Die Wahl ist da

Hintergrund

Der Wahlkampf war lang und teuer - geprägt von einer Pandemie und Wirtschaftskrise von historischen Ausmaßen. Am kommenden Dienstag steht nun das Finale an: Die Wahl des US-Präsidenten.

Luftaufnahme des Weißen Hauses

Die Präsidentschaftswahlen sind endlich da. In einer langen, seltsamen und extrem teuren Wahl stimmen die Vereinigten Staaten am Dienstag endlich ab. Es wird eine historische Wahl sein: Sie findet während einer Pandemie und einer Wirtschaftskrise von Ausmaßen statt, wie es sie seit Beginn des letzten Jahrhunderts nicht mehr gegeben hat, und viele Amerikaner*innen haben das Gefühl, dass die Zukunft der amerikanischen Demokratie auf dem Spiel steht.

Das steht uns in den nächsten Tagen bevor:

Biden steht klar vorn

2016 war die Wahl von Trump für alle ein Schock. Laut einer Vorhersage hatte Hillary Clinton eine Gewinnchance von 98 Prozent. Verständlicherweise befürchten die demokratischen Wähler*innen, dass gute Umfragen für Joe Biden nicht bedeuten, dass er gewinnen wird.

Aber diese Wahl ist ganz anders als 2016. Trump kann sich, egal was er sagt, nicht als der Außenseiter positionieren, der "den Sumpf trockenlegen" kann. Auch wenn Bidens Karriere in öffentlichen Ämtern fast 50 Jahre lang ist, ist Trump der Präsident während der schlimmsten Wirtschaftslage seit der Großen Depression und der größten Pandemie seit der Spanischen Grippe.

Die Umfragen bestätigen dies. Biden führt vor Trump landesweit mit 9 Prozentpunkten, mehr als doppelt so viel wie Clintons Vorsprung von 4 Punkten im Jahr 2016. Da der Präsident nicht durch Volksabstimmung, sondern durch das Wahlkollegium[1] gewählt wird, kann dieser Vorsprung etwas irreführend sein. In allen bis auf zwei Staaten müssen die Präsidentschaftskandidaten die Volksabstimmung im ganzen Staat gewinnen, um die Stimmen zu erhalten, die tatsächlich über den Wahlsieger entscheiden. Aber die Stimmen der Bundesstaaten sind mit den nationalen Umfragen korreliert, und bei einem so großen Vorsprung wird es für die unterlegenen Kandidaten immer schwieriger, genügend Bundesstaaten zu gewinnen, um den Unterschied zu überwinden.

Es sieht so aus, als würden sich diese nationalen Umfragen in den Staaten bestätigen. Trump veranstaltete kürzlich eine Kundgebung in Omaha, Nebraska, einem Bundesstaat, der normalerweise republikanisch wählt. Dies zeigt, dass er in Sorge ist, Nebraska in diesem Jahr an die Demokraten zu verlieren. Und Biden führt Wahlkampf in Georgia und Texas, zwei Staaten, von denen sein Wahlkampteam glaubt, dass er gewinnen kann. 2016 stimmten beide Bundessstaaten klar für Trump. Wisconsin, das Trump 2016 mit weniger als 23.000 Stimmen Vorsprung gewann, sieht dieses Mal wie ein leichter Sieg für Biden aus. Am wichtigsten ist jedoch, dass Bidens Stimmenvorsprung stabil aussieht.

Trump könnte am Dienstag noch gewinnen. Es bleibt eine sehr reale Möglichkeit. Aber es sollte niemanden überraschen, wenn Biden gewinnt.

Beobachten Sie diese Schlüsselstaaten

Da der Gewinner des Wahlkollegiums zum Präsidenten gewählt wird, sind bestimmte Staaten viel wichtiger als andere. Zum Beispiel hat Kalifornien von allen Bundesstaaten die meisten Stimmen im Wahlkollegium. Aber es ist so demokratisch, dass die Republikaner nicht versuchen, seine Stimmen zu gewinnen. Und in New Hampshire, mit nur 3 Stimmen, konkurrieren die Kandidaten. Zwischen Republikanern und Demokraten unentschiedene Staaten mit wechselnden Mehrheiten werden Swing States genannt, und sie entscheiden, wer die Präsidentschaft gewinnt.

Einige dieser Staaten sind die gleichen, mit deren Wahlmännern und Wahlfrauen Trump 2016 die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Der Mittlere Westen mit Bundesstaaten wie Ohio und Michigan wird wieder wichtig sein. Bidens Vorsprung in der Region ist viel größer als der von Clinton, außer in Pennsylvania, das wahrscheinlich über die Wahl entscheiden wird. In den dortigen Umfragen führt Biden derzeit mit 5 Punkten, aber Trump liegt innerhalb der Fehlermarge. Michigan, ein Bundesstaat, in dem Clinton keinen Wahlkampf geführt und 2016 mit weniger als 11.000 Stimmen verloren hat, war ein Schwerpunkt der Biden-Kampagne. Der Parteitag der Demokraten sollte dort stattfinden, bevor die Pandemie ihn zwang, virtuell zu sein. Laut Umfragen ist es viel wahrscheinlicher, dass Biden dort gewinnt als Clinton. Ein Bundesstaat in der Region widersetzt sich dem Trend, sich in Richtung Biden zu bewegen: Ohio, zuvor ein Swing State, stimmte 2016 für Trump, und es sieht so aus, als würde es wieder so sein. Weitere Staaten in der Region sind Minnesota und Iowa.

Neben Pennsylvania wird der ewige Swing State Florida eine große Rolle spielen. Tatsächlich ist Florida so wichtig, dass beide Kandidaten am Donnerstag in Tampa Kundgebungen abhielten (Biden sozial distanziert, Trump nicht), eine Seltenheit in einer normalen Wahlsaison. Entsprechend den Veränderungen in der politischen Geografie Amerikas stehen auch andere Staaten in dem sogenannten Sun Belt (Sonnengürtel) - Staaten in den südlichsten Teilen der USA – auf der Wähler-Kippe. Georgia, früher eine Hochburg der Republikaner, gilt als Ziel der Biden-Kampagne. Im Jahr 2018 kam der Aufsteiger der Demokratischen Partei, Stacey Abrams, dem Sieg bei den Gouverneurswahlen sehr nahe. Texas, ein Bundesstaat, von dessen Gewinn die Demokraten seit Jahren träumen, ist ebenfalls erreichbar geworden. Auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Beto O'Rourke, der sich in den Vorwahlen nicht durchsetzen konnte, hatte 2018 ein respektables Ergebnis bei der Wahl für einen der Senatssitze des Bundesstaates erzielt. Wenn es Biden gelingt, Trump dort zu schlagen und damit den zweitgrößten Satz an Wählerstimmen im Land zu gewinnen, werden die Chancen für Trump sehr gering. Weitere Staaten im Sun Belt, die entscheidend sein könnten, sind North Carolina, Arizona und Nevada.

Aufgrund ihres Bevölkerungsreichtums und der damit verbunden hohen Zahl an Wahlmännern und –frauen haben sowohl Pennsylvania, Florida als auch Texas das Potenzial, das „Zünglein an der Waage“ zu sein.

Trump wird die Ergebnisse anfechten

Leider gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass Trump eine kampflose Niederlage akzeptieren wird. Im Jahr 2016 behauptete er fälschlicherweise, Millionen von Immigranten hätten Clinton illegal gewählt, obwohl er die Präsidentschaft gewonnen hatte. Und in diesem Jahr hat er mit viel schlechteren Aussichten auf den Wahlgewinn bereits den Grundstein dafür gelegt, keine Niederlage anzuerkennen.

Er hat sich wiederholt geweigert zu sagen, dass er die Ergebnisse akzeptieren werde, und die Republikaner haben dafür gekämpft, die Wahlbeteiligung zu senken. Die Republikaner haben zum Beispiel dafür gekämpft, die Briefwahl zu erschweren, in Zeiten, in denen durch die Covid-19-Pandemie viel mehr Menschen als in den Vorjahren die persönliche Stimmabgabe in den Wahlkabinen meiden.

Einige der Swing States wie Arizona und Georgia werden die vorzeitig abgegebenen Stimmen schnell zählen. Im Gegenzug können Pennsylvania und Wisconsin erst am Wahltag mit der vorzeitigen Stimmauszählung beginnen. Angesichts der Bedeutung, die Pennsylvania wahrscheinlich haben wird, ist die Bühne für einen langen Rechtsstreit bereitet. Es gab auch mehrere Fälle vor dem Obersten Gerichtshof, in denen es um Änderungen der Stimmabgabe als Reaktion auf die Pandemie ging. Einer sticht heraus: Der unter Trump eingesetzte Supreme Court-Richter Brett Kavanaugh, der George W. Bush half, die Neuauszählung in Florida im Jahr 2000 zu stoppen und damit die Wahl zu gewinnen. Er schrieb eine Entscheidung über die Stimmabgabe in Wisconsin, die besagte, dass nur die am Wahltag gezählten Stimmen tatsächlich zählen und nicht die, die am späteren Tagen gezählt werden. Amy Coney Barrett, jüngst ernannte Nachfolgerin der Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg, arbeitete auch als Anwältin für Bush an der Neuauszählung der Stimmen in Florida im Jahre 2000. Als Supreme Court-Richterin hat sie noch nicht an der aktuellen Welle von Entscheidungen über die Stimmabgabe mitgewirkt.

Es gibt jedoch gemischte Signale. Am Tag nach der Entscheidung in Wisconsin, die die Auszählung verspätet aber gesetzlich abgegebenen Stimmen verbietet, gewährte der Oberste Gerichtshof in Pennsylvania und North Carolina, zwei Staaten, in denen Biden und Trump viel näher als in Wisconsin beieinander liegen, spätere Fristen für die Briefwahl. Trump hat wiederholt gesagt, dass er glaubt, dass der Oberste Gerichtshof die Wahl entscheiden wird. Wie im Jahr 2000 wird das Ergebnis dieser Wahl wahrscheinlich noch einige Zeit nach dem Wahlstopp am 3. November unklar sein.

Unruhen im Land sind ebenfalls sehr wahrscheinlich. Die Polizeibehörden im ganzen Land bereiten sich auf große Proteste nach dem Wahltag vor. In den Präsidentschaftsdebatten sagte Trump den "Proud Boys", einer rechtsgerichteten Hassgruppe, dass sie sich "bereithalten" sollten. Es wurden Pläne einer rechten Miliz bekannt, die demokratische Gouverneurin von Michigan zu entführen. Seit dem Tod von George Floyd in Minnesota sind den ganzen Sommer über Proteste und Unruhen im Gange. Manchmal waren diese tödlich, wie in Kenosha, Wisconsin, oder Portland, Oregon. Auch bei den Protesten gegen Polizeigewalt gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Proteste vor der Wahl nachlassen: zwei Todesfälle schwarzer Männer in Philadelphia und Washington, DC, allein in dieser Woche lassen den Schluss zu, dass die Proteste weitergehen werden. Trump-Anhänger sind Ende August mit Demonstranten von Black Lives Matter zusammengestoßen, und es ist wahrscheinlich, dass beide Gruppen - unabhängig vom Ausgang der Wahl – am 4. November protestieren werden. Schon jetzt sind die Spannungen an den Orten der vorfristigen Stimmabgabe groß, und sowohl Demokraten als auch Republikaner behaupten, dass es bei den Wahlen darum geht, Amerika vor der anderen Seite zu retten. Wenn die Wahl nicht offensichtlich von Biden oder Trump gewonnen wird, werden die Proteste wahrscheinlich bis zur Amtseinführung des nächsten Präsidenten am 20. Januar 2021 andauern.

Ganz gleich, was in den Tagen danach passiert, der 3. November wird für den Vereinigten Staaten von Amerika eine entscheidende Wahl sein.


[1] Die Staaten erhalten im Wahlkollegium Stimmen in Höhe der Anzahl ihrer Senatoren (zwei für jeden Staat) und Vertreter im Repräsentantenhaus (auf der Grundlage der Bevölkerungszahl). Der District of Columbia, der kein Bundesstaat ist, hat so viele Stimmen im Wahlkollegium wie der Bundesstaat mit der niedrigsten Zahl, die derzeit 3 beträgt. Alle bis auf zwei Bundesstaaten und den District of Columbia geben ihre Stimmen im Wahlkollegium an den Gewinner der landesweiten Abstimmung ab. In Nebraska und Maine gewinnt der Gewinner der landesweiten Wahl zum Präsidenten zwei Stimmen im Wahlkollegium, da die Senatoren landesweit gewählt warden. Der Rest ihrer Stimmen geht an den Gewinner ihrer US-Repräsentantenhauswahlkreisen. Das bedeutet, dass mehrere Kandidaten in Nebraska und Maine Wahlstimmen gewinnen können.