Marrakesch: Ein Pakt, der es packt!

Kommentar

Der Migrationspakt in Marrakesch ist verabschiedet und unterstreicht gegen alle Widerstände die Multilateralität.

Marktplatz Djemaa el Fna
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Auf dem Marktplatz Djemaa el Fna.

Nun gibt es ihn also, den „Globalen Pakt für sichere, geordnete und geregelte Migration“ – kurz „Migrationspakt“. An einem sonnig-warmen Tag in der „roten Stadt“, wie Marrakesch genannt wird - auf einem eigens für das UN Ereignis gestalteten, eilends bepflanzten und mit Zelten versehenen freien Platz unweit des Königs-Palasts erblickte er Montag das „Licht der Welt“. Und obwohl es König Muhammad VI eigentlich nicht weit hat, kam er im letzten Moment doch nicht und ließ eine Botschaft verlesen.

Wer kam und wer nicht war dann auch so ziemlich das Wesentliche des Ereignisses. 164 Staaten sprachen sich für den Pakt als ein rechtlich nicht bindendes aber politisch verbindendes Rahmenwerk aus, 28 Staaten lehnten ab. Die USA stiegen im Vorfeld aus, aber auch Österreich, Ungarn und dann Tschechien und weitere europäische Länder, Israel, Australien und ganz kurz vor dem Ereignis noch Chile und die Dominikanische Republik. In Belgien platzte eine Koalition am Streit um die Teilnahme und in vielen europäischen Ländern wurde innenpolitisch und auch parteipolitisch, sowie medial hart um den Pakt und mögliche oder unmögliche Implikationen gestritten. Die Rechtspopulisten vieler Länder machten den Migrationspakt vollends zum „roten Tuch“ auf das sie monatelang, wie wild gewordene Stiere einrannten und die Regierungen mit dem Tuch in der Hand verteufelten. In den deutschen sozialen Medien heizten Social Bots, also automatisierte Tweets die Hetze gegen den Pakt an und der Begriff der „Umvolkung“ machte die Runde, um Ängste zu schüren.

Noch in den Hotel-Lobbys in Marrakesch sollen, so erzählte man am Wochenende in Marrakesch, „US-State Department“ Vertreter versucht haben Delegations-Mitglieder von Befürworter- Staaten umzustimmen und vor dem Gelände des Großereignisses lauerten „rechte Medien“ auf Interviewpartner, die sich „in die Falle“ reden sollten.

In den vier „Sessions“ dieses Gipfels wurden dann Worte gesprochen, die vielleicht noch ein wenig nachhallen. Die Rede von António Guiterres, der das gesamte Vorhaben sehr eloquent zusammenfasste und Notwendigkeiten anmahnte, die in einer zivilisierten Welt eigentlich selbstverständlich sein müssten. Zum Beispiel die, dass Migranten Menschenrechte haben, die geschützt gehören. Der Vertreter der Wirtschaft der an Potentiale erinnerte, die den Herausforderungen gegenüberstehen und die von der einseitigen Absicht vieler Staaten Migration mit allen Mitteln zu reduzieren überrollt werden. Die Worte der jungen Aktivistin, die von sehr persönlichen Erfahrungen in Sri Lanka berichtete, der belgische Premier Charles Michel, der sich wortreich auf die „richtige Seite der Geschichte“ stellte und schließlich Angela Merkel, die zwar einige im Saal (vermutlich in Anerkennung ihrer Haltung 2015) vom Stuhl reißt aber mehrfach von „illegaler Migration“ spricht, um schließlich zu versprechen, dass „legale (Arbeit-)Migration“ Wohlstand schaffe. Ihr Kommen setzte ein Zeichen und ihr Verweis auf die Dringlichkeit multilateraler Lösungen einen wichtigen Akzent.

Denn die Vereinten Nationen haben in diesen Zeiten der schrittweisen Untergrabung multilateraler Vereinbarungen tatsächlich den Versuch unternommen einen Referenzrahmen zu setzen, der die Möglichkeit bieten soll irreguläre – also abgewehrte und für Menschen zunehmend lebensgefährlich gewordene Migration in reguläre und sichere zu wandeln. Das heißt eben nicht „offene Grenzen für jeden“ sondern ein humaneres und gleichsam effektiveres Management des historischen Phänomens, das von manchen zur Bedrohung stilisiert wurde und wird. 23 Ziele sind dabei formuliert und alles in allem stellt das Werk den Versuch eines Interessensausgleichs zwischen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländern dar. Wie unausgewogen das Werk letztlich ist, darüber kann man streiten. Der Pakt sollte aber weder Grund für übertriebene Ängste in Aufnahmegesellschaften noch Anlass für übermäßige Hoffnungen in den Herkunftsländern bieten.
Der Migrations-Pakt ist nun angenommen und wird formell noch von der UN Generalversammlung abzusegnen sein. Die Polarisierung in den Gesellschaften wird sich noch eine Weile an dem Dokument aufhängen. Aber dann werden sich die Migrationsgegner anderen „roten Tüchern“ zuwenden und sich weiter eingraben in vermeintlicher kultureller (oder religiöser) Homogenität.

Der Migrationspakt aber wird zu implementieren sein. Mit ihm bietet sich die Chance Staaten stärker als bislang daran zu messen, was sie für eine aktive Gestaltung von Migration tun.

In Marrakesch geht der Tag zu Ende wie viele andere. Jugendliche tummeln sich auf dem Jemaa el-Fnaa, dem zentralen Platz der Altstadt und während die Staatenvertreter in ihre Hotels rauschen oder bereits den Rückflug antreten, träumen die jungen Marokkaner vergeblich von einem besseren Leben und vom Abenteuer Fremde.