Alte Freunde, neuer Ton: Biden und die Tech-Industrie

Analyse

Die Silicon-Valley-Unternehmen können in einer künftigen Biden-Harris-Regierung an alte Beziehungen anknüpfen. Bürgerrechts-Organisationen warnen vor einem zu großen Einfluss von Big Tech im politischen Diskurs. Eine Rückkehr in die Obama-Zeit wird es dennoch nicht geben – von Wettbewerbsrecht bis Datenschutz muss sich die Branche auf strengere Regulierung einstellen.

Technologie ist überall: Die Grenzen zwischen analog und digital verschwammen beim virtuellen Parteitag der US-Demokraten
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Technologie ist überall: Die Grenzen zwischen analog und digital verschwammen beim virtuellen Parteitag der US-Demokraten

Sollte sich Mark Zuckerberg vor Joe Biden fürchten? Der zukünftige US-Präsident ist nicht als Facebook-Freund bekannt. Biden wurde im Wahlkampf Opfer von Desinformations-Kampagnen in sozialen Medien, und als Kandidat forderte er, Plattformen für falsche Inhalte verantwortlich zu machen. Dabei ist er sich einig mit seinem Top-Technologie-Berater Bruce Reed, einem Tech-Kritiker, der an den Verhandlungen des California Consumer Privacy Act beteiligt war, dem strengsten Datenschutzgesetz in den USA. Das ist nicht alles, was dem Facebook-Chef Sorgen machen sollte. Den Tech-Monopolisten droht unter einer Biden-Regierung auch eine schärfere Anwendung des Wettbewerbsrechts.

Eine Rückkehr in die Tech-freundliche Politik der Regierung von Barack Obama wird es unter dessen ehemaligem Vizepräsidenten nicht geben, so viel steht fest. „Kampfansagen an Big Tech liegen jetzt im Mainstream bei den Demokraten“, konstatieren die Tech-Reporter des Nachrichtendienstes Axios.

Doch hätte es schlimmer kommen können für die Branche. Anders als etwa Elizabeth Warren oder Bernie Sanders hatte Biden den „Tech-Lash“ (den öffentlichen Backlash gegen die Tech-Industrie) im Vorwahlkampf der Demokraten nicht zu einem Haupt-Thema gemacht.

Technologie zieht sich durch alle Politikfelder

Biden gilt in der Technologiepolitik als relativ unbeschriebenes Blatt – aber das Thema wird sich durch fast alle Politikfelder ziehen – von der Bewältigung der Coronakrise bis zum Kampf gegen den Klimawandel. Der Abbau der digitalen Kluft zwischen Stadt und Land wird eine Priorität sein, ebenso der Ausbau der 5G-Netze, sowie eine Wiederherstellung der von der Trump-Regierung gekippten Regeln zur Netzneutralität, die es Internetanbietern analog zu Telefongesellschaften verboten, den Verkehr zu Seiten der Konkurrenz zu drosseln oder ihre Dienste nach Bezahlung anzubieten.

Der Erhalt eines starken Technologiesektors liegt im nationalen Interesse der USA. So dürfte die neue Regierung auch alles daransetzen, den Technologievorsprung der eigenen Unternehmen gegenüber China zu behaupten – und dabei Verbündete in Europa suchen. Dabei werden auch die Beziehungen zur EU nicht konfliktfrei bleiben – von Fragen der Besteuerung der Digitalkonzerne bis zu Bedenken gegenüber dem neuesten europäischen Mammut-Regulierungsvorhaben für Internet-Konzerne, dem am 15. Dezember 2020 verabschiedeten Entwurf für einen europäischen Digital Services Act.

Für all das ist Biden auf die Expertise und die Beziehungen aus der Obama-Zeit angewiesen. Die Liste der Namen in seinem Übergangsteam liest sich wie ein „Who is Who“ der Tech-Branche. An Bord ist etwa Jessica Hertz, die frühere Leiterin der Rechtsabteilung bei Facebook. Der Leiter von Amazons Abteilung für internationale Steuerfragen, Tom Sullivan, bereitet den Übergang im State Department mit vor, und in den Teams für andere Regierungsbehörden sitzen Manager von Airbnb, Lyft und Uber. Zu Bidens engen Berater*innen zählen auch Cynthia Hogan, eine ehemalige Top-Lobbyistin bei Apple, sowie Ex-Google CEO Eric Schmidt. Im Weißen Haus wird Louisa Terrell das Büro für legislative Angelegenheiten leiten. Sie arbeitete früher in leitenden Positionen bei McKinsey, Facebook und Yahoo.

Hohe Tech-Dichte in Bidens engstem Kreis

Bei etlichen Personalien dürfte zwar die frühere Regierungserfahrung den Ausschlag gegeben haben. Terrell hatte bereits unter Obama im Weißen Haus und für Biden im Senat gearbeitet. Eine Gruppe von 32 Bürgerrechts-Organisationen zeigte sich in einem offenen Brief dennoch besorgt über die hohe Tech-Dichte in Bidens engstem Kreis. “Wir können diese Unternehmen nur zur Verantwortung ziehen, wenn Sie nicht auf sie vertrauen, um Ihre Regierung zu bilden,” hieß es in dem Brief, zu dessen Unterzeichnern Public Citizen, das American Economic Liberties Project und das Open Markets Institute gehören.

Was den Zugang angeht, ist eine Biden-Harris Regierung ein Glücksfall für die Unternehmen. Facebook bringt sich nach Berichten für eine massive Charme-Offensive in Position und setzt auf das gute Verhältnis Bidens zu dem früheren britischen Vize-Premierminister Nick Clegg, der heute die internationalen Beziehungen des Unternehmens leitet. Die Tech-Unternehmen dürften auch die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris im Visier haben, die aus ihrer Zeit als Bezirksstaatsanwältin (District Attorney) in San Francisco ihre eigenen Silicon-Valley-Connections ins Weiße Haus bringt.

Trotzdem ist man sich in der Branche bewusst darüber, dass selbst bei guten Drähten ins Weiße Haus eine Rückkehr in die Obama-Zeit nicht zur Debatte steht. So wird Biden auch von  Sarah Miller und Gene Kimmelman beraten, frühere Obama-Mitarbeiter*innen, die heute für ein Aufbrechen der Tech-Monopole kämpfen.

Die Biden-Regierung erbt die bereits jetzt historische Klage gegen Google wegen der angeblichen Ausnutzung seiner Monopolstellung im Markt für Suchmaschinen, die das Justizministerium im Oktober eingeleitet hatte. Nach dem Rücktritt von Generalstaatsanwalt William Barr ist unklar, ob eine zweite geplante Klage gegen Googles marktbeherrschende Stellung im Online-Anzeigengeschäft noch vor dem Machtwechsel im Weißen Haus eingereicht wird. Die Regulierungsbehörde Federal Trade Commission (FTC) sowie die Generalstaatsanwälte von 48 US-Bundesstaaten und -territorien reichten Anfang Dezember Klagen gegen die Marktkonsolidierung von Facebook ein, die zur Abspaltung der Dienste Instagram und WhatsApp führen könnten, die Facebook 2012 und 2014 gekauft hatte.

Wettbewerbsrecht, Datenschutz und Ethikregeln für KI

Auch im Kongress gibt es überparteilichen Appetit für ein härteres Vorgehen gegen die Internet-Konzerne – auch jenseits des Kartellrechts. Ethische Debatten wie die über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) für die Gesichtserkennung werden 2021 sowohl die Gerichte als auch den Kongress beschäftigen. Die USA stehen unter großem Druck, die im Kongress stecken gebliebene Debatte über ein nationales Datenschutzgesetz zu verabschieden – nicht nur, um US-amerikanische Verbraucher*innen zu schützen, sondern auch, um etwa bei den europäischen Verbündeten das Vertrauen in grenzüberschreitende Datenflüsse wiederherzustellen. Der Europäische Gerichtshof hatte das Privacy-Shield-Abkommen im Juli 2020 für ungültig erklärt (im Zentrum der Entscheidung standen allerdings Bedenken wegen der Überwachung von Ausländer*innen durch US-Geheimdienste).

Noch komplizierter wird die Debatte darüber, was mit Section 230 des Communications Decency Act passieren soll, der die Internet-Plattformen vor Haftung für Inhalte oder für das Moderieren von Inhalten schützt. Der Paragraf ist Demokraten und Republikanern ein Dorn im Auge, aber aus unterschiedlichen Gründen. Während Demokraten fordern, dass die Plattformen mehr Verantwortung für falsche oder schädliche Inhalte übernehmen sollten, klagen die Republikaner, dass die Plattformen unter dem Vorwand, Desinformation zu begrenzen, konservative Inhalte zensieren.

Die Biden-Regierung dürfte deshalb zwar einen Regierungserlass der Trump-Regierung aufheben, der die Bestimmung aushebeln sollte. Aber die Debatte über Desinformation ist nach dem umkämpften Wahlausgang so politisiert, dass eine ausgewogene Reform von Section 230 in absehbarer Zeit nicht sehr wahrscheinlich ist. Beim Thema Plattformregulierung könnten die USA so wieder einmal von der EU überholt werden, die nach der 2018 in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung nun auch im Kampf gegen Desinformation und Monopolmacht vorausprescht und globale Standards setzen will.