Rechte der Natur und die deutsche Zivilgesellschaft

Initiative

Rechte der Natur sind in vielen Ländern der Welt, und spätestens seit der Anerkennung der spanischen Salzwasser Lagune Mar Menor als Rechtssubjekt, auch in Europa rechtliche Realität. In Anbetracht der sich immer weiter verschärfenden ökologischen Krisen unserer Zeit stößt auch in Deutschland die Idee der Rechte der Natur (RdN) in den letzten Jahren immer mehr auf Resonanz – auf zivilgesellschaftlicher wie auf akademischer Ebene. 

Globaler Klimastreik 2019: Menschen halten ein Schild mit der Aufschrift: NO NATURE - NO FUTURE.

RdN hinterfragen unser anthropozentrisch ausgerichtetes Rechts- und Gesellschaftssystem und bieten die Chance, die Dichotomie zwischen Mensch und Natur zu überwinden, um einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer ökologischen Gesellschaft zu erreichen. Die Arbeit deutscher zivilgesellschaftlicher Akteur*innen ist einer der entscheidenden Faktoren, um RdN in Deutschland Wirklichkeit werden zu lassen. Ihre Ansätze sind zahlreich und vielfältig.

Gerichtsverfahren

Natürlichen Entitäten subjektive Rechte zu gewähren und sie Prozesspartei von Gerichtsverfahren werden zu lassen ist keine absolut neue Idee, wie die berühmten Tierprozesse im Mittelalter belegen: Dabei wurden Tieren subjektive Rechte zuerkannt und Rechte und Pflichten vor Gerichten verhandelt. 

Ebenfalls auf tierliche Personen beschränkt haben in den letzten Jahrzehnten zwei von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen initiierte Gerichtsverfahren für Aufsehen gesorgt. Als erstes zu nennen ist die sogenannte Robbenklage von 1988. In den 1980er Jahren verendeten 90% der gesamten Seehundpopulation in der Nordsee, mutmaßlich aufgrund der damals gängigen Verklappung von Dünnsäure auf hoher See. In Ermangelung (eigener) menschlicher Betroffenheit versuchten 1988 die Umweltschutzverbände AKN, BUND, BBV, DNR, Greenpeace, Robin Wood und die Umweltstiftung WWF im Namen der Nordseerobben vor dem VG Hamburg Rechtsschutz zu erlangen. Das Gericht lehnte den Antrag als unzulässig ab. Allerdings war das öffentliche Interesse an dem Fall so groß, dass im Nachgang nicht länger Genehmigungen für die Dünnsäureverklappung erteilt wurden – ein Beispiel dafür, wie strategische Prozessführung auch bei ‚aussichtslosen‘ Verfahren zu tatsächlichen Erfolgen führen kann.

Einen ähnlichen Weg versuchte 2019 die Tierrechtsorganisation PETA: Im Namen männlicher Ferkel legte sie Verfassungsbeschwerde ein und argumentierte dabei, dass die Kastration ohne Betäubung die Ferkel in ihren Grundrechten verletze. Laut PETA gelten die Grundrechte zumindest auch teilweise für Schweine. Die Verfassungsbeschwerde wurde allerdings nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 14.05.2021, 1 BvR 2612/19).

Gesetzesinitiativen

Das Kernziel zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Deutschland ist aktuell überhaupt erst einmal die Aufnahme von RdN in Gesetzestexte.

Logo Rechte der Natur – Das Volksbegehren

Bereits in der praktischen Umsetzung befindet sich das, von Hans Leo Bader initiierte bayerische Volksbegehren ‚Rechte der Natur – Das Volksbegehren‘ (im Folgenden: Volksbegehren). Seit September 2021 sammeln die Unterstützer*innen Unterschriften für die Zulassung eines Antrags auf ein solches Volksbegehren. Ziel ist die Änderung von Art. 101 der bayerischen Landesverfassung. Der bisherige Wortlaut soll um folgende (hier fett gedruckte) Zusätze erweitert werden:

„Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was den Rechten der anderen und den Rechten der natürlichen Mitwelt nicht schadet“.

Der Begriff "Mitwelt" ist international nicht üblich. Er wird hier als Synonym für "Natur" verwendet.

Was genau diese Rechte der Mitwelt sind, wird in dem Vorschlag des Volksbegehrens nicht näher bestimmt und bedarf der Auslegung und schließlich der Umsetzung durch die Gesetzgebung. Ein gewisser eigenständiger Gehalt wird den Rechten der natürlichen Mitwelt jedoch inhärent sein, da die Vorschrift sonst ins Leere laufen würde. Unter Berücksichtigung von Art. 141 bayerische Landesverfassung, welcher u.a. den Genuss der Naturschönheit und die Erholung in der freien Natur gestattet, kann deswegen von einem Existenzrecht der natürlichen Mitwelt ausgegangen werden. Die Initiator*innen des Volksbegehrens sehen ihren Vorschlag vor allem als Auftrag an die gesetzgeberische Gewalt, tätig zu werden.

Logo Netzwerk Rechte der Natur

Bereits 2008 formierte sich auf Initiative von Dr. Georg Winter das „Netzwerk Rechte der Natur und Ökonomie“, welches – bemerkenswerterweise – hauptsächlich von umweltorientierten Vertretern der Wirtschaftswissenschaften getragen wurde. Die RdN wurden vor allem im Kontext einer zukunftsfähigen Wirtschaft und der Verwirklichung von Menschenrechten als entscheidender Faktor betrachtet. Vertiefte wissenschaftliche Ausarbeitungen wurden in der betriebswirtschaftlichen Publikationsreihe ‚Rechte der Natur/Biokratie‘ in den Jahren 2015-2022 veröffentlicht. Auf Initiative von Dr. Georg Winter, Christine Ax und dem World Future Council und aufbauend auf dem vorherigen Netzwerk wurde 2020 das ‚Netzwerk Rechte der Natur' (im Folgenden Netzwerk) gegründet. 2023 folgte die Gründung des Vereins Netzwerk Rechte der Natur e.V.. Neben zahlreichen eigenen Aktivitäten unterstützt es auch andere Akteur*innen, die sich für die RdN einsetzen, insbesondere auf lokaler Ebene.

Das Netzwerk startete 2020 einen zweijährigen Beratungsprozess unter Mitwirkung verschiedenster Personen und Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen, um einen Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes auszuarbeiten. Unter anderem soll Art. 1 GG um folgenden Absatz ergänzt werden:

 „Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten."

Diese Grundgesetzänderung soll den deutschen Staat dazu verpflichten, die Natur um ihrer selbst willen und in Verantwortung für künftige Generationen zu schützen.

Nicht zuletzt hat Prof. Jens Kersten mit seinem bahnbrechenden Vorschlag „Das ökologische Grundgesetz“ verdeutlicht, dass eine Grundgesetzänderung die weitreichendsten Erfolge für eine ökologische Gesellschaft mit sich brächte. Da eine solche hohen Hürden unterliegt, scheint jedoch – zumindest für die nähere Zukunft – das Volksbegehren erfolgversprechender. Auch hier ergeben sich einige Schwierigkeiten, diese sind aber nicht unüberwindbar.

Unabhängig von ihrer Umsetzbarkeit bieten die genannten Vorschläge die große Chance, einer breiten Bevölkerung eine Vorstellung der RdN in Deutschland zu vermitteln.

Blick in eine prächtige Baumkrone.

Rechte der Natur

Unsere Beziehung zur Natur ist massiv gestört. Um Mensch und Umwelt nachhaltig zu schützen, brauchen wir neue Ansätze – wie das Verleihen von Rechten an die Natur.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers Rechte der Natur, das zeigt, wie sich dieser Ansatz praktisch umsetzen lässt und welche Chancen er bietet. ▶ Zum Dossier Rechte der Natur.


Vermittlung und Vernetzung der RdN

Ein weiterer Akteur ist der Verein Rechte der Natur e.V., nicht zu verwechseln mit dem (oben beschriebenen) Netzwerk. Der Verein wurde 2022 von einer Gruppe junger Jurist*innen gegründet, möchte als Plattform zur bundesweiten Bündelung des bestehenden zivilgesellschaftlichen Engagements für bestimmte Ökosysteme dienen, die Kommunikation und den Austausch über Wege zur Erhaltung von Natur und Biodiversität fördern und darüber hinaus aber auch eigene Projekte verwirklichen. 

Währenddessen sieht das Netzwerk als sein Hauptziel, die wachsende deutsche Bewegung der RdN innerhalb Deutschlands, aber auch weltweit zu vernetzen. Darüber hinaus arbeiten sowohl das Netzwerk als auch das Volksbegehren eng zusammen und stehen in Kontakt zu Wissenschaftler*innen verschiedenster Disziplinen. Ende 2024 wurde auf dem bundesweiten Treffen des Netzwerks beschlossen, eine Europäische Bürger*innenitiative auf dem Weg zu bringen.

Finanzielle Unterstützung gewährt die 2022 von Dr. Georg Winter gegründete „Winter Stiftung für Rechte der Natur“. Ziel der Stiftung ist, insbesondere durch finanzielle Förderung Beiträge unterschiedlichster Art zur Fortentwicklung des Umweltschutzes und des Umweltrechts im Interesse der ökologischen Nachhaltigkeit zu unterstützen.

Neben der Bündelung von Kräften innerhalb Deutschlands haben das Netzwerk und auch das Volksbegehren diverse Mobilisierungs- und Informationsformen genutzt, um einen größtmöglichen Teil der Bevölkerung zu erreichen. Hierzu gehören Infostände, Theater- und Musikevents, Podiumsdiskussionen, Vorträge, Workshops, Fachdialoge, Interviews und vieles mehr. Das Volksbegehren erhielt zuletzt auch internationale Aufmerksamkeit, als es der Initiator Hans Leo Bader auf den 12. Interactive Dialogues der Generalversammlung des UN-Programmes Harmony with Nature vorstellte.

Das Netzwerk und auch das Volksbegehren haben in den letzten Jahren immer mehr mediale Resonanz erhalten, so z.B. in der Frankfurter Rundschau und dem Magazin Spektrum. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die mediale und deutsche Debatte um die RdN durch zwei Entscheidungen des Landgerichts Erfurt im August und Oktober 2024 einen neuen Höhepunkt erreichte (z.B. hier, hierhier und hier). Im Kern erkannte das Landgericht Erfurt die RdN an und zog sie im Rahmen einer Schadensersatzklage von Amtswegen schutzverstärkend hinzu. Im Gegensatz zur Robbenklage der 80er Jahre und auch der Verfassungsbeschwerde im Namen der männlichen Ferkel, ging den Entscheidungen des Landgerichts Erfurt keine Klageerhebung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen voraus. 


Stand Anfang 2025. Aktuelle Entwicklungen um die Rechte der Natur sind auf der Open-Access-Plattform des EcoJurisprudence Monitor zu finden. 

Programme & Initiativen

Literatur

  • Ewering, Elena & Gutmann, Andreas. „Gibt Bayern der Natur Rechte?“ Verfassungsblog. 
  • Ewering, Elena & Vetter, Tore (2021). „Invisibilising Nature. Procedural Limits and Possibilities to Environmental Litigation in German Law.“ 54 VRÜ 3, pp. 376-397 [EN].
  • Fischer-Lescano, Andreas (2020): „Nature as a Legal Person: Proxy Constellations in Law, Law & Literature.“ Law & Literature, pp. 237-262 [EN].
  • Gelinsky, Katja (2021). „Die Natur als Person?“ Die politische Meinung, pp. 76-81.
  • Gutmann, Andreas (2021). Hybride Rechtssubjektivität, Die Rechte der Natur oder Pacha Mama in der ecuadorianischen Verfassung von 2008. Nomos.
  • Gutmann, Andreas (2022). „Der Nebelwald als Rechtssubjekt.“ KJ 27, pp. 31 f.
  • Kersten, Jens (2020). „Natur als Rechtssubjekt.“ ApuZ 11, pp. 27-32.
  • Kersten, Jens (2022). Das ökologische Grundgesetz. Beck.
  • Kramm, Matthias (Ed.; 2023). Rechte für Flüsse, Berge und Wälder. Oekom.
  • Mayer-Abich, Klaus M. (1990). Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt. Hanser.
  • Mührel, Jaspar (2021). „Standing for Piglets.“ Verfassungsblog. (27.10.2023) [EN].