Wie die Gewerkschaften die deutsch-israelischen Beziehungen förderten

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Histadrut war eine Art Staat im Staate und betrieb auch eigene Krankenhäuser

Dem israelischen Gewerkschaftsverband Histadrut ging es nicht in erster Linie um Klassenkampf, sondern um den Aufbau eines jüdisch-zionistischen Staates. Dazu zählte auch ein umfangreiches Austauschnetzwerk mit dem DGB.

Einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der deutsch-israelischen Beziehungen leisteten die Gewerkschaften in beiden Ländern – das ist heute jedoch kaum bekannt. Die deutsch-israelischen Gewerkschaftsbeziehungen, deren Aufbau bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann, waren höchst politisch und hatten quasi-diplomatischen Charakter, da der israelische Gewerkschaftsverband Histadrut zur damaligen Zeit quasi ein Staat im Staate war.

Bereits im Londoner Exil während des Zweiten Weltkriegs, wohin deutsche Sozialisten und Gewerkschafter geflohen waren, trafen sich wichtige Schlüsselfiguren der gewerkschaftlichen Annäherung. Hans Gottfurcht, Gründer der Landesgruppe Deutscher Gewerkschafter in Großbritannien und späterer Generalsekretär des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften IBFG, Werner Hansen, Koordinator beim Aufbau des DGB, sowie Ludwig Rosenberg, deutsch-jüdischer Gewerkschafter und Vorsitzender des DGB von 1962 bis 1969, knüpften in Großbritannien bereits Kontakte zu Gewerkschaftern von der Histadrut, die im britischen Mandatsgebiet Palästina bereits seit den 1920er Jahren am Aufbau eines künftigen jüdisch-zionistischen Staatswesens gearbeitet hatten. Die deutsch-israelischen Gewerkschaftskontakte setzten sich kurz nach dem Krieg fort, unter anderem im Rahmen des IBFG, zu dessen Gründungsmitgliedern im Jahr 1949 sowohl der DGB als auch die Histadrut zählten.

Das Luxemburger Abkommen vom September 1952, in dem sich die Bundesrepublik zu Wiedergutmachungsleistungen und Zahlungen von umgerechnet dreieinhalb Milliarden D-Mark in einem Zeitraum von 12 Jahren verpflichtete, war ein Meilenstein in der Geschichte der deutsch-israelischen Annäherung. Zum damaligen Zeitpunkt sagte es jedoch nichts über die Bereitschaft der Deutschen aus, wirkliche Reue zu zeigen. In einer repräsentativen Meinungsumfrage aus dem Jahr 1952 gaben 49 Prozent der Befragten an, jegliche Zahlungen an Israel für „überflüssig“ zu halten.

Es begann mit einem Kindergarten in Tel Aviv

Eine andere, von den Amerikanern 1951 in Auftrag gegebene Meinungsumfrage förderte zutage, dass ein Fünftel der Westdeutschen der Ansicht war, dass die Juden „selbst Schuld“ seien. Und auch knapp die Hälfte des Adenauer-Kabinetts enthielt sich oder stimmte im März 1953 gegen das Luxemburger Abkommen – welches von der geschlossenen Ja-Stimme der oppositionellen SPD gerettet wurde. Wirkliche moralische Verantwortung und ein Interesse an Beziehungen mit Israel zeigten nach dem Krieg vor allem Sozialdemokraten und deren Jugendverbände, sozialistische Studentenverbände, Kirchenverbände und nicht zuletzt Gewerkschafter. Sie halfen entscheidend dabei mit, die deutsch-israelischen Beziehungen aufzubauen.

In der ersten Hälfte der 1950er Jahre begegneten sich deutsche und israelische Gewerkschafter vor allem im Rahmen der IBFG-Gespräche. Die Kontakte intensivierten sich jedoch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auch außerhalb dieses Rahmens. Zunehmender Antisemitismus in der Bundesrepublik während der Luxemburger Verhandlungen, Synagogenschändungen 1959 und die anhaltende Weigerung der Bundesrepublik, diplomatische Kontakte mit Israel aufzunehmen, brachten die Gewerkschafter beider Länder enger zueinander, da sie gemeinsam gegen diese Missstände angehen wollten.

Bereits Anfang der 1950er Jahre fingen deutsche Gewerkschafter an, israelische Kollegen zu besuchen und der DGB stiftete Geld für einen Kindergarten in Tel Aviv. Im März 1957 reiste die erste DGB-Bundesvorstandsdelegation gemeinsam mit einer SPD-Delegation unter Erich Ollenhauer nach Israel. Pinchas Lavon, der damalige Generalsekretär der Histadrut, hatte die deutschen Kollegen offiziell hierzu eingeladen.

Die Außenpolitik der Hallstein-Doktrin

Dies waren mehr als nur „einfache“ Gewerkschaftskontakte, denn die Histadrut war ein Staat im Staate, ein multifunktionaler Betriebs- und Arbeitnehmerverband. Sie war die Besitzerin einer riesigen Gemeinwirtschaft, deren Baufirmen unter anderem mit Geldern aus dem Wiedergutmachungsabkommen die staatliche Infrastruktur ausbauten. Bereits vor der Gründung Israels hatte die 1920 gegründete Histadrut eine Sonderrolle gespielt: Anders als herkömmliche Gewerkschaften ging es der Histadrut nicht um den Klassenkampf.

Sie vereinigte und vertrat sowohl zionistische Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber mit dem gemeinsamen Ziel, einen jüdisch-zionistischen Staat zu verwirklichen. Zu diesem Zweck errichtete sie Schulen, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser und baute Straßen. Sie betrieb eine Krankenkasse und eine Sozialversicherung. Große Teile dieser Strukturen wurden nach der Gründung Israels ins neue Staatswesen übernommen. Dafür erhielt die Histadrut Mitspracherecht bei wichtigen politischen Entscheidungen und durfte öffentliche Unternehmen und die Krankenkasse weiter betreiben.

Außerdem war die Histadrut eine wichtige Vermittlerin zu Staaten, die offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhielten. Hand in Hand mit deutschen Gewerkschaftern förderte sie auch den Aufbau der deutsch-israelischen Beziehungen. Der DGB zog am gleichen Strang, indem er bei strittigen Themen die Arbeiterschaft mobilisierte, um Druck auf die deutsche Politik auszuüben. Dies war beispielsweise während der Debatten zur Verjährung von NS-Verbrechen oder zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes für Holocaustgeschädigte in der ersten Hälfte der 1960er Jahre der Fall.

Der 6. Bundeskongress des DGB im Jahr 1962 trug dem DGB-Bundesvorstand auf, sich bei der Bundesregierung für die sofortige Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel einzusetzen. Die diplomatische Annäherung stockte seit Mitte der 1950er Jahre, obwohl Israel wiederholt darum gebeten hatte. Die Außenpolitik der Bundesrepublik folgte damals der sogenannten Hallstein-Doktrin und wollte vermeiden, dass die arabischen Staaten im Falle einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel ihrerseits die DDR anerkennen würden. Westdeutschland ließ es gar durchgehen, dass Anfang der 1960er Jahre deutsche Rüstungstechniker, darunter auch Altnazis, in Ägypten Düsenjäger und Raketen entwickelten.

Eine neue DGB-Generation kam in Kontakt mit Israelis

Der DGB protestierte gegen die zögerliche Haltung der Bundesrepublik in der Raketenaffäre und schickte im Juni 1964 Werner Hansen, einen altgedienten Gewerkschaftsdiplomaten, nach Israel, um Informationen über die israelische Stimmung für ein Gespräch mit Bundeskanzler Ludwig Erhard zu sammeln. Hansen hatte bereits im Londoner Exil mit jüdischen Kollegen zusammengearbeitet und nach dem Krieg den DGB mit aufgebaut. Er berichtete dem Bundesvorstand, dass “selbst Ben Gurion verstärkte Zweifel habe, ob der Verständigungswille und die moralische Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber Israel wirklich noch ernst gemeint sei.“

Im November 1964 organisierten der DGB und der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine bundesweite Unterschriftenaktion, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel zu unterstützen. Bis zum Dezember 1964 unterschrieben nur ein Prozent der DGB-Mitglieder. Berichte aus den Kreisverbänden sprachen von latentem Antisemitismus unter der Arbeiterschaft.

Manche Arbeiter wollten zwar unterschreiben, fühlten sich laut Aussagen von DGB-Funktionären jedoch von Alt-Nazis bedroht und behindert. Um diesen aus der NS-Zeit übriggebliebenen Strömungen neue Kräfte entgegenzusetzen, bauten die Bundesjugendabteilung des DGB sowie verschiedene Bezirke ein umfangreiches Austauschnetzwerk mit Israel auf.

Wichtige Personen dieses Netzwerks waren Edmund Duda, Bundesjugendsekretär des DGB, Mottke Esched, Vorsitzender des Histadrut-Jugendverbandes „Ha-Noar Ha-Oved Ve Ha-Lomed“ und Leah Brakin, Leiterin der Internationalen Abteilung der Moshav-Bewegung sowie des Frauenverbandes „Na'amat“ in der Histadrut. Sie schufen gemeinsam einen organisatorischen Überbau auf den Bundesverbandsebenen. Gewerkschafter aus den DGB-Kreisen, allen voran Solingen, knüpften parallel eigenständig umfangreiche Kontakte zur Histadrut-Jugendbewegung. Über dieses, sich stetig vergrößernde Netzwerk wurde die junge Generation des DGB seit Mitte der 1960er Jahre sozialisiert und kam mit Israelis in Kontakt. Außerdem entstanden daraus ab Mitte der 1970er Jahre umfangreiche bilaterale Partnerschaftsverträge zwischen den beiden Gewerkschaftsverbänden.

Unterschriften für eine politische Annäherung

Maßgeblich mitbestimmt wurde der Kurs des DGB vom damaligen Vorsitzenden Ludwig Rosenberg. Seine geradezu missionarischen Berichte über die „großartige israelische Entwicklungsarbeit“ haben im DGB in den 1960er Jahren eine „philosemitische Begeisterungswelle“ entfacht, so der Historiker Martin Kloke über das Wirken Rosenbergs. Die pro-israelische Politik wurde unter Rosenberg ganz bewusst bis in die kleinsten Kreise und von allen Mitgliedsgewerkschaften vorangetrieben.

Dies ging so weit, dass Entscheidungsträger im DGB Israel gegenüber – insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit den Palästinenser/innen – völlig unkritisch eingestellt waren. Doch gerade die anhaltende antisemitische Grundstimmung in vielen deutschen Betrieben und die latente Gefahr von rechts in den 1950er und 1960er Jahren erforderten vielleicht dieses Gegengewicht einer „Israelverherrlichung“, nicht zuletzt, um die immense ideologische Kluft innerhalb der deutschen Arbeiterschaft zu überbrücken. Bis hinunter in den Schacht „Emilie“ in der Ilseder Hütte setzten sich während der Unterschriftenaktion deutsche Arbeiter im Winter 1964 für eine politische Annäherung mit Israel ein.

Der Beitrag deutscher Gewerkschafter zum Aufbau der deutsch-israelischen Beziehungen sollte im Jahre 2015 – dem 50-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen – daher nicht vergessen, sondern herausgehoben und gewürdigt werden.