Argentinien: „Chinesische Unternehmen schreiten voran, Europa hinkt hinterher“

Interview

Die Forscherin Juliana González Jáuregui beleuchtet Chinas Rolle in Argentiniens Sektor für erneuerbare Energien, und diskutiert Chancen für eine künftige Finanzierung Erneuerbarer in dem südamerikanischen Land.

Lesedauer: 8 Minuten
GPT  Foto: Große Konferenz mit Delegationen aus China (links) und Argentinien (rechts) an zwei langen Tischen. In der Mitte stehen die Nationalflaggen beider Länder.
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Treffen des argentinischen Präsidialausschusses und der Gouverneure der Provinzen Rio Negro, Buenos Aires und Catamarca mit chinesischen Regierungsvertreter*innen in Peking, 2022

In den letzten 10 Jahren war Argentinien einer der Hauptempfänger chinesischer Investitionen für erneuerbare Energien in Lateinamerika. Unter wechselnden Regierungen in Buenos Aires und schon bevor das Land 2022 Chinas Belt and Road Initiative (BRI) beitrat, haben chinesische Unternehmen in zahlreiche Solar- und Windkraftprojekte in Argentinien investiert.

Trotz dieser Investitionen steht Argentinien, angesichts anhaltender wirtschaftlicher Probleme, vor erheblichen Herausforderungen bei der Finanzierung seiner Energiewende und konzentriert sich weiterhin auf fossile Brennstoffe. Auch in diesem Bereich haben chinesische Unternehmen stark investiert. Seit dem Amtsantritt des argentinischen Präsidenten Javier Milei im Jahr 2023 gibt es jedoch Spannungen zwischen beiden Ländern. Eine Reihe von Äußerungen des libertären Führers und seiner Beamten haben das Verhältnis zum zweitgrößten Handelspartner des Landes getrübt.

Für Juliana González Jáuregui, Forscherin an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) und Mitglied beim „Nationalen Rat für wissenschaftliche und technische Forschung“ (CONICET) Argentiniens, hat China bisher eine „entscheidende“ Rolle bei der Energiewende des Landes gespielt. Sie argumentiert jedoch, dass dabei kein Technologietransfer stattgefunden hat, und die heimische Industrie sich nicht weiterentwickelt habe.

Im Interview mit Dialogue Earth untersucht González Jáuregui auch Chinas Beziehungen zu Argentiniens Provinzregierungen und die Rolle chinesischer Unternehmen bei Fusionen und Übernahmen im Energiesektor. Darüber hinaus erörtert sie die Bedeutung der Europäischen Union und der USA angesichts wachsender chinesischer Investitionen in Lateinamerika.

Das Interview führte Fermín Koop.


Inwieweit hat die chinesische Finanzierung zu einer Energiewende in Argentinien beigetragen?

Juliana González Jáuregui: Die Beteiligung staatseigener und privater Unternehmen aus China ist bisher sowohl direkt als auch indirekt entscheidend für die Energiewende Argentiniens. Chinesische Unternehmen beteiligten sich an Ausschreibungen im Rahmen des RenovAr-Programms [ein 2016 eingeführtes Regierungsprogramm zur Förderung privater Investitionen in Auktionen für erneuerbare Energien], und bekamen bei etlichen den Zuschlag. Chinesische Firmen setzten diese Projekte dann auch um, vor allem Power China und Goldwind sind zwei Unternehmen, die in Argentinien stark expandieren. China verfolgt nachdrücklich eine Mitwirkung an Argentiniens Energiewende. 

Welche Rolle hat die argentinische Industrie bei der Initiierung von Solar- und Windprojekten im Land gespielt?

Foto: Frau mit schulterlangem dunklem Haar lächelt vor einer grob verputzten, beigefarbenen Wand in die Kamera.
Juliana González Jáuregui

Argentinien liegt in der Solarindustrie weit zurück, bei der Windenergie steht es etwas besser da. Aber weder bei der Technologie, noch beim Preis können argentinische Firmen mit den chinesischen Unternehmen konkurrieren. 

Deshalb habe ich auch die Möglichkeit eines Technologietransfers untersucht, also die Frage ob Argentinien darauf drängen könnte, dass unsere heimische Industrie in chinesische Projekte einbezogen wird, und sich so weiter entwickeln kann. Der argentinischen Energiepolitik fehlt eine langfristige Vision, und in diesem Kontext agieren chinesische Unternehmen. Die Tatsache, dass Argentinien nicht in der Lage ist strategisch zu planen und einen Technologietransfer auszuhandeln, das hat nichts mit China zu tun – das ist uns selbst anzulasten.

Wie arbeitet China bei Energieprojekten mit den Provinzregierungen Argentiniens zusammen?

Die erste und damit wegweisende Kooperation gab es mit der Provinz Jujuy, Argentiniens nordwestlichster Provinz an der Grenze zu Chile und Bolivien. Die Regierung von Jujuy bestand von Anfang an darauf, bei dem Austausch einbezogen zu sein und nahm an den Reisen nach China teil. Jujuy war auch eine der ersten Provinzen, die eine Städtepartnerschaft mit einer chinesischen Provinz einging, [Guizhou, im Jahr 2018]. Dann folgten Finanzierungen, so wie der Solarpark Cauchari das bisher repräsentativste Projekt. Im Sommer 2024 wurde eine solarbetriebene Eisenbahn in Jujuy in Betrieb genommen. Die Provinzen Salta, Catamarca und Tierra del Fuego haben ähnliche Kooperationen begonnen. 

Auch Unternehmen aus der EU und den USA investieren in Argentinien im Zusammenhang mit der Energiewende, insbesondere im Abbau von Lithium. Arbeiten diese westlichen Investoren ebenfalls mit den Provinzregierungen zusammen

Nein, Europa und die Vereinigten Staaten haben noch nicht verstanden, wie wichtig es ist, in Argentinien subnational vorzugehen. China war da schneller. In Argentinien gehören Rohstoffe den Provinzen, daher muss man mit den subnationalen Regierungen sprechen.

Im Jahr 2022 ist Argentinien Chinas „Belt und Road Initiative“ beigetreten. Hatte das Einfluss auf die chinesischen Investitionen in erneuerbare Energien?

Ich habe nach der Unterzeichnung keine Veränderungen gesehen. Die „Belt und Road Initiative“ ist ein Etikett für etwas, das China vorantreibt um die internationale Ordnung im Rahmen seines eigenen Verständnisses von Multilateralismus zu verändern. In Argentinien wurden die meisten Investitionen tatsächlich vor der Unterzeichnung getätigt. Aber wir haben eine andere politische Dynamik als andere Länder in der Region. Chile zum Beispiel hat eine konsequente staatliche Position zu seinen Beziehungen zu China, wir nicht.

Die „Belt und Road Initiative“ verändert sich ja gerade: weg von den durch chinesische Staatsbanken finanzierten Mega-Projekten im Bereich Infrastruktur, hin zu kleineren aber vermeintlich nachhaltigeren Projekten. Was bedeutet dies für Argentinien und andere Länder, die auf Investitionen aus China hoffen?

Wir sehen eine Neuausrichtung nach der Covid-19-Krise, die mit der wachsenden Sorge Chinas um die Rückzahlung der Kredite zu tun hat. In Lateinamerika sind Venezuela und Ecuador die prominentesten Fälle, die unter einer enormen Schuldenlast leiden. Sie beginnen gerade mit Verhandlungen, wie sie die von chinesischen Banken vergebenen Kredite zurückzahlen können. 

Intern überdenkt China seine Auslandsinvestitionen und Kredite, auch vor dem Hintergrund von Spannungen mit den Vereinigten Staaten. Der Schwerpunkt verlagert sich auf die Finanzierung von Innovation und Technologie, wobei Chinas Ziel darin besteht, bis zum hundertsten Jahrestag der Volksrepublik im Jahr 2049 selbst technologischer Marktführer zu werden.

Neben der Finanzierung von Projekten für erneuerbare Energien ist China immer noch aktiv in Projekten für fossile Brennstoffe. Haben Sie da Veränderungen beobachtet?

China macht es wie andere Industriestaaten und exportiert durch die Förderung fossiler Brennstoffen die Umweltverschmutzung ins Ausland. Dabei ist China der Staat, der in der Lage wäre, die Energiewende im globalen Süden voranzutreiben. Andererseits hat es seine wirtschaftliche Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nicht verringert. Dieser Widerspruch bedeutet, dass China einerseits die globale Energiewende mehr vorantreibt als Andere, aber es ist auch eines der Länder, die am meisten in fossile Brennstoffe investiert und diese finanziert.

In welchem Umfang waren chinesische Unternehmen in Argentinien in Fusionen und Übernahmen im Bereich der grünen Energie involviert?

Foto: Flachdach mit Wassertanks, Solarpanelen und Strommasten im Hintergrund, teilweise von einer roten Ziegelmauer verdeckt. Klarer Himmel
Solarthermische Kollektoren in einem einkommensschwachen Viertel von Rosario, Argentinien. Laut Juliana González ist Argentinien in der Solarindustrie weit im Rückstand und wird es schwer haben, mit China in Bezug auf Preise und Technologie zu konkurrieren.

Bei Wind- und Solarenergie hat China vor allem Firmen in Brasilien und in den letzten Jahren auch in Chile erworben. In Argentinien gibt es erst einige Fälle, z.B. hat das chinesische Unternehmen Goldwind, Windparks gekauft, die unter der Kontrolle von Isolux [aus Spanien] standen. Davon werden wir womöglich mehr sehen. 

Insgesamt gibt es weniger direkte Staatsfinanzierungen und Mega-Projekte, die von den chinesischen Banken finanziert werden, sondern eher implizite Finanzierungen, bei denen chinesische Unternehmen [staatliche] Mittel erhalten, um Fusionen und Übernahmen zu finanzieren.

In Ihrer Forschung haben Sie die Notwendigkeit betont, einen mittel- und langfristigen Plan für die Zusammenarbeit mit China im Energiebereich zu entwickeln. Was genau stellen Sie sich vor?

Für einen solchen Masterplan sollte man den öffentlichen und privaten Sektor in Argentinien-einschließlich des Wissenschafts- und Technologiesektors- an einen Tisch bringen, um gemeinsam die Energiewende anzugehen. Wir sollten nicht versuchen mit China zu konkurrieren, sondern uns bemühen, die Wertschöpfungsketten zu unseren Gunsten zu gestalten. China begann seine eigene Energiewende mit Hilfe von Auslandsinvestitionen und machte dabei den Technologietransfer zur Bedingung. Warum kann Argentinien das nicht tun? In der Zukunft müssen wir auch mehr über die Kommunikation zwischen den Sektoren nachdenken, die findet in Argentinien derzeit nicht statt. Politik und Verwaltung sind zu stark fragmentiert, es gibt kaum Dialog zwischen Ministerien, Behörden und der nationalen und regionalen Regierung.

Wie sehen Sie Argentiniens Energiewende in den nächsten drei Jahren der Regierung von Javier Milei, angesichts der angespannten Beziehung zu China?

Ich denke das ist komplex. Mileis Regierung ist schlecht informiert und hat seit dem Amtsantritt etliche Fehler in der Chinapolitik gemacht. Ich verstehe den Wunsch, stabile Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu pflegen, aber im heutigen globalen Kontext muss man China in der Außenpolitik mitdenken. 

Darüber hinaus hat die Regierung explizit verkündet, der Klimawandel sei nichts, womit sich Argentinien befassen müsse. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig vorherzusehen, wie sich Argentiniens Energiewende in den nächsten Jahren entwickeln wird. 

Milei möchte die Beziehungen zur EU und den USA zu stärken. Was erwarten sie davon im Hinblick auf Kooperationen, Investitionen und Kreditmodalitäten für Argentiniens Energiewende?

Wenn wir betrachten, wie sich der globale Norden angesichts des Aufstiegs Chinas positioniert, sehe ich eher bei Europa als bei den die USA die Chancen in unsere Energiewende zu investieren – aber Europa schaut weg. Deutschland zum Beispiel fokussiert seine außenpolitische Strategie auf China, auch bei Innovation und Energie. Beim Ausbau erneuerbarer Energien in Argentinien ist Deutschland abwesend. Und die USA sind zu beschäftigt mit Chinabashing, um etwas Effektives in Lateinamerika zu unternehmen.

Die EU hat im vergangenen Jahr im Rahmen ihres Global Gateway-Programms eine Investitionswelle in Lateinamerika gestartet, die eine Liste von Projekten zur Energiewende und zu kritischen Mineralien enthielt. Welche Rolle wird das Programm Ihrer Meinung nach in Argentinien spielen? Welche Chancen ergeben sich für beide Seiten?

Ich sehe Global Gateway bisher eher als eine diskursive Reaktion Europas auf den Wettbewerb mit China. Die Realität ist, dass chinesische Unternehmen bei erneuerbaren Energien in Lateinamerika stark engagiert sind, während Europa zögert. Die EU müsste beschließen mit großen öffentlichen Budgets in diesem Sektor zu investieren. Global Gateway setzt aber eher auf private Investitionen und ich sehe nicht, dass die EU das ernsthaft forciert. Das Problem von Global Gateway ist die fehlende Finanzkraft im Vergleich mit Chinas Initiativen. Die EU hat sich nicht dazu durchgerungen, ausreichend Mittel bereitzustellen, um Chinas Finanzpower etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen.