Kolumbien: Der Fall „Falsche Positive“

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International Criminal Court

In Kolumbien exekutierte das Militär jahrelang Zivilisten, um Erfolge im Kampf gegen Guerillatruppen vorzutäuschen. Ein Netz von Menschenrechtsorganisationen hat die Fälle publik gemacht und erreicht, dass sie bis vor den Internationalen Strafgerichtshof kamen.

Sie klangen so erschreckend wie alarmierend: Über viele Jahre hinweg bekamen Mitglieder von NGOs in Kolumbien immer wieder Berichte zu hören, denen zufolge das kolumbianische Militär Zivilisten vorsätzlich exekutiere. Ziel dieser Verbrechen sei es, den Krieg des Militärs gegen Guerillagruppierungen erfolgreich aussehen zu lassen. Dementsprechend werde der Tatort verändert: Angehörige des Militärs verkleideten die ermordeten Zivilisten als Guerillas und ließen die entsprechenden Fotos der Presse zukommen. Diese Morde wurden bald als falsos positivos, als „falsche Positive“ bekannt. Im Jahr 2004 erhöhte sich die Zahl der Berichte noch einmal deutlich.

Die NGOs begannen, Fallmaterial zu dokumentieren und zusammenzutragen. Anfangs reagierten sowohl die kolumbianische als auch internationale Regierungen äußerst skeptisch auf die ersten Anschuldigungen und bezichtigten die NGOs, subversive regierungsfeindliche Absichten zu verfolgen. Die Aktivist/innen ließen sich nicht einschüchtern. Sie veranstalteten Workshops zum Thema Menschenrechte in abgelegenen Gemeinden des Landes und sie arbeiteten mit regionalen sowie nationalen Beobachtungsstellen zusammen, um Daten zu sammeln und zu überprüfen. So entstand ein immer dichteres Netzwerk, das Hand in Hand arbeitete. Es ...

  • ... veranstaltete Workshops in Dörfern und abgelegenen Regionen;
  • ... unterstützte Gemeinden und Opfer bei der Erhebung einer Anklage;
  • ... reichte Beschwerden bei den zuständigen Behörden ein;
  • ... dokumentierte die bekannten Fälle detailliert in Abstimmung mit regionalen NGO- Beobachterstellen und den dort vorliegenden Statistiken;
  • ... leitete verifizierte Daten an nationale NGO-Beobachterstellen weiter;
  • ... führte Daten in nationalen Statistiken zusammen.

Die ausführliche Dokumentation veranlasste schließlich Philip Alston, den Sonderberichterstatter für Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, im Jahr 2009 Kolumbien einen Besuch abzustatten. Zudem schalteten sich Anwälte aus anderen Ländern ein und unterstützten die NGOs bei der Präsentation der Fälle vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). In seinem Zwischenbericht bestätigte der IStGH: „Es gibt eine hinreichende Grundlage dafür, anzunehmen, dass (die Hinrichtungen) gemäß einer zumindest auf Ebene bestimmter Armee-Brigaden eingeführten Richtlinie verübt wurden, womit eine staatliche oder organisierte Richtlinie zur Verübung solcher Verbrechen vorliegt.“ (ICC, 2012:9).

Noch im selben Jahr, also 2009, wurden Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlich verantwortlichen Militärs aufgenommen. Die Zahl der gemeldeten „Falschen Positiven“ ging sofort dramatisch zurück. Für die in Kolumbien ansässigen NGOs verbesserten sich die Arbeitsbedingungen signifikant. Die Vorsitzenden der NGO-Leitgruppe in Auraca sagten, das Militär habe durch die Ermittlungsverfahren in den eigenen Reihen wohl verstanden, dass Gesetze auch für sie gelten und sie vor Strafverfolgung nicht gefeit sind. Außerdem sei die Glaubwürdigkeit der NGOs in Kolumbien auf internationaler Ebene wiederhergestellt und gestärkt worden, die von kolumbianischen Autoritäten massiv diskreditiert worden war.

Allen Erfolgen und einem deutlichen Rückgang der gemeldeten Morde zum Trotz seien die Muster der Kriminalisierung und Schikane aber noch immer erkennbar und würden weiter bestehen.


Auszug aus der Studie „Space for Civil Society! How to Protect and Expand an Enabling Environment“, einer Studie von CIDSE und der Act Alliance.

Abzurufen unter: www.cordaid.org/en/publications/space-civil-society/

Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Landenberger.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen von Böll.Thema 1/2016: Die Würde des Menschen. Ein Heft über Menschenrechte.