Das Pipeline-Projekt Nord Stream II plant den Bau zweier Gasröhren von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Unser Referent Robert Sperfeld argumentiert mit acht grünen Gründen für den Verzicht auf Nord Stream II.

Das als Nord Stream II bezeichnete Pipeline-Projekt umfasst den Bau zweier neuer Gasröhren von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Die Transportkapazität für Erdgas auf dieser Route würde sich damit auf 110 Milliarden m3 pro Jahr verdoppeln.
Bauherrin beziehungsweise Investorin ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des russischen Gasmonopolisten Gazprom. Zur Finanzierung des Investitionsvolumens von 8-10 Milliarden Euro tragen fünf westeuropäische Gasunternehmen bei, die an einer direkteren Anbindung an die Gasquellen und einer erhöhten Liquidität im mitteleuropäischen Gasmarkt interessiert sind.
Es folgen acht grüne Gründe für den Verzicht auf Nord Stream II:
1. Neue fossile Infrastruktur widerspricht den Zielen des Pariser Klimaabkommens
Für die Begrenzung der Klimaerwärmung auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau muss die Weltwirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts nahezu vollständig dekarbonisiert werden. Gaspipelines sind für eine Betriebsdauer von 40-50 Jahren ausgelegt. Mit dem Bau entstünden zusätzliche ökonomische Anreize, diese Infrastruktur auch zu nutzen.
Dieser so genannte „Lock-in-Effekt“ verzögert die notwendige Energiewende, weil er Wirtschaftsakteure zu einem gewissen Grad an die Amortisation der Pipeline für den klimaschädlichen fossilen Energieträger Erdgas bindet. Investitionen sollten stattdessen in zukunftsfähige Energieversorgungslösungen und Effizienz fließen.
2. Die EU benötigt keine zusätzlichen Gasmengen
Der Verbrauch in Deutschland und der EU ist seit Jahren tendenziell rückläufig. 70% des in Deutschland konsumierten Erdgases werden zur Wärmeerzeugung eingesetzt. Zwei Trends werden den weiteren Verbrauchsrückgang bewirken: Einerseits wird durch energetische Sanierungen und den regulären Austausch alter Heiztechnik die Effizienz der Gebäude steigen. Die Wärmenachfrage reduziert sich auch durch den vermehrten Einsatz von Wärmepumpen. Andererseits wird die Kopplung von Strom- und Wärmesektor weiter voranschreiten, so dass preiswerter Überschussstrom aus Erneuerbaren zunehmend in Wärme umgewandelt werden wird und der Gasbedarf folglich sinkt.
Wie stark die Bedarfsrückgänge sind und ob sie den erwarteten deutlichen Rückgang der Förderung in der Nordseeregion vielleicht sogar überkompensieren können hängt erheblich von der konsequenten Ausgestaltung der Energiewendepolitik in den EU-Ländern ab. Nehmen die Regierungen die bestehenden Ziele zur Steigerung der Energieeffizienz ernst werden mit ziemlicher Sicherheit keine zusätzlichen Pipelinekapazitäten benötigt, weder durch die Ostsee noch durch einen „Südlichen Korridor“.
3. Der Bau von Nord Stream II ist eine eminent politische Frage
Er hat erhebliche klima- und geopolitische Implikationen. Die Politik kann sich nicht wie die Bundesregierung auf eine technische Rolle zur Genehmigung eines „rein kommerziellen“ Projektes von Marktakteuren zurückziehen, nur weil keine Steuergelder für den Bau eingesetzt werden. Es ist elementare Aufgabe der Politik, über so weitreichende infrastrukturelle Weichenstellungen aufgrund politisch gesetzter Ziele zu entscheiden.
4. Nord Stream II widerspricht dem Geist der Europäischen Energieunion
Die Energieunion beruht auf dem Prinzip der Solidarität und Zusammenarbeit der europäischen Partner. Das Pipelineprojekt hintergeht aber Interessen der ostmitteleuropäischen Partner, die das Vorhaben ablehnen. Zudem verlangt die Energieunion die Diversifizierung von Bezugsquellen und Lieferrouten. Eine stärkere Konzentration auf der Ostseeroute wie auch eine durch Nord Stream II weiter gestärkte Marktposition Russlands widersprechen dem Gedanken der Diversifizierung und erhöhen das Maß an Abhängigkeit vom Lieferanten und gefährden die Energiesicherheit.
5. Nord Stream II ist auch ein geopolitisches Projekt
Bekanntlich handelt es sich bei Gazprom um einen Staatskonzern, der Energielieferungen auch in der Vergangenheit schon als politisches Druckmittel gegenüber Nachbarländern instrumentalisiert hat. Die Pipeline vergrößert hierfür die Möglichkeiten. Das im Kontext des russisch-ukrainischen Konfliktes erklärte Ziel Russlands ist die Umgehung des Transitweges durch die Ukraine.
6. Nord Stream II widerspricht EU-Politik der Solidarität mit der Ukraine
Ohne die Mengen an Transitgas und die Erlöse aus der Durchleitung entstünden der Ukraine technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der auf Transit großer Mengen ausgelegten Gasinfrastruktur in der Ukraine. Folge wären erhebliche Belastungen für den Staatshaushalt sowie für die heimischen Gaskunden. Beides konterkariert die Bemühungen der EU und Deutschlands zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Ukraine und zur Reformierung des ukrainischen Gasmarktes im Rahmen der Assoziierungspolitik.
Bei der Liberalisierung des Gassektors ist nichtsdestotrotz vor allem die Ukraine selbst gefragt, hier konsequent voranzuschreiten, Vertrauen von Investoren für die Modernisierung der vorhandenen Infrastruktur zu gewinnen und den Verdacht auszuräumen, vor allem an der Maximierung von Monopolrenten der Gasdurchleitung interessiert zu sein. Eine Beibehaltung der ukrainischen Transitroute erfordert beiderseitige Bereitschaft zur Zusammenarbeit und einen Ausgleich von Interessen zwischen der Ukraine und Russland.
7. Nord Stream II konterkariert Sanktionspolitik
Als politisches Signal gegen die Verletzung von Souveränität und Völkerrecht im Fall der Krim-Annexion und der Besetzung des Donbass hat die EU gegen Russland Wirtschaftssanktionen verhängt, explizit auch bezogen auf den Rohstoffsektor. Ein derartiges neues Projekt der Zusammenarbeit mit Russland ohne eine Lösungsperspektive für den Konflikt setzt ein genau gegensätzliches politisches Signal des Ausbaus der Beziehungen trotz anhaltender Völkerrechtsverletzung und weiterer sicherheitspolitischer Differenzen.
8. Der Bau ist ein schwerwiegender Eingriff in sensible Meeresökosysteme
Entlang der Pipelineroute wird der Meeresboden bis zu 80 Meter breit aufgebaggert, auch in ‚Natura 2000‘-Gebieten, die EU-weit einen besonderen Schutzstatus genießen sollen. Bereits kurz nach Baubeginn im Mai 2018 geschah eine starke Verunreinigung durch Schmierfette im Greifswalder Bodden. Eine anschließende Klage des Naturschutzbundes (NABU) ist noch nicht entschieden.