Die Europäische Union, die Aussetzung von Handelspräferenzen und die Sanktionslogik

Kommentar

Unter dem Allgemeinen Präferenzsystem (APS) genießen seit den 1970er Jahren Entwicklungsländer Handelspräferenzen in der Form einer Zollvergünstigung, die ihren Zugang zum EU-Binnenmarkt verbessert. Vorrausetzung dafür ist, als Land mit geringem Einkommen eingestuft zu sein, und eine wenig differenzierte Exportstruktur aufzuweisen. Ziel der Vergünstigung ist es, die wirtschaftliche Entwicklung der Länder zu fördern und ihre Einbindung in den Weltmarkt zu stärken.

Die Europäische Union: Abstimmung im Parlament. Foto von einem Finger vor der Fahne

Zwei unterschiedliche Sonderregelungen räumen Begünstigten die Möglichkeit ein, Vorteile zu genießen, die über die durch das allgemeine APS erteilte Vergüngstigungen hinausgehen. Die „Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Staatsführung“, oder „APS Plus“, begünstigt diejenigen Länder, die sich zur Einhaltung von 27 multilateralen Konventionen im Bereich nachhaltiger Entwicklung und good governance verpflichten, durch einen verbesserten Zugang zum europäischen Markt.

Bei den von den Vereinten Nationen als „Am wenigsten entwickelten Ländern“ (Englisch Least Developed Countries, LDC) klassifizierten Staaten wie Kambodscha oder Myanmar fällt der Zoll unter dem Alles-Auβer-Waffen (Englisch Everything but Arms, EBA) Programm bei praktisch allen Exportprodukten weg.

Myanmar und Kambodscha zwei Nutznießer der EBA

In den vorausgehenden Beiträgen der hbs-Büroleiter aus Kambodscha und Myanmar werden unterschiedliche Probleme angesprochen, die mit den EBA Handelspräferenzen der EU einhergehen, und auch die mit ihnen verbundene politische Konditionalität, die mit der Gestaltung und der Aussetzung des Präferenzsystems zusammenhängen. Dies kann man an den Beispielen Kambodschas und Myanmars nachvollziehen.

Einerseits zeigen Handelspräferenzen perverse Effekte in Kambodscha. Andererseits werden bei einer Aussetzung der EBA weitreichende Kollateralschäden in Myanmar erwartet. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass die Aussetzung, vor allem im Falle Myanmars, zu keiner Verhaltensänderung seitens der politischen Elite führen wird.

Die politische Relevanz dieser Themen geht über die Entscheidungen hinaus, die in den Fällen Kambodscha und Myanmar getroffen werden sollen. Bald muss die EU Verordnung, die das Regime der EU Handelspräferenzen für Entwicklungsländer regelt, erneuert werden. Der Erneuerungsprozess bietet eine hervorragende Gelegenheit, dieses System zu überdenken und möglicherweise zu reformieren.

Die Beispiele Kambodscha und Myanmar weisen Problembereiche auf, die in der nächsten APS Verordnung aufgegriffen werden sollen. In diesem Kurzbeitrag werden diese Themen erörtert und mit der wissenschaftlichen Sanktionsdebatte in Verbindung gebracht.

Kambodscha: Präferenzen, die weder Mensch noch Umwelt helfen

Dass die Handelspräferenzen zu Landraub in Kambodscha geführt haben, ist eine äußerst negative Entwicklung, die zeigt, dass die entwicklungsfreundliche, wohlgemeinte Absicht der Handelspolitik sich nicht automatisch verwirklicht. Um ungewollte Effekte wie Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden, bedarf die Aufnahme in das EBA Programm einer detaillierten ex-ante Untersuchung und Risikobewertung darüber, welche Auswirkungen für die lokale Bevölkerung vorauszusehen sind.

Die Zollvergünstigungen locken zwar Unternehmen aus der Region in die begünstigten Länder, doch deren Niederlassung und Investitionen bedingen nicht notwendigerweise mehr Jobs, bessere Gehälter oder günstigere Arbeitsbedingungen. Dass der Vorteil von Handelspräferenzen und die Verbesserung des Wohlstands lokaler Gemeinschaften in keinem unmittelbaren Verhältnis stehen, sollte nichts Neues sein.

Das spricht dafür, dass eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, bevor die Vergünstigungen gewährt werden, bzw. dass ihre Auswirkungen darüber hinaus vor Ort eng überwacht werden. In der Planung sollten Mechanismen konzipiert werden, die sicherstellen, dass sich die wirtschaftlichen Vorteile der Präferenzen möglichst breit auf die Bevölkerung verteilen und negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt vermieden werden.

Andere Vergünstigungsprogramme bieten höheren Schutz der Menschenrechte

Kurioserweise ist die Konditionalität im EBA Programm weniger ausgeprägt als bei anderen Handelsvergünstigungsprogrammen. Und das könnte ein Fehler sein. Dass die begünstigten Staaten sich unter den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, den LDCs, befinden, ist nicht unbedingt ein Grund dafür, sie in nicht ein APS Plus-ähnliches Konditionalitätssystem einzugliedern.

Gerade ist es bei diesen Ländern besonders wichtig, dass die begünstigten Regierungen den Zielen der Nachhaltigkeit und Schutz der Menschen- und Arbeitsrechte folgen, die den Kern der APS Plus ausmachen und somit Ausbeutung vermeiden sollen. Die APS Plus Sonderregelung bietet Anreize, die dazu beitragen, dass Begünstigte Nachhaltigkeitskonventionen der UNO eingliedern. Anders formuliert: Dank der Vergünstigungen werden Entwicklungsländer dazu angehalten, Nachhaltigkeitskonventionen zu implementieren.

Zudem bringt sie einen intensiven Überwachungsmechanismus mit sich, durch den die Europäische Kommission die Umsetzung der Konventionen eng begleiten könnte. Das könnte auch helfen, Probleme wie Landraub frühzeitig zu erkennen und zu adressieren. Und schließlich würde das APS Plus Konditionalitätssystem möglicherweise den Entzug der Vorzugsbehandlung aufgrund der umwelt- und menschlichen Folgen des Landraubs, wie im Falle Kambodschas, erlauben.

An der nun anstehenden Suspendierung der Präferenzen ist zu kritisieren, dass sie in erster Linie aufgrund der sich verschlechternden Situation politischer Rechte erfolgt, nachdem die Umweltschäden und menschenrechtliche Vergehen, die durch Landraub verursacht wurden, bereits weit fortgeschritten sind. Die Folgen der voranschreitenden Abholzung in Kambodscha werden sich langfristig bemerkbar machen, und zwar jenseits der Generation, die durch Landraub enteignet wurden.

Myanmar: Durch gezielte Aussetzung Kollateralschaden vermeiden

Kollateralschäden zählen zu den am häufigsten formulierten Vorwürfen gegen Sanktionen. Die Befürchtung, dass in erster Linie die Bevölkerung an den Folgen des Präferenzentzugs leiden wird, ist nicht unbegründet. Dies gilt obwohl die Aussetzung der Vorzugsbehandlung keine Sanktion im eigentlichen Sinne ist, denn sie bedeutet lediglich die Wiederherstellung normaler Handelsströme.

Eine Aussetzung der Handelspräferenzen bedeutet nach wie vor, dass die Stellung der Exporte sich relativ zu den Konkurrenten verschlechtert, die vergleichbare Produkte in den europäischen Markt liefern. Dadurch werden die Exporte des suspendierten Begünstigten im regionalen Vergleich weniger konkurrenzfähig, was zu einem entsprechenden Marktverlust führen dürfte. Genau diese Situation trat im Falle Myanmars infolge des 1989 Präferenzentzugs seitens der USA ein, die die Textilindustrie besonders hart traf und zur Arbeitslosigkeit beitrug. Dass die Gesamtsuspendierung der Handelspräferenzen sich negativ auf die Bevölkerung auswirkt, wurde bereits erkannt.

Konzept der gezielten Sanktionen zur Vermeidung von Kollateralschäden

Allerdings muss die Aussetzung der Vorzugsbehandlung keine Kollateralschäden verursachen. Mitte der neunziger Jahre wurde das Konzept der gezielten Sanktionen entwickelt, nach dem Sanktionsinstrumente auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten werden sollen. Sie sollen nur die Entscheidungsträger treffen, die für eine bestimmte Politik oder Handlung Verantwortung tragen, ohne den Rest der Bevölkerung zu benachteiligen. Seit der letzten Version der APS Verordnung von 2012 besteht die Möglichkeit, Präferenzen für einzelne Produkte statt die gesamten Vergünstigungen zu suspendieren.

Von dieser Bestimmung wurde noch kein Gebrauch gemacht – allerdings könnte Myanmar einen ersten Fall darstellen. Eine Teilsuspendierung hätte deutliche Vorteile. Erstens könnten Vergünstigungen nur für Sektoren ausgesetzt werden, die von den verantwortlichen Eliten kontrolliert werden, oder eng damit zusammenhängen.

Dadurch könnten andere Sektoren und damit Arbeitsplätze geschont werden. Zweitens kann eine Teilsuspendierung diverse Eskalationsstufen im Verhandlungsprozess bieten, ein Merkmal, was bei einer Gesamtsuspendierung nicht vorhanden ist. Wichtig ist, dass die betroffenen Produkte eine möglichst unmittelbare Verbindung zu den Gruppen haben, die für die Verfolgung der Rohingya verantwortlich sind oder zu den politischen Eliten gehören, die es unterlassen, die Verfolgung zu stoppen. Drittens würde eine gezielte Vorgehensweise der Öffentlichkeit gegenüber deutlich machen, gegen wen und aus welchem Grund die EU handelt.

Auf dem Spiel steht die Vertrauenswürdigkeit der EU

Ein gezieltes Vorgehen ist gewiss keine Garantie dafür, dass die Aussetzung zu einem Politikwechsel führt, den die EU sich wünscht. In der Sanktionsdebatte wird häufig angenommen, dass das Sanktionsziel nur den Sanktionierten betrifft. Das stimmt nicht immer. Wenn Handelspräferenzen trotz schwerwiegenden Menschenrechtsverstöβen weiterbestehen, verliert die politische Dimension des APS und die EU ihre Vertrauenswürdigkeit.

Dadurch werden nicht nur die Erwartungen zivilgesellschaftlicher Akteure in den Zielländern enttäuscht, die auf den Einfluss der EU hoffen, um ihre Agenda zugunsten der Arbeits- und Menschenrechte sowie der Nachhaltigkeit zu unterstützen. Das Zögern der EU, Aussetzungsverfahren einzuleiten, wird den Regierungen anderer begünstigten Länder nicht entgehen.

Einige darunter werden sich fragen, ob sie ihre Verpflichtungen wirklich einhalten sollen, wenn sie so oder so ihre Vorzugsbehandlung behalten dürfen. Deshalb sollte nicht nur gefragt werden, wem geholfen wird, wenn man die Präferenzen suspendiert. Hier kann auch die umgekehrte Frage gestellt werden: Wem wird geholfen, wenn die Suspendierung nicht vollzogen wird?