Reform des "Petersburger Dialog" überfällig

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Wladimir Putin und Angela Merkel beim Petersburger Dialog 2012

Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Deutschland beteiligt sich die Heinrich-Böll-Stiftung in diesem Jahr nicht am "Petersburger Dialog" in Sotschi. Die Stiftung hält es für das falsche Signal, angesichts des unerklärten Kriegs der russischen Führung gegen die Ukraine und die zunehmenden Repressalien gegen die unabhängigen NGO in Russland einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Für einen ernsthaften politischen Dialog mit der russischen Führung sind wir jederzeit zu haben, und die Zusammenarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung mit ihren Partnern in der russischen Zivilgesellschaft ist intensiver denn je. Aber wir wollen nicht das Feigenblatt abgeben für einen "zivilgesellschaftlichen Dialog", der auf russischer Seite fest in der Hand des Kremls ist und auf deutscher Seite von Leuten dominiert wird, die jede offene Kritik an der russischen Politik als Störung des guten Einvernehmens empfinden. Eine Reform des "Petersburger Dialogs" ist überfällig.

Im Folgenden dokumentieren wir einen von der Heinrich-Böll-Stiftung mitunterzeichneten Brief mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland an Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier.

 

Berlin, 02. Oktober 2014

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Außenminister,

als Personen, die sich seit vielen Jahren intensiv im zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland engagieren, wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie, um zu erläutern, warum wir uns in diesem Jahr nicht am Petersburger Dialog beteiligen können. Zugleich möchten wir für eine Erneuerung des Petersburger Dialogs werben.

In Reaktion auf die politische Wende in der Ukraine, die durch eine breite gesellschaftliche Protestbewegung hervorgerufen wurde, hat die russische Führung völkerrechtswidrig die Krim annektiert und einen unerklärten Krieg neuen Typs im Osten der Ukraine begonnen. Zugleich betreibt die Regierung unter Präsident Putin die systematische Ausschaltung der letzten unabhängigen Medien in Russland, die Kriminalisierung aller Formen politischer Opposition und die Diskreditierung unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen als „ausländische Agenten“. Mittlerweile wurden 12 russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt und sind daher zukünftig verpflichtet, sich bei jeder öffentlichen Äußerung wahrheitswidrig selbst als solche zu bezichtigen. Zehn dieser Organisationen spielen in der deutschrussischen zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit seit Jahren eine wichtige Rolle, einige von ihnen haben mehrfach am Petersburger Dialog teilgenommen. Gegen einige von ihnen sind bereits existenzbedrohende Strafgelder wegen Verstoßes gegen das sog. Agentengesetz verhängt worden. Es drohen Organisationsschließungen und die Kriminalisierung der Vorstände. Unter diesen inneren und äußeren Bedingungen können wir uns nicht an einer Neuauflage des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form beteiligen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Außenminister,

der seinerzeit von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin initiierte Petersburger Dialog konnte die ihm zugedachte Aufgabe, zu einer Vertiefung und Verbreiterung der gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland beizutragen, auch in den vergangenen Jahren nur sehr bedingt erfüllen. Dies lag vor allem an der starken Nähe des Führungspersonals auf der russischen Seite zum politischen Machtzentrum im Kreml, die von Beginn an den Eindruck einer „von oben“ inszenierten und kontrollierten Veranstaltung nährte. Doch auch auf deutscher Seite wird der Petersburger Dialog bis heute von Personen dominiert, die aus politischer und ökonomischer Opportunität dazu neigen, Kritik am Kurs der russischen Führung als Störung der „deutsch-russischen Freundschaft“ zu betrachten. Zeitweise kam es zu der paradoxen Situation, dass kritische Äußerungen zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder zum Vorgehen des Kremls gegenüber Georgien aus den Reihen der deutschen Delegation als „Kalte-Kriegs-Rhetorik“ verteufelt wurden. Nüchtern betrachtet, waren die kritischen Stimmen aus der russischen und deutschen Zivilgesellschaft in den letzten Jahren nur eine geduldete Minderheit, die dem Petersburger Dialog den Anschein von Pluralismus und offener Diskussion verschaffte. Ungeachtet dieser Kritik haben wir uns in der Vergangenheit am Petersburger Dialog beteiligt, da wir grundsätzlich jedes Dialogpotenzial nutzen wollen und uns von der gemeinsamen Beteiligung mit unseren Partnern aus der russischen Zivilgesellschaft eine politische Absicherung dieser Zusammenarbeit erhofften.

Diese ohnehin schwachen Hoffnungen wurden durch die Entwicklungen in diesem Jahr zerstört. Vertreter unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen, die auf der russischen Seite zum Petersburger Dialog eingeladen werden, sind angesichts der politischen und juristischen Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, in ihrer Entscheidung über ihre Teilnahme nicht mehr frei. Wenn sie der Einladung nicht folgen, müssen sie weitere Repressalien befürchten. Uns, denen die Freiheit der Entscheidung gegeben ist, ist es nicht möglich, durch Teilnahme am Petersburger Dialog in Sotschi an der Aufstellung einer Potemkinschen Fassade namens „Dialog der Zivilgesellschaften“ mitzuwirken, während die kritischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland als „Agenten“ diskreditiert und vielfach drangsaliert werden.

Zugleich möchten wir unsere Bereitschaft unterstreichen, an einer Reform des Petersburger Dialogs in organisatorischer, inhaltlicher und personeller Hinsicht mitzuwirken. Eine solche Reform sollte darauf ausgerichtet sein, über die Auswahl der Formate, Themen und Teilnehmer die tatsächliche Lage der russischen Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken und einen offenen Dialog zu ermöglichen. Wir sind ganz damit einverstanden, dass gerade in kritischen Zeiten die Zusammenarbeit zwischen der russischen und deutschen Zivilgesellschaft gestärkt werden muss. Sofern der Petersburger Dialog in Zukunft dafür ein Forum bietet, werden wir uns gern daran beteiligen.