation sehr günstig. Die andauernden militärischen Scharmützel schwächen den ukrainischen Staat und seine Führung auf die Dauer nachhaltig und verhindern eine positive gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung in der Ukraine. Eine friedliche Lösung scheint nur denkbar wenn entweder Russland die Unterstützung der Separatisten einstellen oder die Ukraine zumindest für eine Übergangszeit die Ansprüche auf die Separatistengebiete aufgeben würde. Beides würde in Russland bzw. in der Ukraine aber als Kapitulation verstanden und ist deshalb politisch derzeit keine Option.

Stärkt die Dezentralisierung den demokratischen (Neu-)Aufbau der Ukraine nach der Maidan-Revolution und kann sie im Kampf gegen die Korruption helfen?

Die wirkliche Verankerung einer demokratischen politischen Kultur in der Ukraine und die deutliche Reduzierung des Korruptionsniveaus ist eine mittel- bis langfristige Aufgabe. Dezentralisierte politische und administrative Strukturen stärken in der Theorie die Verantwortlichkeit der lokalen Entscheidungsträger/innen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Im positiven Fall entsteht ein besser funktionierendes und transparenteres System von gegenseitigen Anreiz- und Kontrollmechanismen zwischen Öffentlichkeit, Lokalverwaltung und zentralstaatlicher Kommunalaufsicht. Bedingung für ein Funktionieren in diesem Sinne sind ausreichend relevante und vor allem finanziell unterfütterte Entscheidungskompetenzen auf der kommunalen Ebene, aber auch halbwegs funktionierende Mechanismen von Rechtsstaatlichkeit, wofür vor allem das Justizwesen der Ukraine vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss.