Indien: Zwischenzeugnis für die Modi-Regierung

Vereidigungszeremonie
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Narendra Modi (rechts) während der Vereidigung zum Premierminister am 27. Mai 2014

Avani Tewari ist 19 Jahre alt und studiert Jura an der Jindal Global Law School in Sonipat, nördlich von Delhi. Für dieses Dossier analysiert die junge Bloggerin wöchentlich die Mediendebatte nach der Wahl.

Vor genau einem Monat wurde die Modi-Regierung gewählt. Die politischen Maßnahmen und Entscheidungen der neuen Regierung haben durchaus Zündstoff geliefert, sei es die Erhebung von Hindi zur Nationalsprache, die Berufung von Richtern zum Obersten Gerichtshof oder die Anhebung der Bahnpreise kurz vor der Verabschiedung des neuen Budgets. Diese Themen sind wichtig, denn an ihnen lässt sich ablesen, ob die Verfahren einer parlamentarischen Demokratie eingehalten werden, ob die Interessen der unterschiedlichen Gruppen im Konsens ausgeglichen werden können und ob die drei Staatsorgane, die Exekutive, die Legislative und die Judikative nicht nur unabhängig sind, sondern ob die gegenseitigen Checks and Balances im Falle eines Machtmissbrauchs auch funktionieren.

Für eine endgültige Bewertung ist es noch zu früh, aber ich habe mich gefragt, ob wir dem neuen Premierminister gegenüber nicht zu kritisch waren. Haben wir ihm und seiner neuen Regierung genug Zeit gegeben, sich in ihre neue Situation einzufinden oder hat uns vielleicht die sogenannte hindu-nationalistische Agenda der Bharatiya Janata Party (BJP) und die „beschmutzte“ Vergangenheit des neuen Premierministers alle Objektivität genommen? Modi hat selbst gesagt: „Jede neue Regierung erhält das, was in den Medien gerne Flitterwochen genannt wird. Frühere Regierungen leisteten sich den Luxus, die Flitterwochen monatelang auszudehnen. Aber dieser Luxus wird mir, nicht ganz unerwartet, nicht gewährt.”

Hindi – eine nationale Sprache?

Was die Hindi-Frage angeht, so war es ein Rundschreiben des Innenministeriums an die Behörden, das für Wirbel sorgte: Hindi sollte auf allen öffentlichen Plattformen in den sozialen Medien Vorrang erhalten. Das wurde schnell als Versuch der neuen Regierung interpretiert, der Gesellschaft Hindi aufzuzwängen. Die Ausrufung von Hindi als „nationale“ Sprache des Landes ist schon seit langem umstritten und wurde von vielen Bundesstaaten, insbesondere aus dem Süden, immer vehement abgelehnt. Schon als 1948 die indische Verfassung entstand, gab es eine große Debatte um die Frage, ob Hindi die Nationalsprache des Landes werden sollte: Die Befürworter argumentierten, dass eine gemeinsame Sprache wichtig für die Wahrung der Einheit des Landes sei. Die Bundesstaaten, in denen dagegen kein Hindi gesprochen wird, sahen es vielmehr als eine Unterjochung und ungerechtfertigte Bevorteilung der Hindi sprechenden Bundesstaaten an. Die Verfassungsgeber erklärten Hindi zwar dennoch zur offiziellen Amtssprache, behielten aber Englisch als zweite Amtssprache bei. Dies sollte zunächst nur für 15 Jahre gelten, wurde jedoch 1965, als deutlich wurde wie heikel diese Frage immer noch war, beim Status quo belassen und zwei Jahre später durch einen Zusatz im Official Languages Act (Amtssprachengesetz), der Englisch auf unbestimmte Zeit erlaubte, ergänzt.

Der Kompromiss wurde allerdings erst erzielt, nachdem Aufstände und Unruhen in weiten Teilen Südindiens das gesamte Land an den Rand des Zerfalls gebracht hatten. Können wir uns einen solchen Konflikt noch einmal leisten? Die Hindustan Times schrieb zu diesem Thema: „Die NDA-Regierung würde der nationalen Integration einen großen Dienst erweisen, wenn sie dazu beitrüge, die alte chauvinistische und weit verbreitete Idee, Hindi sei die Nationalsprache Indiens, endlich zu begraben. Hindi und Englisch sind Amtssprachen. Indien hat keine offiziell erklärte Nationalsprache, wie das Hohe Gericht von Gujarat 2010 in einem Urteil unmissverständlich erklärte. Die Vermeidung von Chauvinismus ist ganz im Sinne des kooperativen Föderalismus und im Sinne des Ziels der BJP, eine echte pan-indische politische Partei zu werden.“[1]

Andere sind da freilich anderer Meinung und fordern Hindi als Nationalsprache – und sind sicher, wenn der Premierminister immer Hindi sprechen würde, gäbe dies den notwendigen Kickstart. Die Zee schreibt: „Modis Entscheidung, seine Reden in Hindi zu halten und sich mit Vertretern anderer Länder in unserer nationalen Sprache zu unterhalten, zeigt ganz eindeutig die Liebe zu seinem Mutterland.“[2] Und weiter: „Seine Gedanken in Hindi auszusprechen, ist nicht nur eine Frage der Sprachkenntnisse, sondern eine Möglichkeit, der indischen Sprache auf internationaler Ebene Gehör zu verschaffen. Ironischerweise wird Hindi heute von anderen Sprachen dominiert und gilt nicht als Sprache der multinationalen Unternehmen. Daher ist es heute unser aller erste Pflicht, Hindi in der Welt bekannt zu machen, auch wenn die Sprache in keinem anderen Land gesprochen wird.“[3]

Mir erscheint es vollkommen klar, dass in einem Land, das so vielfältig ist wie Indien, das so viele Sprachen, Religionen und Kulturen vereint, jeder Versuch, eine Entscheidung ohne Konsens aufzuzwingen, schädlich und spalterisch ist.

Indien und seine Richter

Eine zweite Kontroverse, die während der ersten Wochen der neuen Regierung entflammte, entzündete sich an der Berufung von Richtern. Indien blickt auf eine glorreiche Tradition der richterlichen Unabhängigkeit – und des Aktivismus – zurück und einige der Entscheidungen der höheren Instanzen haben die Exekutive an die Kandare genommen. Die Gewaltenteilung zwischen den verschiedenen Säulen des Staates ist das wesentliche Merkmal einer Demokratie. Es war der französische Philosoph Montesquieu, der zum ersten Mal die Teilung der Macht zwischen Exekutive, Legislative und Judikative forderte und dabei die Unabhängigkeit der Justiz von Gesetzgebung und ausführenden Organen unterstrich. Die Berufung von Richtern an den Supreme Court (Oberstes Gericht) und dem High Court (Obergericht) wird in Indien traditionell heiß diskutiert. Das war dieses Mal nicht anders, als ein ehemaliger Generalstaatsanwalt zum Richter am Supreme Court von Indien berufen wurde.

In Indien berufen die höheren Gerichte durch ein Gremium ihre Richter im Großen und Ganzen selbst. Ein Gremium dem der Chief Justice von Indien und vier hochrangige Richter des Supreme Court angehören, und das der Regierung Vorschläge unterbreitet. Dieses Verfahren wurde 1993 eingeführt und steht seit dem als intransparent und geheimnistuerisch in der Kritik.

Gopal Subramanium, den das Berufungsgremium als Richter am Supreme Court vorgeschlagen hatte, zog seine Nominierung zurück, nachdem bekannt wurde, dass die Regierung die Empfehlung des Gremiums abgelehnt hatte. Er warf daraufhin der Regierung vor ihn lediglich aus der Befürchtung heraus nicht berufen zu haben, die Regierungslinie nicht zu vertreten. Spätestens als Geheimdienstberichte durchsickerten, die Subramaniums Integrität in Frage stellten, wurde eine neue Debatte ausgelöst, die nicht nur das Berufungsverfahrens an sich in Frage stellt, sondern auch die Politisierung und die Unabhängigkeit der Judikative. Die Zeitung Hindu fragte, „ob die derzeitige juristische Praxis, die der Meinung des Chief Justice Priorität einräumt, die Exekutive dazu verleitet hat, andere Wege zu finden, um ihre Interessen durchzusetzen. Das derzeitige undurchsichtige Verfahren muss durch eine Berufungspraxis ersetzt werden, die wahrlich konsultativ und transparent ist, damit die Gerichte mit den besten juristischen Köpfen besetzt werden.“[4] Sanjay Hedge, Richter am Supreme Court, vertrat dazu eine andere Meinung: „Wenn eine Judikative für ihre eigenen Berufungen verantwortlich ist, braucht es etwas mehr als einen Bericht, der auf Anspielungen beruht, um die Integrität eines Kandidaten in Frage zu stellen.“[5]

Im ersten Monat der neuen Regierung wurden zudem die Bahnpreise erhöht – und das nur kurz vor der Präsentation des kommenden Bahnbudgets. Ein Vorgang der sofort die Kritiker auf den Plan rief und mit dem Vorwurf einherging, dass das Parlament umgangen worden sei. Die Opposition übte sich in Sarkasmus und fragte, ob Modi mit den „guten Tagen“, die er in seinem Wahlkampf so oft heraufbeschworen hatte, Preissteigerungen für Bahnfahrten, Zucker und Benzin gemeint hätte.

Die Regierung wird einige harte Entscheidungen treffen müssen, um der wirtschaftlichen Verschwendung Einhalt zu gebieten. Und das Haushaltsbudget, das demnächst vorgestellt wird, wird zeigen wie die neue Regierung gedenkt mit Investitionen, Wachstum, ausländischen Direktinvestitionen und einigen anderen kritischen Themen umzugehen. Die Zeitschrift Asian Age mahnte treffend: „Modi hat seinen ersten Monat im Amt genutzt, um sich einzuleben und einen Plan für seine Regierung zu entwickeln. Wir sollten ihn nicht voreilig verurteilen.“[6]

 

                                                                                                     

Endnoten:

[1] The Hindustan Times, „Bury the Chestnut that Hindi is India’s national language“, The Hindustan Times , 22. Juni 2014
[2] Zee News, „Modi Emerging as India’s Putin“, Zee News 10. Juni 2014
[3] Ibid
[4] The Hindu, „Stirring Up a Judicial Storm“, The Hindu, 27. Juni 2014
[5] Sanjay Hedge, „Borking Gopal Subramanium“, The Hindu, 26. Juni 2014
[6] Bharat Bhusan, „Modi’s Mute Mode“, The Asian Age, 27. Juni 2014