Im Gespräch mit der Regisseurin Doris Metz

Lesedauer: 7 Minuten

Doris Metz

Welche Bezüge zu unserer heutigen Gesellschaft hast Du in der Beschäftigung mit der Lebensgeschichte von Petra Kelly gefunden?

Mein größter Schock war und ist die Aktualität und die Modernität von Petra Kellys politischem Denken und Handeln. Sie war ihrer Zeit weit voraus: mit ihrem globalen Agieren und ihrem Weitblick, ihrer Überzeugung, dass die Krisen unserer Zeit, all die Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen von Natur und Umwelt zusammen gedacht werden müssen und dass man Lösungen international auf UN-Ebene anstreben muss. Unerbittlich hat sie damals schon die Transformation der Gesellschaft und den Frieden mit der Natur eingefordert sowie die Gier unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems auf Kosten des Globalen Südens angeprangert. Sie ging mit dem atomaren Rüstungswettlauf, mit der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik und ihren verdeckten Rüstungsexporten hart ins Gericht. Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsfragen waren für sie gleich wichtig. Frauenrechte und selbst den Gender-Pay-Gap hatte sie schon auf dem Schirm. Eigentlich gibt es nichts in unserer Multikrisen-Gegenwart, worüber Petra Kelly nicht bereits vor 40 Jahren nachgedacht und ein Umdenken gefordert hat.

Erwartungen und Überraschungen: was waren für Dich neue Erkenntnisse bei der Beschäftigung mit Petra Kelly?

Ich wusste, dass Petra Kelly mutig und radikal in ihrem politischen Denken und Handeln war. Eine Überraschung war für mich, dass sie diese Radikalität auch im Privatleben und in Liebesdingen lebte. Bürgerliche Moralvorstellungen von Ehe und Familie interessierten Petra Kelly nicht. Umgehauen hat mich auch die unglaubliche Menge an Korrespondenz. Das kann man sich gar nicht vorstellen, über 150 Regalmeter Archivgut umfasst der Nachlass von Petra Kelly, der heute Teil des Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich Böll Stiftung ist. Ein besonderes Highlight war für mich Petra Kellys Korrespondenz mit Erich Honecker, dem Staatsratsvorsitzenden der DDR. Höflich im Ton, aber politisch scharf und unerbittlich, kämpft sie für ihre Bürgerrechtler-Freunde hinter der Mauer. Sie nennt Unrecht beim Namen, rettet zig Leute aus den Stasi-Fängen und trifft den Ton, um mit Honecker in einen echten Dialog zu treten. Das war eine ihrer großen Begabungen. Es scheint fast so, dass sie Honecker auf einer „privateren“ Ebene als Mensch erwischt hat.

Gab es neue Aspekte, die sich im Laufe der Recherche und der Interviews aufgetan haben?

Mich interessierte Petra Kellys Lebensgefühl des Bedrohtseins. Das wird zwar ab und an erwähnt, aber ernstgenommen wurde das in der alten patriarchalen Bonner Republik nicht, nicht mal in ihrer eigenen grünen Fraktion. Damals war schnell von einer „hysterischen Frau“ die Rede. Ich recherchierte in der Sache weiter, kämpfte mich durch Berge von Unterlagen in Archiven, sprach mit Zeitzeugen bis immer klarer wurde, dass Petra Kelly von einer Vorläufer-Organisation der heutigen amerikanischen Far Right-Bewegung, der LaRouche Organisation, die auch in Deutschland aktiv war, jahrelang massiv bedroht und verfolgt worden ist. Lyndon LaRouche, zweimaliger US-Präsidentschaftskandidat, war quasi ein Vorgänger von Trump.
Der Durchbruch für die filmische Erzählung war der Fund einer „List of Harrassment“ im Nachlass von Petra Kelly. Für eine Verleumdungsklage gegen die LaRouche Organisation hat Petra Kelly für ihren damaligen US-Anwalt Ramsey Clark minutiös auf 23 Seiten die jahrelange Verfolgung, Bedrohung und den Psychoterror durch die rechtsextreme US-Bewegung auf der ganzen Welt zusammengestellt. So wurde aus diesem Aspekt ein zentraler Erzählstrang im Film, der Petra Kelly auf traurige Weise mit der politischen Gegenwart verbindet, wo Hass und die reale Bedrohung von Klimaaktivist:innen und grünen Politiker:innen durch rechtsextreme Identitäre und AfD-Klimaleugner Tag für Tag massiver werden. Luisa Neubauer braucht heute Bodyguards bei öffentlichen Auftritten.

Welche Protagonisten haben Dich am meisten beeindruckt?

Am längsten gesucht habe ich Ina Fuchs. Sie schien wie vom Boden verschluckt zu sein. Schließlich habe ich sie in Jerusalem aufgespürt, wo sie seit 20 Jahren lebt bzw. lebte - bis zum 7. Oktober. Sie war die Büroleiterin von Gert Bastian und Petra Kelly. Ihr doppelter Blick auf Petra Kelly, analytisch klug und empathisch nah, hat mich beeindruckt. Dass sie sogar von der Bastian Familie ins Bonner Reihenhaus geschickt wurde und quälend nah an den Toten war, wusste ich zuvor nicht. Am meisten berührt hat mich der Indigene Umwelt- und Menschenrechtsaktivist Milo Yellow Hair, dessen Körper von zwei Attentatsversuchen durchs FBI gezeichnet ist. Am von Deutschland weitest entfernten Ort, unweit des historischen Massaker-Platzes „Wounded Knee“ in der Pine Ridge Reservation in South Dakota, bin ich durch ihn Petra und dem spirituellen Kern von Petra Kellys Wesen am nächsten gekommen.

Was sind Deine Hoffnungen an die Auseinandersetzung mit Petra Kelly heute?

Petra Kelly war „one of the most influential political personalities of the 20th century“, schreibt ihre britische Biografin Sara Parkin. Sie hat als erste Frau überhaupt den Alternativen Nobelpreis bekommen. Nach der deutschen Wiedervereinigung und Petra Kellys Tod wollten selbst die Grünen von ihrer frühen Galionsfigur nicht mehr viel wissen. Viele „große“ Frauen aus Politik, Wissenschaft oder der Kunst, die wirklich etwas bewegt haben, sind einfach in Vergessenheit geraten. Es ist dringend nötig, sich mit ihnen und ihrer Zeit zu beschäftigen und ihr Wirken wieder in Erinnerung zu rufen. Zukunft braucht Vergangenheit: es braucht heute in einer Zeit multipler Krisen dringend Vorbilder, die Mut machen und Rückhalt geben. Meine große Hoffnung ist es, mit dem Film auch einen Diskurs zwischen den Generationen anzustoßen und Petra Kellys politisches Vermächtnis, ihr Brennen für eine andere, gerechtere, bessere Welt, weiterzutragen.

Was ist das Besondere an einer Persönlichkeit wie Petra Kelly?

Es ist schwer zu beschreiben und war selbst für Kameras schwer zu fassen. Petra Kelly ist seit 30 Jahren tot, ihr Name löst bei sehr vielen Menschen meiner Generation, den damals 20jährigen, immer noch Emotionen aus. Das sagt viel aus. Das hat auch mit ihrem einsamen und gleichzeitig gnadenlos öffentlichen, brutalen Ende zu tun. Das Besondere an Petra Kelly ist die Intensität, mit der sie gelebt hat, ihre Glaubwürdigkeit, die sich von innen lud, aus dem eigenen Leben und (Mit)Leiden, ihr Mut, ihre Leidenschaft, ihr scharfer analytischer Verstand und ihre absolute Unbestechlichkeit. Sie war das „Charisma der Zeit“, so die Analyse von Saskia Richter, die über Kelly promoviert hat. Petra Kelly hatte die Gabe, Menschen zu berühren und sie zum Handeln zu animieren.

Warum identifizieren sich heute junge Klima-Aktivist:innen mit ihr, was macht Kelly so modern?

Lustigerweise ist Petra Kellys Redetempo heute modern. „Krass, die redet ja wie wir und kann Englisch“, waren die ersten Kommentare aus dem jungen Lager.
Petra Kelly war auch darin ihrer Zeit voraus. Im Bundestag wurde die junge Petra Kelly von den Anzugsträgern aus dem damaligen Regierungslager immer wieder angegangen, langsamer zu sprechen - eines der taktischen Mittel, sie als Galionsfigur der Grünen und Frau aus dem Konzept zu bringen. Inhaltlich ist es ihr mutiger Aktivismus und ihr klares Bekenntnis für eine kreative Vielfalt an Formen zivilen Widerstands, der bei den jungen Klima-Aktivist:innen von heute ankommt. Petra Kelly blieb immer Aktivistin, auch als sie längst für die Grünen im Parlament saß, und all den NGOs und zivilgesellschaftlichen Gruppen der Antiatom- und Umweltbewegung auf der ganzen Welt eng verbunden. Ihre großen Vorbilder waren die amerikanischen Jesuitenbrüder und Friedensaktivisten Dan und Phil Berrigan, die jahrelang für ihre Überzeugung gegen Atomwaffen im Gefängnis saßen. „Wir müssen uns selbst riskieren in dieser Zeit“, war Petra Kellys Plädoyer. Damit traktierte sie ihre grünen Fraktionskolleg:innen, die es sich auf den Sesseln der Macht bequem machen wollten. Eines stand für Petra Kelly aber immer fest: ziviler Widerstand endet bei Gewalt gegen Menschen. Selbst die damals weltweite Aktion „Hunger Strike for Peace“ gegen das Aufrüsten hat sie deshalb strikt abgelehnt.

Was kann man an ihr festmachen, was in der heutigen Politik insgesamt verloren gegangen ist?

Immer wieder höre ich, jemand wie Petra Kelly fehlt heute in der politischen Landschaft.
Petra Kellys Freund und politischer Weggefährte Roland Vogt schrieb in einem Nachruf über sie „Tod einer Felsin“. Das ist ein schönes Bild. Sie stand wie ein Fels für ihre Überzeugungen ein, mutig und leidenschaftlich. Sie hatte eine quasi innere Glaubwürdigkeit und sie ging nie auf Distanz zu den Menschen. In einer Rede sagte sie einmal. „Es liegt an uns, Politik so zu gestalten, dass sie für den Menschen Partei ergreift, und zwar für den Schwächsten zuerst“. Deshalb bekam sie waschkörbeweise Post, Tag für Tag. Menschen aus der ganzen Welt suchten Rat und Hilfe bei ihr. Und sie half, jeder/jede fand Gehör, kein Brief blieb unbeantwortet.

Der Titel eines ihrer letzten Bücher lautet: „Mit dem Herzen denken – Texte für eine glaubwürdige Politik“. Das bringt es auf den Punkt. Politik war für sie kein Geschäft, sondern sie hatte eine Vision für ein „gutes Leben für alle“. Das fehlt heute.