Die Documenta in Kabul

Shamsia Hassani

Die 13. Ausgabe der Documenta konzentriert sich zum ersten Mal auch auf Afghanistan. Dabei werden Werke afghanischer Kunstschaffender, aus Afghanistan selbst und aus der Diaspora sowie von Künstlern, deren Werke in der Begegnung mit der Lebenswirklichkeit in Kabul entstanden sind, gezeigt.

“Krieg schafft Fakten. Aber auch Kunst kann, auf einer anderen, höheren Ebene Fakten schaffen”, schreibt Carolyn Christov-Bakargiev, Kuratorin der dreizehnten Documenta  in einem  Aufsatz darüber, warum sie mit Kabul und Kairo zwei komplementäre Orte im Zustand von Krieg und Konflikt für die 13. Ausgabe der Documenta ausgewählt hat. Die Amerikanerin mit italienischen und bulgarischen Wurzeln gibt dabei zu, dass diese Auswahl “möglicherweise anmaßend und naiv” ist. Dennoch möchte sie mit ihrer Wahl diejenigen ermutigen, die sich mit diesen Orten auseinandersetzen. Sie ist überzeugt davon, dass Kunst für den sozialen Wiederaufbau kriegs- und konflikt-geprägter  Gesellschaften eine maßgebliche Rolle spielt und dabei „Fantasie als treibende Kraft in solchen Prozessen“ freigesetzt wird, „auf eine Weise, die die Menschen nicht noch weiter Isoliert, sondern Möglichkeiten für den Gegenteil schafft.“

Debatten und Seminare in Kabul und Bamiyan

In diesem Sinne ist eine Delegation des Documenta 13 im Sommer 2010 erstmals nach Kabul gereist. Bis zum Frühjahr 2012 folgten eine Serie von Vorlesungen und sieben Seminare, zwei in Kabul, fünf in der Provinz Bamiyan. Aus den Debatten und Seminaren haben sich verschiedene Kunstwerke ergeben. Andere Werke wurden für die Documenta in Auftrag gegeben.

Ein Teil dieser Werke wird nun in Kassel ausgestellt, der andere Teil in Kabul. Die Werke sollen idealerweise eine Brücke schlagen zwischen Kassel mit seiner Vergangenheit im zweiten Weltkrieg und Kabul als Stadt in einem andauernden Kriegszustand.

Die Veranstalter mussten sich, mehr als ihnen vermutlich lieb war, mit den sozialen, politischen und psychologischen Herausforderungen Afghanistans auseinandersetzen. Während das Kernteam und die Künstler der Kabuler Documenta  betonen, dass es ihnen in allem immer um eine Auseinandersetzung ohne Vorurteile gegangen sei und nicht um einen „kolonialen Ansatz“, deuten einige Aussagen von Teilnehmern daraufhin, dass die ganze Dimension des Projektes erst im Laufe des  künstlerischen Prozess erkannt worden sei.

Zwischen Sicherheitsschleuse und Kulturaustausch

Goshka Macuga etwa, eine polnische Künstlerin, hat zwei große Tapisserien für die Documenta kreiert.  Ein Teil des Werkes hängt im Fridericianum in Kassel, der andere Teil im Königinnenpalast von Kabul. Macuga sagt, sie hätte Kabul vor allem als Außenstehende kennengelernt, „beeinflusst und beschränkt durch unendliche Sicherheitsmaßnahmen, so wie sie auch für die ausländischen Eliten in Kabul gelten, für Nichtregierungsorganisationen und internationale Berater, die dort stationiert sind. Ich war einbezogen in Aktivitäten, bei denen ich im Wesentlichen nur Menschen im Rahmen der Documenta getroffen habe. Angesichts der starken militärischen Präsenz und der Parallelwelten, in denen sich die internationalen Eliten aufhalten, habe ich mich gefragt für wen ich meine Arbeit eigentlich mache“.

Obwohl unzweifelhaft ist, dass künstlerische Erfahrungen nur im Prozess praktischen Erfahrens gemacht werden können, erinnert Christoph Menke, ein deutscher Philosoph der ein Seminar in Kabul geleitet hat, „faszinierende Elemente des Protestes“ unter den hauptsächlich jungen afghanischen Seminar-Teilnehmern. „Am Anfang haben die afghanischen Teilnehmer uns wie ehrwürdige Dozenten behandelt, die extra eingeflogen wurden. Es wurde erwartet, dass wir all ihre Fragen beantworten. Auch sehr grundlegende, wie beispielsweise ‚Was ist gute und was schlechte Kunst?’ oder ‚Sollte man überhaupt Kunst schaffen?’ Aber nach und nach hat sich dies verändert und die Teilnehmer fingen an ihre eigenen Bedenken und Positionen zu äußern.“

Instrumentalisierung der Kunstszene?

Aman Mojaddedi, ein afghanischer Künstler, der seit 2002 in Kabul tätig ist und die Kunstszene in der afghanischen Hauptstadt auf verschiedene Weise beeinflusst hat, ist einer von zwei Kuratoren der Kabuler Documenta. Er ist sich bewusst über den gegenseitigen kulturellen Lernprozess, den solche Begegnungen beinhalten. Er ist sich  zugleich des Risikos bewusst, dass eine solche Ausstellung von Interessen der Geberländer instrumentalisiert und überlagert werden kann: „In den vergangenen drei Jahren gab es einen großen internationalen Ansturm, was die Unterstützung und Finanzierung von Aktivitäten im Bereich Kunst und Kultur als Teil einer Propaganda und gesteuerter Informationskampagnen angeht. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und andere Länder haben viel Geld in solche Aktivitäten investiert, um einen Eindruck von Afghanistan in einem stetig besseren Zustand zu schaffen. Dies geschieht nicht zuletzt, um den Abzug des internationalen Militärs zu rechtfertigen“.

Dieses konzeptionelle Problem hat zu einer Reihe von Diskussionen hinter den Kulissen der Documenta geführt. Überraschenderweise hat keiner der etwa 2.000 Journalisten bei der Eröffnungspressekonferenz in Kassel hierzu kritisch nachgefragt.  Einige deutsche Zeitungen lobten die Macher der Documenta für ihre „internationale Solidarität“ mit Afghanistan, oder sie konzentrierten sich vor allem auf die internationalen Künstler im Kontext der Documenta Kabul anstatt auf die junge Generation afghanischer Künstler.

Aman Mojaddedi, der in Jacksonville/Florida aufgewachsen ist, will die Kabuler Documenta nicht als direkte Verlängerung einer politik-orientierten Geberlogik sehen. Er ist allerdings überzeugt, dass eine grundsätzliche Abhängigkeit von ausländischer Finanzierung die afghanischen Künstler in ihrem Verhalten prägt. „Oft genug warten junge Künstler darauf, dass sie das zunächst Geld erhalten, bevor sie anfangen etwas zu tun. Für mich ist der Diskurs der Nachhaltigkeit mit Bezug auf Afghanistan deshalb ein obskurer Begriff. Er beinhaltet, dass die Lösung immer von außen kommt. Das aber wäre eine falsche Annahme. Möglicherweise kann es Fortschritt - im Sinn der Nachhaltigkeit -  nur geben mit dem Aufbau von Künstlerkollektiven, die aus afghanischen Künstlern selbst hervorgehen“.  

Zerbrechliche Kunstszene

Einige Kabuler Künstlergruppen sind über die vergangenen Jahre in Kabul entstanden. Zum Beispiel Roshd (Wachstum), eine Gruppe junger Kunstschaffender. Sie diskutiert zur Zeit intern, ob sie eine Registrierung beim afghanischen Ministerium für Kultur und Information beantragt, womit sich dann Hilfsgelder beantragen lassen. Für andere aus der Gruppe ist dies dagegen undenkbar. Die Jump Cut Group, ein Kollektiv aus Filmemachern und Kameramännern folgt dagegen einer zweiteiligen Strategie. Die Gruppe nimmt einerseits teilweise Projekte der Entwicklungshilfe an, andererseits investiert sie mit dem Geld in viele unabhängige künstlerische Produktionen. „Das ist ein Training für uns selbst“ sagt Filmemacher Jalal Husseini, „die Filmemacher, die sich nur von Hilfsgeldern im Kulturbereich abhängig machen, werden später zu den Opfern zählen und mit einem schwierigeren Übergang konfrontiert sein“. Die Bad Artists, ein anderes Künstlerkollektiv, vermisst einen ausreichenden Raum für künstlerische Freiheit und kritisiert ein Klima politischer Verdächtigungen und politisch-korrekter wie ethnischer und sektiererischer Nachrede.

Während die Künstler der afghanischen Diaspora auf der Documenta bereits mit den internationalen Kunstmärkten und Agenten verbunden sind, ist die Kabuler Kunstszene noch zerbrechlich und alles andere als gefestigt. Dies zeigt sich etwas  an der Szene der Grafitti-Sprayer und Rockbands, die überhaupt erst durch die Präsenz von Ausländern und Hilfsgeldern entstanen ist. Auch wenn sich junge Künstler gerne furchtlos geben, bemängeln sie doch fundamentale Hindernisse: „In meiner Fakultät an der Uni kann ich nicht abstrakte Malerei betreiben, wie  ich sie in Kassel ausstelle“, meint Zainab Haidary, eine junge Künstlerin aus Kabul.  „Die Professoren dort würden meine Werke für verrückt halten oder für dumm erklären. Die akademischen Strukturen müssen erst befreit werden von altem Denken“. Die Documenta-Seminare, so Haidary, hätten ihr geholfen an ihr „eigenes Denken zu glauben und dieses zu respektieren“.

Die Frage, welchen Einfluss die Kabuler Documenta 13 auf die nicht-afghanischen Künstler hatte, ist vergleichsweise einfach zu beantworten. Goshka Macuga drückt ihre Gefühle und Erfahrungen in einer Frage aus: „Haben wir, auch losgelöst von der Documenta, überhaupt die Fähigkeit zu akzeptieren, dass andere Kulturen unterschiedliche Vorstellungen und Definitionen davon haben, wie Menschen sich entwickeln und was als gültig und wertvoll zu definieren ist?“  

Die zweite Frage, ob die Documenta auf irgendeine Weise wichtig ist für Afghanistan und seine Menschen, lässt sich weniger eindeutig beantworten. Während Afghanistan aus einer Vielzahl kultureller Identitäten besteht, hat die Documenta weitestgehend nur Kabul in seine Überlegungen einbezogen. Dies war zwar erklärtes Ziel der Documenta-Leitung, hinterlässt aber trotzdem einen schalen Beigeschmack. Vielleicht auch, weil man sich dabei sehr hat leiten lassen von Künstler-Netzwerken aus der us-afghanischen Diaspora.

Die Ausnahme von Kabul bildete die Provinz Bamyan, wo der amerikanische Künstler Michael Rakowitz in einem einwöchigen Seminar versucht hat das Handwerk historischer afghanischer Steinmetze wiederzubeleben. Als Vorlagen diensten dabei Fotografien und gerettete christliche Gebetsbücher, die im zweiten Weltkrieg in Kassel ein Opfer der Flammen wurden.
 
Nachdem die Tore der Documenta Kabul nun für einen Monat in den Babur Gärten geöffnet sind, haben die Menschen in Kabul es selbst in der Hand, diese Ausstellung hier in Erinnerung zu behalten oder nicht. Fraglich ist nach bisherigen Erfahrungen etwa, ob sich die Besucher in Kabul durch die verschiedenen Grade von Abstraktion, die in den Kunstwerken zum Ausdruck kommen, angesprochen fühlen und eine Verbindung zu ihrem Kriegsalltag herzustellen vermögen. Gelegentliche Zweifel sind angebracht. Oder wie es  eine kritischer Begleiterin des dreijährigen Prozesses hin zur Documenta Kabul formuliert:  „Vielleicht braucht die Documenta Kabul vielmehr, als Kabul die Documenta.“
 

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst am 20. Juni 2012 auf Afghanistan Analysts Network

 

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