Es muss etwas passieren: Griechenland und die aktuelle Flüchtlingskrise

Hintergrund

Die Flüchtlingssituation, die 2015 ihren Anfang nahm, brachte Griechenland weltweit in die Schlagzeilen. Diese massive Wanderbewegung von Menschen nach Europa hat die lokale, nationale und europäische Politik quasi im Handumdrehen verändert.

Syrische Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos

Politische Reformen in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten wurden aufgrund der sogenannten Flüchtlingskrise umgesetzt. Der politische Diskurs drehte sich lange Zeit um dieses Thema, und die EU nahm eine sehr defensive Haltung ein, die – leider in hohem Maße – auf Abschreckung basierte.

Fünf Jahre später hat sich die Situation nicht wesentlich verändert, wenn man bedenkt, dass die allgemeine EU-Türkei-Erklärung nach wie vor als wichtigstes politisches Instrument angeführt und stillschweigend weiterhin auf Abschreckung gesetzt wird. Noch immer gibt es einen breiten globalen Diskurs um das Thema Migrations- und Flüchtlingspolitik. Es gibt zwei Global Compacts der UNO (nicht rechtsverbindlich), und auf EU-Ebene diskutieren wir die nächsten Schritte vor dem Hintergrund eines neuen Migrations- und Asylpakts.

Die neue griechische Regierung verschlimmert die politische Ausgangslage für Flüchtende

Die Ereignisse am Grenzfluss Evros im März 2020 haben die ohnehin schon komplizierte Situation in Griechenland weiter verschlimmert, da Geflüchtete als Schachfiguren auf einem geopolitischen Schachbrett eingesetzt wurden.

Seit den Wahlen im Juli 2019 und dem Sieg der konservativen Partei, Nea Dimokratia, hat es bedeutsame politische Veränderungen in Bezug auf die Aufnahme von Geflüchteten gegeben. Diese machen die ohnehin schon kritische Situation in den Aufnahmelagern - insbesondere auf den nordägäischen Inseln - noch brisanter.

Der Asylprozess ist schwerer zugänglich, und die griechische Regierung hat alles darangesetzt, die Zahl der Rückführungen von Geflüchteten zu erhöhen. Schutzbedürftigkeitskriterien wurden geändert, um die Zahl derer zu reduzieren, die von einer solchen Einstufung profitieren könnten. Das Fehlen angemessener Unterkünfte für anerkannte Geflüchtete wird umso augenscheinlicher, als viele von ihnen von Obdachlosigkeit bedroht sind, da es keinen sozialen Wohnungsbau in Griechenland gibt. Integration ist nach wie vor keine Komponente im Narrativ der Regierung, die bis heute keinen langfristigen Plan vorgelegt hat.

Natürlich darf man die wachsende Ausländerfeindlichkeit und den zunehmenden Rassismus gegen Geflüchtete - die sich in der gesamten EU breit machen - in diesem Zusammenhang nicht außer Acht lassen. Grund dafür sind mangelhaftes politisches Handeln und die Wahrnehmung, dass die Geflüchteten ohnehin nach ihrer Anerkennung weiterziehen, „da ihnen Griechenland auch zehn Jahre nach der Finanzkrise nichts zu bieten hat“.

Von der deutschen Ratspräsidentschaft erwartet Griechenland Solidarität und Verantwortung auch im Hinblick auf die Coronakrise

In dieser überaus instabilen Situation belastet nun die Covid-19 Pandemie zusätzlich die nationalen Gesundheitssysteme sowie den sozialen Zusammenhalt, da die meisten Regierungen restriktive Maßnahmen verhängt haben, um eine Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Griechenland hat für Aufnahmezentren und Flüchtlingsunterkünfte strengere Maßnahmen ergriffen und den Ansatz der „Herdenimmunität“ verfolgt – verglichen mit den Maßnahmen, die für die allgemeine Bevölkerung galten und die sich vorwiegend auf Erfassung, Nachverfolgung und Quarantäne stützten.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die deutsche Ratspräsidentschaft noch einmal mehr an Bedeutung, denn es geht darum, viele große Herausforderungen für die EU zu bewältigen:

Erstens, die sozioökonomischen Konsequenzen der Pandemie, nachdem die EU gerade dabei war, die massive Finanzkrise überwunden zu haben; zweitens, die politischen Konsequenzen des verzerrten Migrationsdiskurses, und schlussendlich die Notwendigkeit einer mutigen und progressiven Führung, die es der EU ermöglicht, sich in dieser neuen Realität zurechtzufinden.

Denn letztlich hatten fehlende Koordination, Einigkeit und Solidarität auf europäischer Ebene negative Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, eine derartig umfangreiche Aufgabe mit enormen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Konsequenzen zu bewältigen. Die Ratspräsidentschaft sollte einen Aktionsplan vorlegen und wichtige Finanzinstrumente mobilisieren, um diese Auswirkungen abzufedern.  

Im Zusammenhang mit der Migrations- und Flüchtlingssituation erwartet Griechenland auf EU-Ebene einen politischen Kurswechsel, der Solidarität und Verantwortung für alle Mitgliedsstaaten fördert, eine radikale Abkehr von der Dublin-Verordnung darstellt und nicht weiter auf die gescheiterte EU-Türkei-Erklärung setzt.