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Grünes Licht für Megastaudamm am Amazonas

Für den Bau des Staudamms, der mitten im Indigenen-Gebiet liegt, müssten circa 16.000 Menschen umgesiedelt werden. Das bedeutet für sie Verlust der Lebensgrundlage und Verlust ihrer Heimat. Foto: E-GIACOMAZZI. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

9. Februar 2010
Von Thomas Fatheuer

Von Thomas Fatheuer


Am 2. Februar 2010 traf die brasilianische Umweltbehörde IBAMA eine historische Entscheidung: Der Großstaudamm Belo Monte, am Xingu-Fluss mitten im Amazonasgebiet, erhielt die Umweltlizenz. Damit steht dem Baubeginn kein größeres Hindernis mehr im Weg, bis spätestens Ende April solle entschieden werden, welche Baufirma den Zuschlag erhält.

Mit einer Maximalleistung von 11.233 Megawatt wird Belo Monte das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt. 512 km2 Amazonaswald werden überschwemmt. 210 Millionen m3 Erde müssen ausgebaggert werden, fast dieselbe Menge wie beim Bau des Panama-Kanals. Die Regierung schätzt die Baukosten auf 20 Milliarden Reis (etwa 11 Milliarden US$), die interessierten Bauunternehmen gehen von 30 Milliarden aus (etwa 16 Milliarden US$).


Die unendliche Geschichte

Angesichts dieser Dimensionen kann es nicht überraschen, dass der Baugenehmigung eine lange Auseinandersetzung vorausgegangen war. Mehr als zwanzig Jahre schon dauert das Ringen um den Staudamm, Ende der achtziger Jahre sang gar Sting in Altamira (der größten Stadt im Baugebiet). Damals zog die Weltbank ihren Kredit zurück und das Bauvorhaben wurde zunächst aufgegeben. Es ist eine bittere Ironie, dass dieses Projekt nun ausgerechnet unter der Lula-Regierung durchgesetzt wird. Umweltminister Minc argumentiert, dass das neue Projekt erheblich verbessert worden ist. Tatsächlich wird eine viel kleinere Fläche überschwemmt als ursprünglich vorgesehen. Die Regierung sprach von einem Unentschieden zwischen Umweltschützern und dem Energiesektor.

Die Kritiker_innen des Staudamms sind mit diesem angeblichen Unentschieden allerdings überhaupt nicht zufrieden. Viele befürchten, dass Belo Monte nur der erste Schritt von weiteren Baumaßnahmen ist. Die Maximalleistung von 11.233 Megawatt kann tatsächlich nur während der Regenzeit erreicht werden. Über das ganze Jahr ist nur eine Leistung von 4.428 Megawatt garantiert. Dies könnte durch eine Regulierung des Flusslaufes ausgeglichen werden, was allerdings den Bau von drei weiteren Staudämmen in Gebieten, die zu 40% indigenen Völkern gehören, notwendig machen würde.


Unkalkulierbare Folgen

Aber auch die Konsequenzen des jetzigen Projektes sind gravierend: „Ich bin davon überzeugt, dass das Wasserkraftwerk unvorhersehbare und nicht korrigierbare Folgen für die Region bringt. Da helfen keine Bauauflagen”, erklärt Erwin Kräutler, Bischof von Altamira und einer der entschiedensten Kritiker des Bauvorhabens. Er sieht „Chaos und Tod” auf die Region zukommen.

So wird erwartet, dass die Bauarbeiten etwa 100.000 Menschen in die Region locken werden – Altamira hat zurzeit etwa 110.000 Einwohner. Für Marina Silva, Ex-Umweltministerin und Kandidatin der Grünen Partei bei den Präsidentschaftswahlen ist das Fehlen einer umfassenden Regionalplanung einer der Hauptkritikpunkte: „Es ist unglaublich, dass ein Unterfangen mit solchen Auswirkungen auf die Umwelt ohne eine angemessene Planung in Hinsicht auf die Landnutzung umgesetzt werden soll. Die Lösung kann nicht einfach einem Unternehmen überlassen werden, das lediglich Energie erzeugen will.“


Keine sichtbare und wirksame Protestbewegung

Es fehlt in Brasilien nicht an kritischen Stimmen. Der im Dezember verstorbene Vertreter von International Rivers Network, Glenn Switkes, hatte ein alternatives Expert_innenpanel organisiert, das umfangreiche Kritik an dem offiziellen Umweltgutachten formulierte. Im Jahre 2008 hatte ein großes Treffen indianischer und lokaler Gruppen – unterstützt u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung – gegen den Staudammbau protestiert. Aber anders als vor zwanzig Jahre formierte sich nun weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine sichtbare und wirksame Protestbewegung. Die Gründe dafür sind vielfältig: In Zeiten, in denen Umweltfragen dazu tendieren zu CO2-Fragen zu degenerieren, erscheinen Wasserkraftwerke eher als Lösung denn als Problem – trotz offener Fragen bezüglich der Methanbilanz von Großstaudämmen. Vor zwanzig Jahren bot die Weltbank ein viel besseres Feindbild als die heutigen komplizierten Finanzierungskonglomerate, bei denen die brasilianischen Entwicklungsbank BNDES die Federführung hat. Und nicht zuletzt konnten die sozialen Bewegungen in der Region kaum Wirkungskraft entfalten, weil Teile von ihnen nicht in Konflikt mit der Lula–Regierung treten wollen oder gar das Projekt offen als wichtig für das Wirtschaftswachstum begrüßen.

Mit dem Insistieren auf Großprojekten wie Belo Monte zeigt die brasilianische Regierung, dass sie nach wie vor einem traditionellen Entwicklungsmodell anhängt. „Belo Monte bringt keine neuen Technologien, es bereitet das Land nicht für die Zukunft vor. Es ist ein Bau aus Zement und Eisen, typisch für das vergangene Jahrhundert”, resümiert der brasilianische Greenpeace-Chef Marcelo Furtado. Solange Brasilien Milliardenbeträge in den Ausbau von Großstaudämmen und Atomenergie steckt, haben alternative, dezentrale Energiequellen kaum eine Chance über eine Nischenexistenz hinauszukommen.

 

Dr. Thomas Fatheuer ist Büroleiter des Büros Brasilien der Heinrich-Böll-Stiftung

Weiter Informationen und Links zum Bauprojekt Belo-Monte-Staudamm siehe auch im Artikel von Dr. Thomas Fatheuer und Julia Fiedler vom 10. November 2009