Eine (nicht uneingeschränkte) Verteidigung der ‚Sparsamen Vier‘

Hintergrund

Seit den Verhandlungen über den neuen europäischen Finanzhaushalt kennt man Schweden als Mitglied der ‚Gruppe der Sparsamen Vier‘. Die Gruppe bestehend aus Schweden, Dänemark, den Niederlanden und Österreich stehen Corona-Bonds skeptisch gegenüber. Als EU-Nettobeitragszahler sind sie grundsätzlich bereit, mehr an die EU zu zahlen, aber „es gibt Grenzen“.

Schwedische Flagge

Seit den Verhandlungen über den neuen europäischen Finanzhaushalt kennt man Schweden als Mitglied der ‚Gruppe der Sparsamen Vier‘. Die ‚Sparsamen Vier‘ (Schweden, Dänemark, Niederlande und Österreich) wollen dafür sorgen, dass der langfristige Haushalt nicht mehr als 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU umfasst. Zudem stehen sie den Corona-Bonds skeptisch gegenüber.

Als EU-Nettobeitragszahler sind sie grundsätzlich bereit, mehr an die EU zu zahlen, aber „es gibt Grenzen“. Viele Europabefürworter*innen sehen die ‚Sparsamen Vier‘ als Hindernis für europäische Solidarität, als Geizhälse, die ihre eigenen Interessen in Krisenzeiten über die der EU stellen. Das mag zum Teil richtig sein, die Situation ist jedoch deutlich komplizierter. Als schwedischer Grünenpolitiker werde ich versuchen, die sparsame nordische Position in einen Kontext zu stellen.

Schwedens Skepsis gegenüber zu viel europäischer Integration

Die schwedische Sicht auf die EU war schon immer positiv, aber auch bedacht: Positiv im Hinblick auf Zusammenarbeit und Freihandel, der zu beiderseitigem wirtschaftlichen Nutzen führen kann; aber auch besorgt darüber, dass zu viel Macht in Brüssel dazu führen könnte, dass letztlich die schwedischen Rechtsvorschriften im Bereich Umweltschutz und Arbeitnehmer*innenrechte ausgehöhlt werden.

Die Vorstellung, die EU als politische Einheit zu betrachten mit dem föderalistischen Ziel der Vereinigten Staaten von Europa, hat in Schweden noch nie Anklang gefunden. Das gilt auch für die schwedischen Grünen, die lange für einen Austritt Schwedens aus der EU votierten. Sie betrachteten die EU als neoliberales Projekt, dessen Distanz zwischen Politiker*innen und Bürger*innen die Demokratie zu unterminieren drohte.

2008 gaben die Grünen diese Position auf. Heute richten sie sich an der politischen Mitte aus, stehen der EU verhalten positiv gegenüber - allerdings eher als Kooperationsforum und weniger als rein politisches Projekt. Somit gibt es in Schweden keine wirkliche Unterstützung für die von Macron skizzierten großen Visionen für die EU.    

Schwedens Skepsis gegenüber einer föderalistischen EU ist auch auf die Entscheidung, nicht der Eurozone beizutreten, zurückzuführen. Jüngsten Berechnungen nationaler Volkswirtschaftler*innen zufolge wäre das schwedische Wirtschaftswachstum in den letzten 17 Jahren nur ein Drittel so hoch gewesen, hätten wir den Euro eingeführt und nicht die schwedische Krone behalten.

Die Eurokrise 2011 hat den Widerspruch zwischen einer gemeinsamen Währung und unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken offengelegt. Für Schweden bedeutet das vor allem, dass der Euro ein Fehler war und nicht, dass mehr Integration erforderlich ist, um die Probleme zu lösen, die die letzte Integrationsrunde verursacht hat.

Die Tatsache, dass Schweden ein kleiner Mitgliedsstaat ist, trägt außerdem zur schwedischen Skepsis gegenüber einer expansionistischen EU bei. Es gibt die Befürchtung, dass wenn Macron von einem vereinten Europa spricht, er ein Europa vereint unter Frankreich meint. Europäische Regierungschefs sprechen zwar von Solidarität, ihre Handlungen sind aber nach wie vor auf nationale Interessen ausgerichtet.

Der ehemalige schwedische Finanzminister, Anders Borg, berichtet in seinen Memoiren über seine Erfahrungen bei den EU-Verhandlungen während der Finanzkrise 2008. Südeuropäischen Ländern, insbesondere denen, die von finanziellem Interesse für Frankreich waren, wurden sehr viel nachsichtigere Rettungspakete angeboten als osteuropäischen Ländern, z.B. den baltischen Staaten.

Borg schreibt: „Vielleicht war ich naiv, als ich Finanzminister wurde und dachte, dass alle Länder gleichbehandelt würden. Das ist nicht der Fall. (…). Kleine Länder in Nord- oder Osteuropa sollten sich keine Illusionen machen – das Spiel wird manipuliert.“

Die Parallelen zur aktuellen Diskussion über Corona-Bonds liegen auf der Hand. Europabefürworter*innen mögen den ‚Sparsamen Vier‘ vorwerfen, sie seien nicht solidarisch. Aber einige nordische Politiker*innen haben die Vermutung, dass die Solidaritätsaufrufe nicht einmal halb so laut auf dem Kontinent gewesen wären, wenn nördliche und östliche Regionen am stärksten von der Krise betroffen wären.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer zu übersehen, dass die schwedische Position in gewisser Weise nationalistisch ist. Das mag für eine sozialdemokratisch-grüne Regierung merkwürdig anmuten. Die Erklärung ist jedoch einfach: Während die rechtsextremen Schwedendemokraten in Umfragen bei 20% liegen, werden die Sozialdemokraten alles in ihrer Macht stehende tun, um keine weiteren Stimmen an die Rechte zu verlieren.

Wirtschaftliche Umverteilung ist mit einem politischen Risiko verbunden

Ich denke, dass die ‚Sparsamen Vier‘ in der aktuellen Krise den Bedürfnissen südeuropäischer Staaten mehr entgegenkommen sollten. Schweden ist ein stark exportabhängiges Land. Anderen Staaten wirtschaftlich unter die Arme zu greifen, hilft also auch uns. Föderalismusbefürworter*innen müssen jedoch begreifen, dass wirtschaftliche Vergeltung seinen politischen Preis hat.

In Ländern wie Belgien, Italien und Spanien sind Sezessionsbewegungen entstanden, nachdem wirtschaftliche Ressourcen lange Zeit von einem Landesteil in einen anderen transferiert wurden.

Es ist moralisch vernünftig, dass ein stärkeres EU-Mitglied den schwächeren EU-Mitgliedern unter die Arme greift. Wenn wir wirtschaftliche Missstände dabei jedoch nicht mitberücksichtigen, riskieren wir einen nationalistischen Gegenwind, der neben Großbritannien weitere Länder aus der Union blasen wird.

Wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird eine der großen Herausforderungen darin bestehen, die Spannungen zwischen den ‚Sparsamen Vier‘ und den eher expansionistischen Regierungen auszugleichen.

Egal ob sparsam oder föderalistisch – uns verbindet das gemeinsame Verständnis, dass die EU das beste Instrument ist, um zusammenzuarbeiten, unsere Interessen voranzubringen und uns gegenseitig bei Bedarf zu helfen. Hoffentlich führt diese Erkenntnis zu einer gemeinsamen Lösung!