La Parota, Mexiko: Ein Staudamm um jeden Preis?

Interview

Seit fünfzehn Jahren kämpfen Gemeinden im südwestlichen Bundesstaat Guerrero in Mexiko gegen das Staudammprojekt „La Parota“. Mit dem Widerstand hat auch die Repression gegen die soziale Bewegung CECOP zugenommen. Im Januar diesen Jahres erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt. Ein Interview mit Diana Figueroa von der Menschenrechtsorganisation Tlachinollan.

Staatliche Sicherheitseinheiten
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Staatliche Sicherheitseinheiten rücken in die Gemeinde Concepción ein. (7. Januar 2018)

Seit über vierzig Jahren versucht die mexikanische Regierung im südwestlichen Bundesstaat Guererro ein Staudammprojekt durchzusetzen, um die Touristenhochburg Acapulco mit Energie zu versorgen. Die Durchführungsorganisation ist die staatliche Elektrizitätsbehörde CFE (Comision Federal de Electricidad). Der 162 Meter hohe Damm und die Überschwemmungen des Gebietes durch die Stauung der Flüsse Papagayo und Omitlan hätten eine Umsiedlung von 21 Gemeinden mit über 20 000 Einwohner/innen zur Folge. Indirekt betroffen wären weitere 75 000 Menschen aus dem Umland. Die meisten leben von der Landwirtschaft, die Flüsse sind ihre Lebensgrundlage.

Anhänger der CECOP protestieren
Die ersten Studien zu den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Projektes wurden in den achtziger Jahren durchgeführt, und schon damals wurden die Interessen und Bedürfnisse der zum größten Teil indigenen Bevölkerung nicht berücksichtigt. Um ihr Territorium zu verteidigen, gründeten sie vor fünfzehn Jahren den “Rat der Gemeindelandbesitzer und der Gemeinden gegen das Staudammprojekt La Parota”, kurz CECOP. Mit der Unterstützung der Anwälte des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko, konnten sie ihre Rechte auf ihr Territorium, Autonomie und Konsultation bislang mit Erfolg durchsetzen. In zahlreichen Gemeindeversammlungen stimmten sie gegen das Projekt und seine Einstellung wurde mit einem Urteil vom Agrartribunal im Jahr 2010 legal verankert. Doch die CFE gibt sich nicht geschlagen. Immer wieder stehen die Bagger vor der Tür.

Mit dem sozialen Widerstand der betroffenen Gemeinden nahm die Repression von Seiten der staatlichen Autoritäten zu. Anhänger/innen der CECOP werden bedroht und kriminalisiert, ein nicht seltener Fall in Mexiko: Laut einem Bericht von Global Witness wurden im Jahr 2017 fünfzehn Umweltaktivist/innen ermordet. Dreizehn von ihnen waren Indigene, die ihr Territorium vor Großprojekten verteidigten.

Im Januar 2018 erreichte die Gewalt im Fall La Parota ihren Höhepunkt: Bei einer Auseinandersetzung zwischen der indigenen Gemeindepolizei1  (Policia Comunitaria, kurz CRAC) und Sympathisanten des Projektes wurden zwei Gemeindepolizisten und sechs Zivilisten getötet. Daraufhin griffen staatliche Sicherheitskräfte ein. Sie entwaffneten die CRAC. Dabei wurden drei von ihnen erschossen und 38 CECOP und CRAC-Mitglieder verhaftet.

Wir sprachen mit Diana Figueroa, Anwältin des Menschenrechtszentrums Tlachinollan aus Guerrero, über die aktuelle Situation:

Das Projekt La Parota gilt als eingestellt, warum ist das Thema heute wieder hochaktuell?  

Der Fluss Papagayo, der durch La Parota  gestaut werden soll.
Diana Figueroa: Obwohl Großprojekte wie La Parota legal als suspendiert erklärt und damit jegliche extraktiven Aktivitäten verboten sind, werden sie nicht ad acta gelegt, sondern bleiben Teil des Entwicklungsplans der Regierung. Diese versucht nach wie vor, das Projekt durchzusetzen und greift dabei auf bedenkliche Methoden zurück: sie korrumpiert lokale Autoritäten, entfacht Konflikte innerhalb der Gemeinden, bedroht Bewohner/innen und manipuliert die Versammlungen, bei denen die rechtskräftigen Kollektiventscheidungen getroffen werden. Ziel ist es, die Bewegung der CECOP zu spalten und den Widerstand zu schwächen, um Macht und Kontrolle über das Territorium zu gewinnen. Dabei setzen sie besonders auf die Kriminalisierung der indigenen Gemeindepolizei CRAC, die starken Rückhalt in der Gemeinde genießt. Auch die organisierte Kriminalität muss in diesem Konflikt erwähnt werden, denn auch ihre Interessen an dem Projekt kurbeln die Gewalt weiter an. Der 7. Januar hat gezeigt, dass mit allen Mitteln versucht wird, La Parota durchzusetzen.

Was genau ist am 7. Januar diesen Jahres passiert?

Am frühen Morgen des 7. Januar kam es in der Gemeinde La Concepción zu einer Auseinandersetzung zwischen indigenen Gemeindepolizisten (CRAC) und Befürwortern des Projektes, bei der zwei Mitglieder der CRAC getötet wurden. Das Kreuzfeuer verstärkte sich und führte zum Tod von sechs der Zivilisten.
Daraufhin rückten mehr als 200 Mitglieder der Armee und Bundespolizei in die Gemeinde ein, um die CRAC zu entwaffnen und die Gemeinde einzuschüchtern. Bei der Operation wurden drei weitere Mitglieder der CRAC ermordet, 38 CECOP und CRAC-Mitglieder willkürlich festgenommen und misshandelt, acht von ihnen gefoltert. Darüber hinaus wurden 25 illegale Hausdurchsuchungen in der Gemeinde vorgenommen.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der CRAC und staatlichen Sicherheitseinheiten. Auch der Anführer der CECOP, Marco Antonio Suástegui, wurde bereits mehrmals angegriffen, verhaftet und erhielt Morddrohungen. Am 7. Januar war auch er zugegen und sitzt seitdem mit seinem Bruder in Isolationshaft.

Was macht das Menschenrechtszentrum Tlachinollan in diesem Fall?

Unsere Anwälte verteidigen die 25 Mitglieder der CECOP und der CRAC, die als Teil der 38 Festgenommenen nach wie vor unter menschenunwürdigen Bedingungen im Gefängnis festgehalten werden. Die Männer sind des Mordes an den sechs Zivilisten angeklagt. Den getöteten CRAC-Mitgliedern wird keine Beachtung geschenkt.
Unsere Untersuchungen des Tatortes haben ergeben, dass Beweismaterial manipuliert oder zerstört wurde. Marco Antonio wurde gefoltert und es wurde ihm Schießpulver in die Hand gestreut, um ihm den Mord anzuhängen. Die Staatsanwaltschaft lässt gezielt Zeug/innen vorsprechen, die die Schuld der 25 Gefangenen belegen sollen. Sie gehören zu den Befürworter/innen von La Parota.
Wir sind dabei, unabhängige Gutachten und Zeugenaussagen zu sammeln und hoffen, dass wegen der Folter und der manipulierten Beweise eine Anklage verhindert werden kann. Wie auch im Fall der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa arbeiten wir mit dem argentinischen Forensikerteam EAAF zusammen.

Welches Risiko geht das Menschenrechtszentrum Tlachinollan in diesem Fall ein?

Tlachinollan ist der Regierung ein Dorn im Auge, denn wir unterstützen die Bevölkerung gegen Megaprojekte wie den Staudamm La Parota oder Bergbauprojekte. Oft bearbeiten wir Fälle, in denen es um Übergriffe von Militäreinheiten gegen die lokale Bevölkerung geht. Darüber hinaus unterstützen wir die Familienangehörigen der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa. Wir sind damit Teil des Widerstandes der lokalen Bevölkerung gegen die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Regierung. Besonders seit dem Fall von Ayotzinapa werden wir zunehmend beobachtet und unsere Kommunikationskanäle überwacht.

Anwälte vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan (Partnerorganisation von der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko) erläutern der Gemeinde den Rechtsprozess zu den Vorkommnissen des 7. Januars 2018.
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat uns nahegelegt, Teil eines staatlichen Schutzprogrammes zu werden, wie andere Aktivist/innen oder Journalist/innen im Land, die unter hohem Risiko arbeiten. Doch die Behörde, die für die Umsetzung der Sicherheits- und Schutzmaßnahmen zuständig sind, ist Teil des Innenministeriums, das uns überwacht. Aus diesem Grund befolgen wir lieber die von uns entwickelten Sicherheitsprotokolle.

Wie geht es weiter?

Wenn die 25 Männer freikommen, befinden sie sich in Lebensgefahr, besonders Marco Antonio gilt als Zielscheibe der Regierung.
Neben der legalen Arbeit unserer Anwält/innen zur Verteidigung der 25 CECOP-Mitglieder, betreiben wir daher viel Netzwerk- und Informationsarbeit. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte ist vor kurzem nach Guerrero gekommen, um mit den Menschen in den Gemeinden und den 25 Gefangenen zu sprechen. Er kann Druck auf die Autoritäten ausüben, damit ihre Bedingungen verbessert werden. Uns hilft internationale Unterstützung, um die Aufmerksamkeit der staatlichen Autoritäten für den Fall zu erhöhen. Wenn die deutsche Regierung sich den Menschenrechten verpflichtet sieht, sollte sie bei Abkommen zwischen unseren beiden Ländern auf genau diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen.


Informationen zum Staudammprojekt (spanisch):
Centro de Derechos Humanos de la Montaña “Tlachinollan”, “Ficha informativa: Violaciones graves a los derechos humanos en La Concepción, Guerrero,” 11 de enero de 2018.


[1] Aufgrund der Gewalt und Straflosigkeit in der Region gründeten indigene Gemeinden in Guerrero ein eigenes Sicherheits- und Justizsystem, um den Bewohner/innen Schutz und Zugang zu einem Rechtssystem zu garantieren, welches von ihnen selbst reguliert wird und ihren Bedürfnissen

entspricht. Die Polizisten werden von der Gemeinde selbst ernannt und ausgebildet. Die Sicherheitsherstellung der Policía Comunitaria ist eng an die Verteidigung des kollektiven und indigenen Territoriums und der darin vorhandenen Ressourcen geknüpft. Zur Legitimierung ihres Systems bezieht sich die CRAC auf die Konvention 169 der ILO sowie den 2. Artikel der mexikanischen Verfassung, der indigenen Völkern das Recht auf Selbstbestimmung zuspricht.