„Wir müssen diesen Krieg beenden“
Der Streit um das Urheberrecht tobt weiter. Wie können wirtschaftliche Geschäftsmodelle und Gemeinwohlinteressen im Internet-Zeitalter besser ausbalanciert werden? Wem nützen Netzsperren gegen Raubkopierer? Wäre eine Kultur-Flatrate ein wünschenswertes Vergütungsmodell für Kreative? Lawrence Lessig, Mitinitiator von Creative Commons und entschiedener Kritiker eines restriktiven Copyrights, stellte in sich in Berlin den Fragen des Publikums.
Von Jan Engelmann
Wenn lang gediente Regime abgelöst werden, dann geschieht das selten ohne Blutvergießen. Mit einer Revolution verbinden wir gemeinhin den gewaltsamen Konfliktaustrag zwischen bewahrenden und aufbegehrenden Kräften. Auch die digitale Revolution hat eine solche Gefechtslage erzeugt, wenngleich die Wahl der Waffen eine andere ist. So wird der leidenschaftlich geführte Kulturkampf um die Zukunft des Urheberrechts von lautem Schlachtenlärm und martialischen Bildern begleitet: Ein „war on copyright“ tobt diesseits und jenseits des Atlantiks.
Remix-Kultur
Lawrence Lessig ist - schon aus Rücksicht gegenüber seiner deutschen Ehefrau - im Grunde gegen eine solche Metaphorik. Gleichzeitig weiß der Verfassungsrechtler aus Stanford um die Gefahr, dass sich die Differenzen zwischen den libertären Befürwortern einer „free culture“ im Netz und den Kreativindustrien, die um ihre Geschäftsmodelle bangen, auf lange Sicht verfestigen könnten. Die sich abzeichnende französische Entscheidung für das Loi HADOPI, das Internetsperren für Raubkopierer nach zweimaliger Abmahnung erlaubt, liest sich denn auch wie eine Kriegserklärung an die Internetgemeinde, die das WWW längst als universelle öffentliche Bibliothek, kollaborative Arbeitsplattform und hoch beschleunigtes Kommunikationsmedium zu nutzen gelernt hat.
Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung war Professor Lawrence Lessig am 15. Mai 2009 in die überfüllten Berliner Sophiensaele gekommen, wo ihn ein fachkundiges und internationales Publikum mit Fragen zu den Copyright Wars, nun ja, bombardierte. Zunächst verdeutlichte Lessig in einem furiosen multimedialen Remix seines gleichnamigen Buches den Auseinanderfall zweier Kulturen: auf der einen Seite die Read-only-Kultur, die kreative Leistungen in exklusive Verwertungsansprüche überführt und deren „Säulenheiliger“ heutzutage Apples iPod ist. Demgegenüber steht die Renaissance einer stärker partizipativ ausgerichteten Re-write-Kultur, die ähnlich den oralen Verbreitungspraxen der Vergangenheit durch kollektive Produktionen jenseits des individualistischen Genie-Begriffs gekennzeichnet ist. Durch den medientechnologischen Fortschritt lassen sich Texte, Songs, Bilder und Filme heute selbst von Amateuren sehr professionell bearbeiten und weiterentwickeln. Hervorragende Zeugnisse dieser RW-Kultur erblickt Lessig insbesondere in den Millionen von Remixen, die auf youtube oder www.thru-you.com zu bewundern sind.
Prosumer aller Länder, legalisiert euch!
Doch diese vitale globale Kreativität stößt freilich an die Grenzen des geltenden Urheberrechtsregimes. Im Falle der musikalischen Hybridbildungen von z.B. DJ Dangermouse („Grey Album“) oder Girl Talk dauerte es nicht lange, bevor diese Werke von Anwälten der betroffenen Plattenfirmen aus dem Internet verbannt wurden. Doch alle repressiven Strategien zur Unterdrückung von lebendigen „Prosumer“-Kulturen hätten, so Lessig, vor allem einen Effekt gehabt: die umstandslose Kriminalisierung jener, denen (durch ihre mediale Sozialisation) das freie Tauschprinzip der Netzkultur näher ist als die (legitimen, aber zunehmend durchsetzungsschwachen) finanziellen Interessen von Produzenten und Unternehmen. Lessig mahnte eindringlich:
„Wir können Jugendliche nicht zur Passivität verdammen, allenfalls können wir sie zu ‚Piraten’ machen. Und dabei müssen wir uns fragen: Bezieht die Gesellschaft daraus irgendeinen Vorteil? In meinem Heimatland wachsen die Kids längst in einem neuen Zeitalter der Prohibition auf, sie leben ihre Leben im Grunde ständig gegen das Gesetz. Aber ein solches Leben ist ausgesprochen zerstörerisch, indem es die Regeln des Gesetzes und der Demokratie beschädigt. Wir müssen alle daran arbeiten, diesen Krieg um das Urheberrecht jetzt zu beenden.“
Jugendliche zu Piraten machen
Im anschließenden Publikumsgespräch, das von Matthias Spielkamp moderiert wurde, machte Lessig deutlich, dass es ihm im Kern um eine neue Ausbalancierung zwischen Rechtsgüterschutz und Rahmensetzung für die Kulturproduktion geht. Das geltende Urheberrecht „passe“ einfach nicht mehr in die digitale Zeit, in der unentwegt Kopien hergestellt werden. Erst eine neue gesellschaftliche Vereinbarung darüber, wie die „hybride Ökonomie“ im Netz dem Gemeinwohl und der wirtschaftlichen Innovationskraft dienlich sein könnte, ergebe einen sinnvollen Ausgangspunkt für zukunftstaugliche Regelungsformen. Lessig, der als Mitinitiator der Creative-Commons-Bewegung selbst ein alternatives Modell für abgestufte Nutzungsrechte vorgelegt hat, illustrierte anhand vieler Beispiele aus einzelnen Kreativbranchen, wie sich strenge lizenzrechtliche Bestimmungen und die Ausweitung der Schutzrechte letztlich als Hemmnisse für die kulturelle Produktion erweisen könnten. Sein Fazit: „Die juristische Komplexität bei den geistigen Eigentumsrechten zu erhöhen, ist keine Lösung.“
Das von den Grünen favorisierte Modell einer Kultur-Flatrate findet grundsätzlich Lessigs Zustimmung. Die damit intendierte Legalisierung der Tauschbörsen-Nutzung in Verbindung mit der Erhebung einer pauschalen Gebühr durch die Internet-Provider (die dann an die Rechteinhaber anteilig zurückgegeben würde) sei verbraucherfreundlich und helfe bei der Entkriminalisierung der User. In einem SZ-Interview hatte er bereits 2006 den Charme einer solchen institutionalisierten Kompensation erläutert. Ein kollektives Abgabesystem habe den Vorteil, dass es für diese Künstler Anreize schaffe, ihre Arbeit so zugänglich wie möglich zu machen. In diesem Zusammenhang riet Lessig jedoch zu einem sektoralen Einstieg, z.B. im Bereich der Musikwirtschaft, um erste Erfahrungen mit der Kultur-Flatrate zu sammeln. Wie sich kommerzielle Geschäftsmodelle in einem solchen neuen Regulationsregime behaupten könnten, verriet er leider nicht. Der Kampf, so er denn kein Krieg sein soll, geht also weiter.
Jan Engelmann ist Referent für Kunst und Kultur bei der Heinrich-Böll-Stiftung.