Kambodschas Parlamentswahlen 2023: Druck, Kontrolle und Vermächtnis

Analyse

Indem sie jede wirkliche Opposition bei diesen Wahlen ausschaltete, sicherte sich die regierende Partei Kambodschanische Volkspartei (CPP) erneut einen Erdrutschsieg. Ein nie dagewesenes Klima der Angst lähmt die Zivilgesellschaft.

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Hun Manet steht auf einer Bühne hinter einem Pult, er trägt ein weißes Hemd und eine weiße Mütze mit dem Logo seiner Partei, dahinter stehen mehrere Menschen mit der gleichen Kleidung
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Hun Manet, ältester Sohn des vorherigen Premierministers, wird die Macht von diesem übernehmen. Das Bild zeigt ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung zwei Tage vor der Wahl).

Am 23. Juli 2023 fanden in Kambodscha die Parlamentswahlen statt, die siebten seit der Unterzeichnung des Pariser Friedensabkommens von 1991, mit dem der Bürgerkrieg beendet und ein demokratisches Regierungssystem eingeführt werden sollte. Aus den diesjährigen Wahlen ging die regierende Kambodschanische Volkspartei (CPP) wie erwartet als Siegerin hervor. Sie gewann 120 der 125 Sitze in der Nationalversammlung und hält somit weiterhin an der Macht fest.

Es gab keine echte Opposition. Die „Kerzenlicht-Partei“ (Candlelight Party, CP) – eine Nachfolgepartei der aufgelösten Kambodschanischen Nationalen Rettungspartei (CNRP) – wurde aufgrund eines einzigen fehlenden Dokuments vom Nationalen Wahlkomitee nicht zu den Wahlen zugelassen.

Die CNRP, die seinerzeit 55 Sitze in der Nationalversammlung hatte und die CPP in den Wahlen von 2013 an den Rand einer Wahlniederlage gebracht hatte, war 2017 vom Obersten Gerichtshof aufgelöst worden, weil sie angeblich die Regierung stürzen wollte. Ihre Auflösung hatte zur Folge, dass es auch bei den Parlamentswahlen von 2018 schon keine echte Opposition gegeben hatte. In dem Jahr konnte die CPP sogar alle 125 Sitze gewinnen.

Ohne einen wirklichen Wahlgegner konnten sich die CPP und Premierminister Hun Sen den Machterhalt sichern und damit die erwartete Machtübergabe an Hun Sens ältesten Sohn Hun Manet vorbereiten. Dieser wird eine jüngere Generation an Kabinettsmitgliedern führen, ohne dass es ein System von Checks and Balances gibt, also ohne staatliche Organe, die eine Kontroll- und Gegenmacht bilden könnten.

Der politische Kurs, auf dem sich Kambodscha heute befindet, ist das Ergebnis von Maßnahmen, die der Premierminister und seine Regierungspartei ergriffen haben – einige davon erst kürzlich, aber viele bereits vor Jahren.

Den Boden für 2023 bereiten

Die Auflösung der CNRP im Jahr 2017 war der Startschuss für ein immer noch andauerndes hartes Vorgehen gegen die Opposition: Oppositionelle wurden ins Gefängnis gesteckt, es gab Massenprozesse mit erfundenen Anklagepunkten sowie Angriffe gegen die Zivilgesellschaft und die Medien – alles unter dem Deckmantel, Rechtsvorschriften durchzusetzen.

Den Vorwand zur Auflösung der CNRP lieferte die Verhaftung ihres damaligen Vorsitzenden Kem Sokha in einer Nacht- und Nebelaktion in seinem Haus in Phnom Penh wegen Landesverrats. Er wurde verhaftet, auf Kaution entlassen und in einem langwierigen Prozess zu 27 Jahren Haft verurteilt. Jetzt verbüßt er seine Haftstrafe im Hausarrest in Phnom Penh.

Der ins Exil gegangene CNRP-Vorsitzende Sam Rainsy versuchte im November 2019 nach Kambodscha zurückzukehren und rief seine Anhängerschaft dazu auf, ihn zu unterstützen. Er konnte aber nicht ins Land zurück, weil die Regierung es allen ASEAN-Ländern untersagte, ihn an Bord eines Flugs nach Kambodscha zu lassen.

Jegliche Versuche, Rainsys Rückkehr zu unterstützen oder ihn in der Grenzstadt Poipet zu empfangen, hatten zur Folge, dass Dutzende seiner oppositionellen Anhänger*innen wegen strafbarer Handlungen angeklagt wurden. Seit 2019 fanden mindestens fünf Massenprozesse statt, in denen Dutzende Menschen auf einen Schlag wegen Verschwörung zum Landesverrat und Anstiftung zur Störung der gesellschaftlichen Ordnung verurteilt wurden. Einige von ihnen hatten nichts weiter getan, als ihre Unterstützung für Rainsys geplante Rückkehr nach Kambodscha in den sozialen Medien zu posten und wurden dennoch zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Vor der Auflösung der CNRP mussten im August und September 2017 mehrere bekannte und zuverlässige unabhängige Medien, darunter Radio Free Asia (RFA), Voice of America (VOA) und die Tageszeitung Cambodia Daily, ihren Sendebetrieb einstellen oder wurden geschlossen. Und genauso wurde im Februar 2023 – einige Monate vor den Wahlen – der kritische Sender Voice of Democracy abgeschaltet. In den letzten Tagen vor der Wahl forderte die Regierung von Internetprovidern, den Zugang zu zwei bereits verbotenen Medienwebseiten, der Cambodia Daily und Radio Free Asia sowie zu Kamnotra, einer lokalen Datenbankplattform, zu blockieren.

Das hat alle unabhängigen Medien – sowie die Zivilgesellschaft, Oppositionelle und kritische Stimmen – dazu gezwungen, ihre Zielgruppen über die sozialen Medien, vor allem über Facebook, zu erreichen und mit kritischen oder analytischen Informationen zu versorgen.

Öffentliche Schuldbekenntnisse und politischer Seitenwechsel

Da die Polizei weiterhin Aktivist*innen, Mitglieder der Zivilgesellschaft und Oppositionelle verhaftet, sind einige aus Angst vor Verhaftung oder Verfolgung untergetaucht oder ins Ausland geflohen. Einige wurden jedoch selbst in Thailand festgenommen. Beispielsweise berichten die CamboJa News, dass Thol Samnang, ein Mitglied der CP, in Thailand verhaftet wurde, weil er auf Facebook provozierende Aussagen gegen die CPP gepostet habe. Er wurde jedoch nicht nach Kambodscha ausgeliefert. In einem anderen Fall haben die thailändischen Behörden zwei Aktivisten aus der verbotenen politischen Opposition verhaftet und nach Kambodscha abgeschoben.

Während der ganzen Zeit hat die Regierung offensiv eine schon früher genutzte Taktik eingesetzt, um den Widerstand zu brechen. Mit der Behauptung, die Justiz sei unabhängig und die Regierung werde sich an die Gerichtsentscheidungen halten, wurde allen Untergetauchten und Inhaftierten versprochen, die Strafverfahren gegen sie einzustellen, beziehungsweise sie aus dem Gefängnis zu entlassen, wenn sie öffentlich ihre angebliche Schuld eingestehen und sich entschuldigen.

Tatsächlich wurden inhaftierte Angehörige der Opposition und Aktivist*innen aus dem Gefängnis entlassen und den Geflüchteten wurde verziehen, sobald sie in öffentlichen Erklärungen einräumten, Fehler gemacht zu haben oder von den im Exil lebenden Oppositionsführer*innen dazu verleitet worden zu sein, die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen. Diese Entschuldigungen werden in der Regel direkt an den Premierminister gerichtet und gehen häufig mit dem Versprechen einher, von nun an für die Regierung zu arbeiten. Viele Mitglieder der Opposition und Aktivist*innen erhielten exklusive Regierungsämter, mussten allerdings im Gegenzug für ihre Freiheit der CPP beitreten.

Diese Vorgehensweise ist kein neues Phänomen, sondern wurde auch in vorhergehenden Wahlen schon praktiziert, aber die Größenordnung und Bandbreite kritischer Stimmen, die zu öffentlichen Schuldbekenntnissen gezwungen wurden, hat gegenüber früheren Jahren stark zugenommen.

Die Zivilgesellschaft in Angst

Ein weiterer Kontrollmechanismus war und ist die Schikanierung und Verhaftung von Kambodschaner*innen, die für zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten, insbesondere für diejenigen, die sich mit Menschenrechtsverletzungen beschäftigen.

Nichtregierungsorganisation in Kambodscha sind federführend mit ihren Forderungen an die Regierung, Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Ihre Arbeit begann mit der Unterzeichnung des Pariser Friedensabkommens von 1991, aber im Laufe des letzten Jahrzehnts wurden sie in einer breit angelegten Kampagne als politische Kraft angeprangert, die sich mit den Oppositionsparteien verbündet habe. Seither sind sie massivem Druck ausgesetzt.

Ein nie dagewesenes Klima der Angst hat zivilgesellschaftliche und Nichtregierungsorganisationen zum Schweigen gebracht. Ihre Forderungen, dass die Regierung die Menschenrechte achten und sich an demokratische Grundsätze halten solle, blieben weitgehend ungehört, waren aber doch laut genug, um die Machthabenden gegen sie aufzubringen.

Die zivilgesellschaftlichen Gruppen befinden sich gerade in einem Zustand des Schocks oder der Verwirrung und arbeiten mit zunehmender Angst vor noch stärkeren Repressalien. Das wirkt sich leider auch auf ihre Fähigkeit aus, sich für Kambodschaner*innen einzusetzen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind.

„Frieden“ um jeden Preis

Mit seiner „Win-Win-Politik“ in den 1990er-Jahren, die darauf abzielte, die Konfliktparteien des Bürgerkriegs ins politische Mainstream einzubinden, hat sich der Premierminister als Wegbereiter der „Friedenskonsolidierung“ in Kambodscha positioniert. Bis 1998 hatten auch die letzten Khmer-Rouge-Mitglieder die Waffen niedergelegt. Seither verbreitet die CPP das Narrativ, dass die Ablösung der Regierungspartei oder des Premierministers zu Chaos und Unruhen führen würde.

Dem „Frieden“, den er im Land erreichen konnte, schreibt Premierminister Hun Sen auch das stete Wirtschaftswachstum zu, das mit Ausnahme der Corona-Jahre bei etwa sieben Prozent des BIP lag. Selbst das härteste Vorgehen der Regierung gegen die politische Opposition und kritische Stimmen wurde und wird von Anhänger*innen der Regierungspartei und des Premiers als Maßnahmen zum Friedenserhalt gerechtfertigt. Schilder und Plakate mit dem Slogan „Danke, Frieden“ sind an Regierungsgebäuden, Privatbetrieben und im öffentlichen Raum allgegenwärtig.

Ein Gegenargument gegen das Narrativ, dass „Friede in Kambodscha nur die Abwesenheit von Krieg ist“ wäre, dass „wirklicher Friede mehr als nur die Abwesenheit von Krieg sein sollte“. Das gilt vor allem, wenn man auf die Menschenrechtsverletzungen blickt und sich bewusst macht, dass es im Land keine unabhängige Justiz gibt, die für Gerechtigkeit und echte Rechtsstaatlichkeit sorgt. Der Premierminister beharrt jedoch konsequent darauf, dass seine Definition von Frieden die richtige ist.

Kein Wahlboykott und keine ungültigen Stimmzettel

Als die Wahlen näher rückten, wurde die CP von den Wahlen ausgeschlossen. Das brachte führende Oppositionspolitiker*innen, vor allem die im Ausland lebenden, dazu, die Wahlberechtigten zu einem Wahlboykott aufzurufen oder aufzufordern, ihre Stimmzettel ungültig zu machen. Nach einem ähnlichen Aufruf bei den Wahlen von 2018 war die Zahl der amtlich ungültigen Stimmen höher als der Stimmanteil der einzelnen Parteien, mit Ausnahme der CPP.

Im Juni wurde daher mitten im Wahlkampf das Wahlrecht geändert und unter Strafe gestellt, durch Aufrufe zum Wahlboykott oder durch Aufforderungen an die Wahlberechtigten, ihre Stimmzettel ungültig zu machen und öffentlich zu zeigen, auf den Wahlprozess einzuwirken.

Zudem verabschiedete das Parlament aus Ärger über die Boykottkampagne im Juni eine weitere Änderung des Wahlrechts: Wer nicht zur Wahl geht, darf bei zukünftigen Wahlen nicht kandidieren. Diese schnellen und unangefochtenen Wahlrechtsänderungen Mitten im Wahlkampf sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die CPP in Kambodscha de facto eine Einparteienherrschaft ausübt. Sie kann mitten im Spiel die Spielregeln ändern.

Indem sie jede wirkliche Opposition bei diesen Wahlen ausschaltete, sicherte sich die Partei erneut einen Erdrutschsieg. Das Ergebnis war lediglich eine Formalität, die nicht anders zu erwarten war.

Nach den Wahlergebnissen hat die CPP 120 Sitze in der Nationalversammlung gewonnen und die FUNCINPEC die restlichen fünf, wodurch das Unterhaus wieder zu einem Mehrparteienorgan wird. Hun Sen hatte schon vor den Wahlen angekündigt, nach 38 Jahren Amtszeit als Premierminister zurückzutreten und die Macht an seinen ältesten Sohn Hun Manet zu übergeben, der mit einem verjüngten Kabinett regieren würde. Der Rücktritt bedeutet aber keineswegs Hun Sens vollständige Entmachtung. Er ist nach wie vor Vorsitzender der CPP und wird diese Position auch behalten. Außerdem will er sich nach den Senatswahlen im Februar 2024 zum Präsidenten des Senats küren lassen und fungiert auch als Vorsitzender des Königlichen Thronrats.

Mit dieser Wahl ist verankert, dass die CPP das Land mindestens weitere fünf Jahre regieren wird, während die Opposition das Wahlverfahren und die politischen Prozesse verurteilen kann, aber keine Möglichkeit hat, die CPP wirklich herauszufordern.

Wie geht es weiter?

Unter den derzeitigen Bedingungen hat die politische Opposition kaum eine Chance, andere Wahlergebnisse zu forcieren, und die Arbeit der Menschenrechtsgruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen wird noch dadurch erschwert, dass die Regierung aus dem Ausland kommende Finanzierung als Einmischung in Kambodschas innere Angelegenheiten erachtet.

Gleichzeitig macht die CPP weitere Schritte in Richtung des geplanten Generationswechsels in ihrer Führungsriege, wobei zu erwarten ist, dass die alte Garde die weiteren Entwicklungen genau im Auge behalten wird. Noch weiß man nichts über den Regierungsstil der neuen Garde oder wie sie das Land führen wird, weshalb sich Kambodscha in nächster Zukunft auf einem etwas ungewissen Kurs befindet.