Eine Reaktion auf die Reformen im postsowjetischen Raum

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Stillgelegter Sowjetischer Spielplatz in der Ukraine

Russland hat genau verfolgt, wie sich die ehemaligen Sowjetrepubliken entwickelt haben. Der mögliche Erfolg eines europäischen Wegs in der Ukraine wäre zu einer großen Gefahr für das Regime geworden.

Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre stand der riesige osteuropäische Raum, der sich unter der Kontrolle der Sowjetunion befunden hatte, vor einer historischen Herausforderung, nämlich das alte, bankrotte institutionelle Erbe loszuwerden. In allen Ländern dieses Raumes, vom vereinigten Deutschland bis Russland, wurde verkündet, dass die Entscheidung für einen europäischen Weg ohne Alternative sei. 25 Jahre später lässt sich konstatieren, dass dieser Weg in jedem einzelnen der Länder sehr unterschiedlich war.

Die Länder des Baltikums, die 1991 ihre Unabhängigkeit wiedererlangten, Polen und die damalige Tschechoslowakei haben äußerst schmerzhafte Reformen unternommen, die jedoch die getroffene Wahl nicht erschütterten. Das Streben der gesamten Nation nach einer Rückkehr in den europäischen Raum überwog praktisch alle sozialen Beschwernisse. Jetzt bewegen sich diese Länder – ungeachtet der Volatilität der Weltwirtschaft – weiterhin auf dem historisch eingeschlagenen Weg. Ihnen haben sich Rumänien und Bulgarien angeschlossen, die über keine vergleichbare Vorerfahrung einer Entwicklung europäischen Typs verfügen, jedoch von der Richtigkeit des gewählten Zieles überzeugt sind und dafür radikale gesellschaftliche Reformen unternehmen. Selbst Ungarn, wo „Euroskeptiker“ an der Macht sind, bewegt sich im Großen und Ganzen noch im europäischen Fahrwasser.

Sehr viel komplizierter ist die Situation in den ehemaligen Sowjetrepubliken, die geographisch in Europa liegen. Die Republik Moldau, die historisch und kulturell eng mit Rumänien verbunden ist, hat nach langem Schwanken doch noch den europäischen Entwicklungsweg gewählt, auch wenn die Separatisten aus Transnistrien und ein beträchtlicher Teil der übrigen Bevölkerung immer noch von der Illusion eines „Sonderweges“ gefangen sind. Belarus mit seiner neosowjetischen Wirklichkeit laviert bereits viele Jahre zwischen eben diesem „Besonderen“ und einer Annäherung an Europa. Dieses Schwanken ist vor allem auf die Politik Russlands zurückzuführen, des größten Akteurs im postsowjetischen Raum.

Ein einfaches Ziel: Keine pro-europäischen Reformen zulassen

Russland hat nach einem Jahrzehnt des Aufbaus moderner Institutionen und einer (wenn auch inkonsequenten) Integration in den europäischen Raum ungefähr seit Mitte der 2000er Jahre eine Rückwärtsbewegung begonnen, bei der das grundsätzlich „Besondere“, „Eurasische“ deklariert wird. Es ist natürlich, dass eine solche Politik von der Wahrung eines „Einflussbereichs“ außerhalb der eigenen Grenzen unter dem Einsatz von „harter Soft Power“ ausgeht: mit massiver Unterstützung von Einfluss-Akteuren, mit direkter Einmischung in das politische Leben, mit dem Einsatz wirtschaftlicher Druckmittel. Das Ziel ist einfach: Keine Reformen zuzulassen, die einen Übergang zum europäischen Entwicklungsmodell gewährleisten würden.

Bislang ist diese Politik nur in Belarus erfolgreich, obwohl es vor kurzem noch so schien, als sei eine analoge Situation auch in Moldau und besonders in der Ukraine gesichert. Das vergangene Jahr bedeutete für diese beiden Länder eine Wende. Am 30. November haben bei den Parlamentswahlen in Moldau proeuropäische Parteien die Mehrheit errungen, äußerst dicht gefolgt von den örtlichen Kommunisten. Ein zu erwartender prorussischer Aufstand, der zu einem Bürgerkrieg hätte führen können, fand jedoch nicht statt, was allem Anschein nach zeigt, dass Russland die Republik Moldau praktisch aus seinem angestrebten Einflussbereich herausgenommen hat. In der Ukraine entwickelte sich die Situation zu einem Drama – dort erfolgte die Annexion der Krim und der Beginn eines blutigen bewaffneten Konfliktes im Südosten des Landes.

Ein vernachlässigtes Erbe

Warum hat sich Russland zu diesem harten Vorgehen gegenüber der Ukraine entschieden? Meiner Ansicht nach würde, falls die Ukraine einen europäischen Entwicklungsweg einschlüge und entsprechende Reformen unternähme, deren möglicher Erfolg an einem bestimmten Punkt zu einer heftigen Gefahr für das derzeitige Regime in Russland werden: All die ideologischen Konstruktionen, die in den letzten Jahren geschaffen und mit Hilfe massiver Propaganda in das Massenbewusstsein gepflanzt wurden – die „souveräne Demokratie“, der „eurasische Weg“, das „zutiefst Besondere Russlands“ –, wären sehr bald diskreditiert. Ein Erfolg des Nachbarlandes, in dem viele Bürger Russlands Verwandte und Freunde haben, könnte eine populäre Agenda entstehen lassen, auf der auch die Forderung nach ebensolchen Reformen für Russland stünde. Und natürlich wären real garantierte Voraussetzungen für einen demokratischen Regierungswechsel einer der zentralen Punkte solcher Reformen.

Das ist der Grund, warum in Russland jene Reformen so aufmerksam beobachtet werden, die Präsident Poroschenko und die Regierung von Arsenij Jazenjuk unternehmen. Es ist klar, dass deren sozialer Preis sehr hoch sein wird. Schließlich hat die neue Regierung ein allzu vernachlässigtes Erbe angetreten: Trotz zwanzig Jahren Unabhängigkeit hat es in der Ukraine keine echten europäischen Reformen gegeben, was zu einem schwerwiegenden Niedergang der Wirtschaft und der sozialen Lebensbedingungen geführt hat.

Ich wünsche den begonnenen Reformen Erfolg und schlage eine gemeinsame ukrainisch-russische Plattform vor, auf der unabhängige Expert/innen aus beiden Ländern unter Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen aus anderen europäischen Ländern die Entwicklung analytisch verfolgen und entsprechende Lehren aus ihr ziehen; Lehren sowohl für die Ukraine als auch für Russland, das sie, so meine Hoffnung, früher oder später wird nutzen können.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder