
Über die bislang nicht gebauten Mauer der USA zu ihrem Nachbarstaat, die Zunahme von Gewalt in Mexiko und dem Pokerspiel um das NAFTA-Freihandelsabkommen berichtet der sechste Beitrag unserer Kolumne von Michael Castritius zum Leben mit Donald Trump in Mexiko.
Vier Monate Donald Trump hat Mexiko überstanden - ohne Mauerbau, ohne Wirtschaftszusammenbruch. Und ohne Massendeportationen seiner Landesleute, zumindest mussten nicht mehr Mexikanerinnen und Mexikaner die USA verlassen als zu Obamas Zeiten. „Mexico viva“, es lebt noch, aber zu „Viva Mexico“-Jubel besteht trotzdem kein Grund. Nur dass daran der US-Präsident keine Schuld trägt.
Dessen Sturm im Tequila-Glas hat zwar viel aufgewühlt, aber wenig verändert. Seinem Mauerbau fehlen die Etat-Dollar, was den republikanischen Senator Ted Cruz auf die fantastische Idee brachte, den in New York inhaftierten Drogenboss „El Chapo“ Guzmán zur Kasse zu bitten.
Solle dessen Kartell doch selber die Mauer hochziehen, raunte es in Mexiko, dann kann es seine Tunnel gleich mitbuddeln. Schließlich müssten Waffen weiter illegal nach Süden und Drogennachschub nach Norden gelangen. Das sei dann ein fairer Handelsvertrag, von dem Trump immer so schwärme: US-Waffen verkaufen und auch noch die Mauer gebaut kriegen.
Signal ist angekommen: „Mexikaner und Mexikanerinnen unerwünscht!“
Dabei wäre diese Mauer aus Stahl und Beton keinesfalls die erste. Etwa ein Drittel der Grenze ist bereits abgeriegelt, und eine unsichtbare Mauer funktioniert bereits: Trumps Mauer aus Tweets und Worten. Sein unmissverständliches Signal an Mexikanerinnen und Mexikaner ohne Aufenthaltsgenehmigung ist angekommen: „Ihr seid unerwünscht“. Schon nach seiner Wahl im Dezember ging die Zahl der Festnahmen an der Grenze - sie ist ein Indikator für die Zahl der illegalen Überquerungen - zurück.
Und im Januar nochmals, sowie im Februar und im März. Das hat es in der Statistik der US-Border Partol noch nie gegeben: sinkende Zahlen im ersten Jahresquartal, das ist eigentlich die Zeit der meisten Grenzübertritte. Migrationsexpertinnen und-experten folgern: Schon die Rhetorik und der Sieg Trumps haben die Grenze dichter gemacht.
Vor allem für die Mittelamerikaner aus dem „triángulo norte“, also aus Honduras, El Salvador und Guatemala, die versuchen, der ausufernden Gewalt in ihren Ländern zu entfliehen. Viele ersuchen jetzt um Asyl in Mexiko, aber das wird nur wenigen gewährt. Zehntausende werden Jahr für Jahr abgeschoben, trotz Lebensgefahr daheim. „Noch immer machen wir die Drecksarbeit für die USA“, klagt der frühere mexikanische Außenminister Jorge Castañeda.
Gewaltexplosion: Mexiko weltweit an 2. Stelle in der Mordstatistik
Dabei hätte Mexiko im eigenen Staat genug auszumisten. Die Gewalt ist wieder explodiert, nachdem sie in den ersten Monaten der Amtszeit von Präsident Peña Nieto (seit 1. Dezember 2012) abgeflaut war. 23.000 Morde hat das Londoner „International Institute for Strategic Studies“ im letzten Jahr registriert.
Damit liegt Mexiko weltweit an zweiter Stelle hinter Syrien, noch vor Irak und Afghanistan. Fast 60% aller Tötungen in Lateinamerika geschehen in Mexiko. Hinzu kommen zehntausende Verschwundene, die von hunderttausenden verzweifelter Angehöriger und Freundinnen bzw. Freunde gesucht werden. 2017, das machen die Zahlen des ersten Quartals deutlich, droht noch mörderischer zu werden.
Doch es wird weniger berichtet werden: Bereits sieben Journalisten wurden seit Jahresbeginn umgebracht (Stand 16. Mai 2017). „Diese Toten sind der Sieg des Stillschweigens“, schreibt der Kolummnist Salvador Camarena. In der Grenzstadt Ciudad Juárez hat eine Zeitung ihr Erscheinen eingestellt, nachdem eine ihrer Redakteurinnen mit acht Kugeln hingerichtet worden war.
Nicht eine einzige Festnahme hat es nach diesen Morden gegeben, was allerdings nicht überrascht. Die Drogenbosse prahlen zwar eher mit ihren Taten, mit ihrer Macht, wollen, dass sie berühmt werden. Politiker und Staatsdiener aber, die mit dem organisierten Verbrechen verbandelt sind, wollen die Medien zum Schweigen bringen, um nicht enttarnt zu werden.
Die spanische Zeitung „El País“ veröffentlichte kürzlich ein Foto von 2012, das den Präsidenten Peña Nieto im Kreis von 19 Gouverneuren, die seiner Partei PRI angehören, zeigt. Die meisten dieser ehrenwerten Männer sind heute im Gefängnis, auf der Flucht oder es wird gegen sie ermittelt.
Korruption, Unterschlagung, organisiertes Verbrechen: „Fue el estado“ - es war der Staat - ist längst zum geflügelten Wort in Mexiko geworden, nicht nur auf Demonstrationen. „Fue el Trump“ ist bisher nicht zu hören.
Vor und zurück - Pokerspiel NAFTA
Selbst in der Wirtschaft ist der Hurrikan Trump schon nach vier Monaten auf tropische Depression herabgestuft worden. Mexikanische Ökonomen und Ökonominnen sehen wieder in der Gewalt die größte Gefahr für das Wirtschaftswachstum, nur vorübergehend war sie von den Drohungen des Mannes im Weißen Haus verdrängt worden.
Um 2,5% stieg das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal, 0,2 Prozentpunkte mehr als erwartet und 0,3 Prozentpunkte mehr als im Dezember. Zwar hatte Donald Trump an seinem 100. Tag im Amt verkündet, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zu kündigen, ruderte aber schon kurz darauf zurück.
„Es gab eine „Rebellion auf den US-Farmen“, analysierte der Hochschullehrer Rubén Aguilar in Anlehnung an George Orwell. In dessen Werk „Farm der Tiere“ rebelliert das Nutzvieh gegen den diktatorischen Bauern, in Washington waren es Agrar-Konzerne und Viehzüchter, denn die brauchen den Absatzmarkt Mexiko und die billigen Arbeitskräfte – auch die, die aus Angst vor Razzien und Abschiebung nicht mehr zur Arbeit erscheinen.
Es wird noch Monate dauern, bis die NAFTA-Verhandlungen überhaupt beginnen, Monate, in denen sich Mexiko und Kanada munitionieren, während sich in den USA verschiedenste Interessensgruppen Scharmützel liefern. Und Donald Trump, so sieht man es in Mexiko, schwankt wie der Mais im Winde: zwischen Neoliberalismus und Protektionismus, zwischen entfesseltem Markt und Strafzöllen. „Bleibt erstmal ruhig und geduldig“, empfahl der frühere Weltbank-Präsident Zoellick den Mexikanern und Mexikanerinnen. Im Moment sei der NAFTA-Prozess wie ein Pokerspiel: Es werde viel geblufft.
Donald Trump gegen Mexiko: der große Bluff? Möglich, aber nicht beruhigend. Denn egal, wer in Washington das Sagen hat: In Mexiko regieren Mord, Korruption und Straflosigkeit. Und nicht mal ein Populist, der das ändern würde, ist für die Präsidentenwahl 2018 in Sicht.