Familie Iklim und die Demographie

Ueckermünde am Oder-Haff ist eine ehemalige Kreisstadt im Landkreis Vorpommern-Greifswald mit rund 10.000 Einwohnern. Hier lebt auch die Familie Iklim. Doch niemand weiß, wie lange noch.  

Familie Iklim
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Familie Iklim im September 2015

Ueckermünde-Ost, 13. März 2015: Wassem (11) und Majid (10) haben wieder den kleinen Esstisch im karg eingerichteten Wohnzimmer zu einer Tischtennisplatte umfunktioniert und üben. Wassem ist gerade Mini-Kreismeister geworden. Beide Jungs hätten gute Chancen, sich für die Landesmeisterschaft zu qualifizieren, sagt Heinz Fischer. Der 78-jährige Übungsleiter hatte die Iklims im Mai 2014 auf der Straße angesprochen. Da war die Familie aus dem syrischen Aleppo gerade in Ueckermünde angekommen, wo sie ihr Asylverfahren abwarten soll. „Ping-Pong?" Die Familie verstand, sagte zu, und fortan trainierten die Brüder zweimal pro Woche im Tischtennisverein, dem der Nachwuchs ebenso ausgeht wie anderen Vereinen in der Umgebung. 

Ein Traumstart für eine Integration, wie sie in diversen Partei- und Regierungsprogrammen idealtypisch beschworen wird. Schon bald verstehen und sprechen die Jungs so gut Deutsch, dass sie im September 2014 in den regulären Unterricht wechseln. Lieblingsfächer?  „Mathematik, Sport und Musik.“ sagt Wassem. Das Schönste an Ueckermünde? „Das Wasser am Oder-Haff. Die Freunde.“ Ob er hier bleiben möchte? „Ja.“ Doch weil  er der Hauptdolmetscher für die Eltern ist, weiß  der Junge genau, dass der Familie im Mai eine Rückführung nach Bulgarien droht. Das war ihr erstes EU-Land. Dort müssen sie um Asyl bitten, sagt Deutschland, das sich offiziell noch an das Dublin-II-Abkommen hält.

Wenn die Iklims weg müssten, wäre der Landesausscheid für die Jungs passé. „Aber vor allem wäre es tragisch für die Familie und auch für die Region.“ sagen die Betreuerinnen vom Blauen Kreuz, die sich im Auftrag des Landkreises Vorpommern-Greifswald um die Flüchtlinge in Ueckermünde kümmern. Aus den Kindern könne „wirklich etwas werden und wir brauchen hier doch junge, gute Leute.“ Die muslimischen Eltern seien „gemäßigt, gebildet und offen für Integration“. Das könne man nicht von jedem Flüchtling bzw. Asylbewerber sagen. 

„Eine Rückführung  wäre tragisch. Auch für die Region“

„Tragisch für die Region“ - damit umschreibt die Betreuerin die positive Rolle, die den Flüchtlingen zu kommen könnte. Einige Zahlen: 1990 zählte der Nordosten 1,92 Millionen Einwohner, 2012 fast 300.000 weniger. War viele Jahre die Abwanderung arbeitsfähiger und junger Leute die Hauptursache, hat der ungebrochene Bevölkerungsschwund heute fast nur noch damit zu tun, dass viel weniger Menschen geboren werden als sterben. 

Schlimmer noch: Aus dem einst „ jüngsten Bundesland“ ist das „älteste“ geworden. War zur Wiedereinigung jeder Fünfte in Mecklenburg-Vorpommern jünger als 20 Jahre, sind es jetzt noch nur 15 Prozent. Der Anteil der über 65-jährigen entwickelte sich genau umgekehrt: von 16 Prozent auf 22 Prozent. Der Blick in die Zukunft ist naturgemäß ungewiss. Doch die Statistiker legen sich fest: Dieser Trend setze sich bis 2060 fort. 

Schwerin hält sich zugute, die Strukturen von Verwaltung und öffentlicher Daseinsvorsorge eher als andere Bundesländer auf diesen demographischen Wandel hin ausgerichtet zu haben. Die seit 1998 SPD-geführten Koalitionsregierungen mit der PDS und ab 2008 mit der CDU leiteten Polizei-, Schul- und Gerichtsreformen mit Schließungen und Personalabbau ein. Sie legte unrentable Bahnstrecken still, ließ kleine Krankenhäuser sterben. Aus den einst 38 Kreisen sind fünf der flächenmäßig größten Landkreise Deutschlands geworden.

Doch niemand hatte die Menge an Flüchtlingen auf dem Zettel, die jetzt gekommen sind und die noch kommen werden. Schon hoffen die ersten Gemeinden auf einen Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge, um der geplanten Kommunalreform zu entgehen. Der Stellenabbau bei der Polizei ist mit Blick auf die Flüchtlingskrise gestoppt;  es werden sogar 100 Landespolizisten über Plan eingestellt.

Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder". Weitere Beiträge über die Familie Iklim finden Sie auf der Länderseite Mecklenburg-Vorpommern.