Willkommen bei der wachstumsfreundlichen Konsolidierung

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Steffen Kampeter

Im wieder lauter werdenden Club der „wir lösen Probleme, indem wir uns verschulden“ ist die Expertise der Heinrich-Böll-Stiftung ein wohltuender und sachlicher Kontrapunkt. Ein Kommentar zum Bericht "Nachhaltig aus der Schuldenkrise – für eine finanzpolitische Zeitenwende".

Herzlich willkommen im Klub. Im wieder lauter anschwellenden Club der „wir lösen Probleme, indem wir uns verschulden“ ist die Expertise der Heinrich-Böll-Stiftung ein wohltuender und sachlicher Kontrapunkt. Sie unterstützt im Kern eine wachstumsfreundliche Konsolidierungsstrategie wie zum Beispiel die von Wolfgang Schäuble.

Die Finanzpolitik spielt eine Schlüsselrolle für jede Volkswirtschaft. Sie ist wichtiger Impulsgeber für eine nachhaltige Stärkung von Wachstum und Beschäftigung. Kern einer solchen Strategie ist die Sicherung des Vertrauens durch solide Haushaltspolitik und Strukturreformen zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und damit zur Steigerung des Wachstumspotenzials.

Der Bericht der finanzpolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung liefert viele richtige Gedanken und Ansätze. Er zeichnet ein zutreffendes Bild der finanzpolitischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Die - unter Angela Merkel im Grundgesetz verankerte - Schuldenregel wird zu Recht als „notwendiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Finanzpolitik“ bezeichnet. Aufgrund einer ins-gesamt stimmigen Problembeschreibung empfiehlt die Studie folgerichtig in vielen Bereichen Maßnahmen, die man eigentlich nur unterstützen kann. Manches ist schon in der Pipeline.

Die „Zehn Leitlinien für eine nachhaltige und tragfähige Politik“ weisen auf die zentralen Politikbereiche hin. Allerdings darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass das Maßnahmenbündel teilweise widersprüchlich bleibt, so beispielweise Forderungen nach Haushaltsüberschüssen, Investitionssteigerungen und Wachstumsförderung fiskalisch unter einem Hut zu bekommen.

Die Sicherung des Fachkräftebedarfs der deutschen Wirtschaft ist ein zentrales Handlungsfeld der Bundesregierung. Deshalb unterstützt sie Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode noch stärker beim Ausbau ganztägiger Betreuungsangebote, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Des Weiteren entlastet der Bund die Länder und Kommunen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, im Rahmen ihrer Kompetenzen die Bildungsausgaben zu steigern. Durch die Initiative zur Lockerung des grundgesetzlichen Kooperationsverbots im Wissenschaftsbereich will sich der Bund Optionen für ein langfristig stärkeres finanzielles Engagement in diesem Schlüsselbereich schaffen.

Um finanzpolitisch Vorsorge für die Bewältigung der demografischen Herausforderungen treffen zu können, ist die Erreichung tragfähiger öffentlicher Finanzen eine Grundvoraussetzung. Der Bericht misst daher zu Recht der Tragfähigkeitsberichterstattung des Bundesfinanzministeriums eine herausgehobene Bedeutung bei. Wenngleich zentrale demo-grafische Herausforderungen bleiben, kann doch konstatiert werden, dass die weitreichenden Strukturreformen der vergangenen Jahre und die Einhaltung der Schuldenregel ihren Beitrag dazu geleistet haben, die Sozialsysteme zukunftsfester zu gestalten und die fiskalische Tragfähigkeit Deutschlands deutlich zu verbessern. Das bestätigen auch die einschlägigen aktuellen Bewertungen durch die EU-Kommission.

Die Eroberung von „Leitmärkten“ ist in erster Linie eine Aufgabe der Unternehmen. Die Bundesregierung stellt sich der Aufgabe, attraktive Rahmenbedingungen für private Investoren zu bieten. Das ist unser Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft. Von besonderer Bedeutung ist hierbei eine verlässliche Finanz- und Haushaltspolitik. Strukturelle Einnahmenverbesserungen, vereinfacht Steuererhöhungen, von – wie das gefordert wird – 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (das sind nahezu 30 Mrd. Euro) wären mit erheblichen negativen Investitionswirkungen, Wachstumsverlusten und Beschäftigungseinbußen verbunden. Dies würde letztlich auch der im vorliegenden Bericht beklagten „Ungleichverteilung“ Vorschub leisten. Immerhin: Die Erkenntnis, dass eine Vermögensabgabe kein praktikabler Weg zur Einnahmesteigerung ist, ist zu begrüßen.

Einnahmensteigerungen, die sich ohne Ausweitung der Abgaben, sondern durch konsequente Durchsetzung des bestehenden Steuerrechts ergeben, werden von der Bundes-regierung mit Nachdruck unterstützt. Deutschland ist eine treibende Kraft hinter der OECD-BEPS-Initiative gegen schädliche Gewinnverlagerung und Steuervermeidung.

Durch die Abkommensunterzeichnung in Berlin hat dieser Einsatz einen großen Schub bekommen.

Die gewünschte strukturelle Reform der Ausgabenseite ist klares Ziel der Bundesregierung. Die in der Studie geforderte Einführung von „Spending Reviews“ – also der systematischen einnahme- und ausgabeseitigen Haushaltsanalyse – zur Stärkung von Effizienz und Effektivität des öffentlichen Mitteleinsatzes werden wir zentral als Bundesministerium der Finanzen realisieren.

Aber Vorsicht: Unter Verweis auf Bedarfsschätzungen des Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung fordern die Autoren eine spürbare Ausweitung der Nettoinvestitionen. Um dies langfristig abzusichern, wird die Einführung einer „neuartigen goldenen Regel“ vorgeschlagen, die sicherstellen soll, dass die Nettoinvestitionen stets die Neuverschuldung übersteigen. Gleichzeitig fordern die Autoren einen Haushaltsüberschuss von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Zeiten von Haushaltsüberschüssen wäre diese „neuartige goldene Regel“ jedoch zum einen obsolet, zum anderen gefährdet sie langfristig ausgeglichene Haushalte, da ein Begriff wie „Nettoinvestitionen“ stets Definitionsspielräume offenlässt.

Der Vorschlag einer neuartigen „goldenen Regel“ geht deshalb meines Erachtens in die falsche Richtung. Die Schuldenregel des Bundes ist gerade deshalb erfolgreich, weil sie auf strukturell nahezu ausgeglichene Haushalte abzielt. Gleichzeitig überlässt sie den Haushalten den Freiraum, sowohl über die Höhe von Einnahmen und Ausgaben, als auch über die Art der Einnahmeverwendung frei zu verfügen. Deshalb ist die Schuldenregel auch keine Investitionsbremse; im Gegenteil schafft sie mit der Sicherung solider Haushalte erst die Grundlage für eine nachhaltige Investitionstätigkeit. Auf den ersten Blick interessanter erscheint hier der Alternativvorschlag des Berichtes: eine einfachgesetzliche Investitions-schutzregel. Diese wäre aufgrund ihrer Struktur mit der Schuldenregel vereinbar und im Gegensatz zur „neuartigen goldenen Regel“ auch bei Einhaltung des propagierten Haushaltsüberschussziels wirksam. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die unbestimmte Abgrenzung des Investitionsbegriffs solche Regeln scheitern lässt.

Ein Wort zu Europa: Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass eine anreizkompatible Bankenunion eine zwingend notwendige Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion darstellt. An dieser Stelle wurden viele der Empfehlungen deshalb auch bereits umgesetzt. Die Durchsetzung einer Haftungskaskade, in der der Steuerzahler an letzter(!) Stelle steht, ist hierbei von besonderer Bedeutung. Nicht zuletzt durch den Fiskalvertrag wurde das europäische Regelwerk grundlegend reformiert. Diese neuen Regeln müssen jetzt ihre Wirkung entfalten können.

Die Heinrich-Böll-Stiftung leistet mit diesem Papier einen anregenden und diskussionswürdigen Beitrag für die Fortentwicklung der Finanzpolitik in Deutschland. Es bleibt abzuwarten, ob und in wie weit dieser Diskussionsanstoß auch in der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehört bzw. dann auch tatsächlich politisch umgesetzt wird.