Die Weichen sind gestellt: Brasilien auf dem Weg in die transgene Landwirtschaft

12. Februar 2008
von Regine Rehaag

Von Regine Rehaag
Vorstand, KATALYSE Institut für angewandte Umweltforschung

Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien

Der Artikel erschien im "Lateinamerika Jahrbuch 31: Rohstoffboom mit Risiken" von 2007 und kann hier als PDF (12 Seiten) heruntergeladen werden.


Noch im Jahr 2001 bekräftigte der damalige Oppositionsführer Brasiliens Inácio Lula da Silva auf der Caravana da Agricultura Familiär, einer von den Gewerkschaften organisierten Veranstaltungstournee, dass es „mindestens Dummheit" sei, gentechnisch veränderte Organismen in Brasilien zuzulassen. Er sprach sich radikal gegen eine Freisetzung von transgenem Saatgut aus und bezeichnete es als Rückschritt, wenn eine Regierung dies auf den Weg bringen würde. Es wäre ein Zeichen für eine erneute Kapitulation der politischen Elite vor einem multinationalen Unternehmen, so der damalige Oppositionsführer. Auch im Wahlkampf 2002 versicherte Lula der Kampagne für ein transgenfreies Brasilien, dass er ein Moratorium gegen die kommerzielle Zulassung transgener Produkte unterstützen werde, bis die Zweifel hinsichtlich ihrer Risiken für Umwelt und Gesundheit geklärt seien. Diese Position ist im Regierungsprogramm der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) unter den Programmpunkten Umwelt und Lebensqualität, Menschenwürdiges Leben auf dem Land und Kein Hunger explizit festgehalten. Lulas Äußerungen aus der Vorregierungszeit, zusammengetragen in einer Fallstudie mit dem bezeichnenden Titel „Der Genosse hat es zugelassen" (Fernandes 2005), stehen in krassem Widerspruch zur Agrarpolitik, die die PT seit der Regierungsübernahme im Jahr 2003 betreibt.

Die Kehrtwende unter der Regierung Lula

Seit den 80er Jahren gilt die gezielte Förderung der Biotechnologie in Brasilien als viel versprechende Maßnahme, um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern und den Agrarexportsektor auszubauen. Die brasilianische Agrarpolitik steht seither im Zeichen der Liberalisierung und Deregulierung: Mindestpreisgarantien und landwirtschaftliche Kredite wurden abgebaut und Interventionsbestände aufgelöst, Agrarerzeugnisse für den Export und die Kraftstoffsubstitution (Ethanol aus Zuckerrohr) erfuhren dagegen eine massive Förderung. Vor allem bei Sojabohnen und Zuckerrohr kam es zu spektakulären Flächenausweitungen und Ertragssteigerungen. Anfänglich nur ein Thema in der Forschung und unter Agrarexperten, rückte gentechnisch verändertes Saatgut im Jahr 1998 mit der Zulassung der herbizidtoleranten RR-Sojabohnen („Roundup-Ready") des Saatgutherstellers Monsanto in den Blick der brasilianischen Öffentlichkeit. „Die Brisanz der gentechnischen Risiken reißt die brasilianische Gesellschaft aus dem Schlaf, kommentierte John Bernhard Kleba (Kleba 2000). Sieben Nichtregierungsorganisationen lancierten die „Campanha para um Brasil livre de Transgênicos" - die Kampagne für ein gentechnikfreies Brasilien -, der sich im Laufe der Zeit 100 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen angeschlossen haben. Die Kampagne wurde zur Protagonistin des gesellschaftlichen Technologiediskurses und der sich etablierenden kritischen Öffentlichkeit. Ihr Anliegen erfuhr politische Unterstützung durch die PT - der damals wichtigsten Oppositionspartei.

Die Kampagne für ein gentechnikfreies Brasilien hat erreicht, dass die Zulassung des Anbaus und der Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Soja, die ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Vorgaben zur Lebensmittelsicherheit gewährt worden waren, für ein paar Jahre ausgesetzt wurde. Dies gelang mit Hilfe der vielfältigen, im brasilianischen Recht vorgesehenen Interventionsmöglichkeiten wie etwa der so genannten Vorsichtsmaßnahme und der öffentlichen Bürgerklage. Die NGOs führten mit diesen Instrumenten die im internationalen Vergleich komplexesten und längsten Gerichtsprozesse herbei, die je von zivilgesellschaftlichen Organisationen angestrengt wurden. Eine Analyse der gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der brasilianischen Bundesregierung zeigt, dass die Regierung Lula genau wie ihre Vorgängerregierung Cardoso durch Notverordnungen und unter Missachtung der öffentlichen Meinung versucht hat, gentechnologische Anwendungen durchzusetzen. Nicht von ungefähr trat die brasilianische Bundesregierung im Jahr 2003 auf der Seite des privaten Unternehmens Monsanto als Revisionskläger gegen Institutionen an, die das öffentliche Interesse vertreten. Angesichts autokratischer, wenig transparenter staatlicher Entscheidungsprozesse und massiver Interessenkonflikte bleibt die Verlagerung der politischen Auseinandersetzung auf Gerichtsverfahren die einzige Möglichkeit der Zivilgesellschaft, Gehör zu finden (Lisboa 2005).

Nach komplizierten juristischen Interventionen war es der Kampagne gelungen, die Zulassung für gentechnisch veränderte herbizidtolerante Sojabohnen (Roundup-Ready) auszusetzen, sodass bis dahin illegal angebaute Soja nicht vermarktet werden durfte. Erst die Regierung Lula umschiffte das Verbot, indem sie die Sojaernten 2003, 2004 und 2005 jeweils per Präsidialdekret(1) ausnahmsweise erlaubte. Den Zeitraum von drei Jahren nutzte die Regierung, um mit dem Ende März 2005 verabschiedeten neuen Biosicherheitsgesetz eine grundsätzlichere Lösung zu schaffen. Die Absicht war klar: Der kommerzielle Anbau von genetisch veränderten Pflanzen sollte auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Die Regierung erklärte nicht, warum ein neues Gesetz erforderlich war, obwohl es doch schon seit zehn Jahren ein Biosicherheitsgesetz gab, das man hätte verändern können. „So wurde in einem magischen Schritt ein Gesetz lebendig begraben, das nie außer Kraft gesetzt worden war, und die Legende geschaffen,
dass Brasilien angesichts einer fehlenden spezifischen Gesetzgebung dringlich eine Regulierung für gentechnisch veränderte Organismen brauche." (Lisboa 2005)

Eine wesentliche Änderung im neuen Biosicherheitsgesetz betrifft die Zentralisierung der Entscheidungskompetenz. Die Zulassung von Forschung, Anbau und Vermarktung genmodifizierter Pflanzen liegt jetzt in der alleinigen Entscheidungsbefugnis der Nationalen Technischen Kommission für biologische Sicherheit (CTNBio), die mit dem ersten Biosicherheitsgesetz 1995 ins Leben gerufen worden war. Bis dato war jedoch das Umwelt- und Gesundheitsministerium für die Genehmigung der kommerziellen Nutzung zuständig. Unter den 27 Mitgliedern der CTNBio (zwölf Wissenschaftler, neun Vertreter von Ministerien und sechs Vertreter von Verbraucher-, Arbeitsschutz- und Umweltorganisationen) sind die Gentechnik-Skeptiker in der Minderheit. Zudem wurde das zur kommerziellen Zulassung erforderliche Quorum im Oktober 2006 mit einem Zusatz zu einem weiteren Präsidialdekret auf eine einfache Mehrheit reduziert. Zentrales Anliegen dieser Notverordnung war es, die am Rand von Naturschutzgebieten vorgesehene Pufferzone zur räumlichen Abtrennung der transgenen Pflanzungen von zehn Kilometer auf 500 Meter zu reduzieren. Damit wurden illegale transgene
Kulturen nachträglich legalisiert, die durch landwirtschaftliche Produzenten, vor allem durch das Unternehmen Syngenta Seeds, in der Pufferzone des Nationalparks Iguaçu angelegt worden waren.

Die Regierung Lula hat also mit einer ganzen Reihe von Ausnahmeverordnungen und einer Neuauflage des Biosicherheitsgesetzes die Weichen für die Etablierung einer transgenen Landwirtschaft in Brasilien gestellt. Das Gesetz zentralisiert die Entscheidungskompetenzen bei einer transgenfreundlichen Kommission. Hintergrund dafür ist ein Politikkonzept, das zunehmend auf die Agroindustrie setzt, nicht zuletzt wegen des Beitrags, den die Agrarexporterlöse zum Abbau der drückenden Schuldenlast leisten können. Dafür werden sogar rechtlich festgeschriebene Regulierungsvorgaben außer Kraft gesetzt. Obwohl die Zivilgesellschaft gut organisiert und kampagnenerfahren ist, wird es sehr schwerwerden, ein Gegengewicht zum eisernen Dreieck aus Politik, landwirtschaftlichen Behörden und Agrarlobby (die von den multinationalen Biotechnologieunternehmen dominiert ist) aufzubauen.

Die seit 1998 andauernde juristische Debatte ist jedoch trotz all dieser Versuche noch nicht beendet. Nach Artikel 225 der brasilianischen Verfassung sind Eingriffe baulicher wie technologischer Art nur zulässig, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung belegt, welche Risiken sie für die Umwelt darstellen und wie diese minimiert oder kompensiert werden können. Auch in Zukunft wird diese verfassungsrechtliche Vorgabe der Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen bleiben.

Transgene Forschung und Entwicklung

Bislang waren es ausschließlich multinationale Unternehmen, die in Brasilien Anträge auf Zulassung transgener Pflanzen zur kommerziellen Nutzung stellten. In drei Fällen wurden Zulassungen für gentechnologisch herbizidresistent gemachtes Saatgut (Soja, Baumwolle und Mais) gewährt, in zwei Fällen der mengenmäßig kontingentierte Import von transgenem Futtermittel. Auf der Zulassungsagenda der nationalen Biosicherheitskommission stehen zehn weitere transgene Saatgutvarianten von Mais, Baumwolle und Reis.

Die gentechnischen Veränderungen betreffen in allen Fällen ausschließlich Eigenschaften, die den Ertrag optimieren, also die Resistenz gegenüber Pflanzenschutzmitteln und die Toleranz gegenüber Krankheiten und Schädlingen erhöhen. Ziel ist die effizientere Herstellung von Agroexportprodukten. Qualitative Verbesserungen von Nahrungsmitteln, die von den Marketingabteilungen der Agrarunternehmen als Vorteile für den Konsumenten angepriesen werden, wie die Verbesserung des Vitamingehalts (z.B. bei Provitamin-A-haltigem Reis) oder der Fettsäurezusammensetzung (z.B. bei Omega-3-Fettsäure-haltiger Soja) und die Senkung des Schadstoffgehalts (z.B. durch verringerte Schimmelpilzgiftbildung in gelagertem Mais) spielen in der Praxis keine Rolle.

Seit zehn Jahren wird in Brasilien zu transgenem Saatgut geforscht und bis Juli 2007 wurden mehr als 1.200 Forschungsvorhaben zugelassen. Die Forschungsaktivitäten
verteilen sich auf wenige Akteure. Wertet man die Zahl der Vorhaben als Indikator für die Forschungsintensität, dann bestimmen die multinationalen Unternehmen mit etwas über 80 Prozent aller zugelassenen Vorhaben das Forschungsgeschehen im Bereich transgener Organismen. Monsanto ist hierbei mit rund 400 Forschungsprojekten (37 Prozent des Forschungsaufkommens) der führende Akteur, gefolgt von den Unternehmen Syngenta Seeds (159/14,7 Prozent), Pioneer (114/10,6 Prozent), Dow Agrosciences Industrial (84/7,8 Prozent), Bayer CropScience (70/6,5 Prozent) und BASF S.A. (56/5,2 Prozent) (Rehaag 2007).

Der Forschungsschwerpunkt der multinationalen Unternehmen liegt bei Cash Crops. An erster Stelle steht der Mais, mit dem sich zwei Drittel aller laufenden Vorhaben beschäftigen. Erst mit großem Abstand folgen Baumwolle und Soja (elf und zehn Prozent). Auch die Forschungsprojekte, die von brasilianischen Unternehmen oder Forschungseinrichtungen durchgeführt werden, widmen sich hauptsächlich Agrarprodukten für den Export und für die Kraftstoffsubstitution: Mais, Soja und Zuckerrohr machen einen Forschungsanteil von je fünfundzwanzig Prozent aus. Allein die Ministerien beschäftigen sich in ihrer Forschung auch mit Nahrungsmitteln wie Bohnen, Kartoffeln oder Papaya; auf diese entfallen allerdings jeweils weniger als ein Prozent der Forschungsvorhaben (Rehaag 2007).

Nach Soja jetzt auch Mais und Baumwolle

Die kommerzielle Nutzung von gentechnisch verändertem Saatgut begann in Brasilien mit transgenen Sojabohnen. Ihr Siegeszug ist nicht mehr aufzuhalten. Schätzungen über ihren derzeitigen Anteil an der gesamten Sojaproduktion gehen zwar auseinander, es ist jedoch müßig zu spekulieren, ob aktuell 35, 40 oder 50 Prozent erreicht sind, da die Anteile von einer Ernteperiode zur nächsten hochschnellen und es zudem eklatante regionale Unterschiede gibt. In Rio Grande do Sul und wahrscheinlich auch in den anderen südlichen Bundesstaaten, die als Eintrittspfade für das illegal angebaute Saatgut fungierten, ist die Frage obsolet: Hier dominiert transgene Soja bereits den Anbau. In den anderen Bundesstaaten ist es nur eine Frage der Zeit, bis Verhältnisse wie in Argentinien erreichtsind, wo konventionelles Saatgut heute keine wirtschaftliche Rolle mehr spielt.

Wohin die Entwicklung transgenen Saatguts in Zukunft gehen wird, machen auch die Zulassungsanträge der multinationalen Unternehmen auf kommerzielle Nutzung deutlich. Auch hier liegt der aktuelle Schwerpunkt eindeutig bei Mais (sechs von elf Zulassungsanträgen), an zweiter Stelle steht Baumwolle (drei von elf Zulassungsanträgen).

Mit transgenen Mais- und Baumwollsorten betritt die brasilianische Landwirtschaft eine neue Gefahrenstufe. Die Wahrscheinlichkeit der Auskreuzung und damit die Kontamination nicht-transgener Wildsorten und konventioneller Zuchtsorten sind bei diesen beiden Pflanzen unvergleichlich höher als bei Soja, da sie sich durch Fremdbestäubung vermehren. Sicherheitsmaßnahmen wie Umweltzonierung, also die räumliche Isolierung von konventionellem und transgenem Anbau, haben bei diesem Fortpflanzungsmechanismus geringere Chancen als bei der Soja, die sich durch Selbstbestäubung vermehrt.

Mais ist die Nutzpflanze mit der höchsten genetischen Diversität weltweit. Es existieren rund 300 Maisrassen mit jeweils tausenden von kultivierten Sorten. Mais wird in etwa 100 Ländern angebaut, die jährliche Gesamtproduktion liegt bei schätzungsweise 705 Millionen Tonnen. Brasilien gehört mit den USA, China und Mexiko zu den Hauptproduzenten, liegt allerdings mit einer mittleren Produktivität von 3,5 Tonnen pro Hektar deutlich hinter den USA (9 Tonnen pro Hektar) und Argentinien (7 Tonnen pro Hektar). Dies wird darauf zurückgeführt, dass die brasilianischen Produzenten kein veredeltes Saatgut verwenden und keinen Zugang zu modernen Zuchttechnologien haben. Die Landwirte des brasilianischen Mittelwestens, die moderne Technologien und Hybridsaatgut verwenden, erreichen eine vergleichbare Produktivität wie in den USA.

Bei der Baumwolle potenziert sich die Gefahr der Gendrift(2) durch die Tatsache, dass es sich um eine heimische Pflanze handelt. Forschungsvorhaben mit transgener insektenresistenter Baumwolle werden in Brasilien seit 1998 durchgeführt. Angesichts der drohenden Kontamination einheimischer Baumwollarten sind Vorsichtsmaßnahmen wie die Einrichtung von Sperrzonen und die vollständige Zerstörung der Anbaureste besonders wichtig. Um den Genfluss der transgenen Kulturpflanzen zu heimischen Wildsorten zu verhindern, hat das staatseigene brasilianische Agrarforschungsunternehmen EMBRAPA für die Ernteperiode 2005/2006 Sperrzonen im gesamten Norden Brasiliens sowie in bestimmten Regionen des Nordostens ausgewiesen, in denen transgene Baumwolle nicht angebaut werden darf.

Die klammheimliche Einführung transgenen Saatguts

Die Einschätzungen zu den Folgen des Einsatzes von transgenem Saatgut gehen nicht nur hinsichtlich der Risiken für Umwelt und Gesundheit, sondern auch in Bezug auf die ökonomischen und sozialen Folgen diametral auseinander. Die Spaltung zieht sich durch alle Ebenen der brasilianischen Gesellschaft: durch die Interessenvertretungen der Produzenten, die im Agrobusiness tätigen Unternehmen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die staatlichen Forschungsinstitutionen und die Politik.

Für die Befürworter repräsentiert transgenes Saatgut eine technologische Errungenschaft, die die Entwicklung des Agrarsektors vorantreibt. Die Kritiker sehen in der Anwendung gentechnisch veränderten Saatguts hingegen eine zwangsläufige und irreversible Entwicklung in Richtung eines kapitalintensiven Modells von Landwirtschaft, das anderen landwirtschaftlichen Produktionsmodellen die Existenzgrundlage entzieht.

Die Befürworterseite fordert vehement, dass die Risikobewertung von Fall zu Fall erfolgen müsse, das heißt dass sie immer nur für eine bestimmte Sorte Geltung beanspruchen dürfe. Ein Argument, das ohne Kenntnis der innerbrasilianischen Konfliktsituation banal anmuten könnte. Selbstverständlich werden konkrete Anwendungsfälle in ihrem jeweiligen Kontext einer Risikoanalyse unterzogen und als Einzelfälle bewertet. Transgene Soja, transgene Baumwolle und transgener Mais haben eine unterschiedliche Geschichte, sie kommen in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz und haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Umwelt. Baumwolle und Mais müssen gesondert betrachtet werden - Baumwolle wegen der besonders hohen Gefahr der Gendrift bei heimischen Pflanzen und Mais wegen seiner Bedeutung für die Ernährungskultur und die Ernährungssicherheit.

Risikomanagement ist jedoch eine gesellschaftliche Steuerungsaufgabe. Der Appell zur Einzelfallbetrachtung darf deshalb nicht als Einladung verstanden werden, im Dienste wirtschaftlicher Partikularinteressen auf übergreifende Risikobewertungen von Technologien und Anwendungsfeldern zu verzichten und damit den gesellschaftlichen Steuerungsanspruch preiszugeben. Doch genau das ist geschehen: Die Zulassung transgenen Saatguts geschah zumindest in den Anfangszeiten nicht strategisch auf der Grundlage einer systematischen Risikoanalyse und -bewertung, sondern folgte einer Strategie der vollendeten Tatsachen, hinter die es kein Zurück mehr gibt.

Die klammheimliche Einführung von transgener Soja durch eingeschmuggeltes Saatgut aus Argentinien ist nur ein Beispiel für diese Politik der vollendeten Tatsachen. Argentinische und brasilianische Behörden haben sich gegenüber der heftigen öffentlichen Kritik taub gestellt. Als der damals transgenkritisch eingestellte Bundesstaat Rio Grande do Sul gentechnisch veränderte Soja im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen konfiszieren und verbrennen wollte, verhinderte das Bundeslandwirtschaftsministerium dies. Entgegen der üblichen Praxis verzichtete der Saatguthersteller Monsanto über mehrere Ernteperioden hinweg sogar auf die Erhebung von Lizenzgebühren. Ab einer gewissen Anzahl einbezogenen Produzenten, so das Argument der Regierung, blieb dann angeblich kein anderer Ausweg, als sich der Macht des Faktischen zu beugen und den illegalen Anbau zu legalisieren.

Auch weitere Regierungsmaßnahmen lassen diese Strategie der vollendeten Tatsachen erkennen: Die nachträgliche Legalisierung von Forschungsvorhaben ewa, die in unmittelbarer Nähe zu Naturschutzregionen liegen, indem die in den Schutzvorgaben festgelegte Pufferzonen herabgesetzt werden. Oder auch die Genehmigungen der Anträge auf Import von transgenem Mais aus Argentinien, die der nationalen Biosicherheitskommission von der Geflügelzüchtervereinigung AVIPE des Bundesstaats Pernambuco vorgelegt wurden: der erste im Jahr 2000, der zweite im Jahr 2005. Ein dritter Antrag wartet bereits auf Genehmigung. Angesichts des überreichlichen brasilianischen Futtermittel- und Maisangebots erstaunt es, dass ein Produzentenverband in der Größe von AVIPE derart aufwendige Anstrengungen unternimmt, Ausnahmegenehmigungen für den Import von transgenem Futtermais zu erhalten, umso mehr, als die Initiative dazu von einem für die Geflügelproduktion unbedeutenden Bundesland ausgeht. Der Hintergedanke: Auch mit der Verbreitung transgener Futtermittel - die ja gleichzeitig auch transgenes Saatgut sind - werden Tatsachen geschaffen.

Gesundheits- und Umweltrisiken und Gefährdungen der Biodiversität mit negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit in Brasilien werden von allen beteiligten Seiten befürchtet (Rehaag 2007). Der Vertreter eines Unternehmens, das gentechnikfreie Soja herstellt, äußerte sogar die Auffassung, dass man bei der transgenen Soja unter ökologischen Kriterien die Risikophase bereits verlassen habe und in die Gefährdungsphase eingetreten sei. In Argentinien und kurz darauf auch in Rio Grande do Sul habe sich bereits herausgestellt, dass drei der häufigsten Unkräuter in Sojafeldern gegen den Wirkstoff des Herbizids Roundup von Monsanto (Glyphosat) resistent geworden sind. Genau der Toleranz gegen dieses Herbizid verdankt die transgene Sojabohne Roundup Ready von Monsanto jedoch ihre Entwicklung und Einführung. Die Statistiken belegenzudem, dass Frequenz und Menge des Glyphosateinsatzes sowie die Rückstandsbelastung exzessiv angestiegen sind. Damit wird einer der angeblichen Vorzüge, die Reduktion der Pflanzenschutzmittel, in der Realität nicht eingelöst. Aktuelle Veröffentlichungen aus Parana belegen etwa für den Zeitraum 2004 bis 2006 einen mittleren Anstieg der Glyphosatrückstände um 80 Prozent (Andrade 2007). Je nach dem zugrunde gelegten Grenzwert(3) sind somit fünf bis 75 Prozent der Sojaernte nicht für den Verzehr als Lebens- oder Futtermittel geeignet.

Koexistenz von gentechnisch veränderten und konventionellen Kulturen?

Die genetische Kontamination gilt als das mittelfristig größte Risiko für die Landwirtschaft und Umwelt Brasiliens, besonders bei Pflanzen mit Fremdbestäubung wie Mais, Baumwolle und Reis. Die ökologische Landwirtschaft ist noch stärker als die konventionelle vom Risiko der Gendrift betroffen, da infolge der höheren Biodiversität in ihren Arealen auch mehr Nützlinge leben, die transgene Pollen aus der Umgebung mitbringen können.

Selbst Befürworter räumen ein, dass Maßnahmen zur räumlichen und zeitlichen Isolierung (Umweltzonierung, Pufferzonen, Aussaat in verschiedenen Zeiträumen) erforderlich sind und dass Regulierungsvorgaben für eine Trennung entwickelt und die Rechte der Bauern, die sich für eine nicht-transgene Produktion entschieden haben, geschützt werden müssen.

Bei sich selbst befruchtenden Pflanzen kann die Kontamination durch Isolationsmaßnahmen wie die Umweltzonierung eingegrenzt werden. Neben der Verhinderung einer Auskreuzung muss allerdings auch dafür Sorge getragen werden, dass es bei Pflanzung, Ernte und Transport nicht zu Kontaminationen kommt. Das Nebeneinanderexistieren von konventionellen und transgenen Agrarsystemen muss mit Blick auf die im Vormarsch befindlichen transgenen Kulturen Mais und Baumwolle jedoch deutlich skeptischer beurteilt werden. Für Pflanzen mit Fremdbestäubung ist keine Lösung in Sicht. Eine besondere Gefahr stellt die zukünftig zu erwartende Kontamination mit transgenem Mais
dar, die zur genetischen Erosion der Landrassen führen wird - mit gravierenden Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit, da der Maisanbau im brasilianischen Alltagsleben eine wichtige Rolle spielt.

Die multinationalen Saatguthersteller geben zu, dass sie bessere Voraussetzungen hätten, um die transgene Produktion zu isolieren und Ausrüstungsgegenstände getrennt zu halten. In Regionen, wo viele Bauern auf kleinen Flächen wirtschaften, ist es hingegen äußerst schwierig, einen ausreichend großen Abstand zu gewährleisten. Die bäuerlichen Gemeinschaften müssen in solchen Regionen gemeinsam entscheiden, ob ihre Produktionsstrategie transgen, konventionell oder ökologisch sein soll. Auch Befürworter kommen also zum Schluss, dass eine Koexistenz zwischen transgenen und konventionellen Varianten unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich ist.

Aber selbst unter agroindustriellen Produktionsbedingungen ist angesichts der aktuellen brasilianischen Standards zur Überwachung und Rechtstreue eine Koexistenz praktisch nicht zu gewährleisten. Es fehlt nicht nur an der Sorgfalt bei der Überwachung geltender Gesetze wie der Kennzeichnungsverordnung, die die Rückverfolgbarkeit im Produktionsprozess gewährleisten soll. Es fehlt vor allem am politischen Willen, die regulativen, infrastrukturellen und logistischen Voraussetzungen für eine Koexistenz auf den Weg zu bringen. Dies hat zur Konsequenz, dass landwirtschaftliche Familienbetriebe, wie es beispielsweise in Rio Grande do Sul der Fall war, sich aus wirtschaftlichen Gründen dem Anbau transgener Kulturen anschließen müssen: Die Kosten für Maßnahmen, die eine Verseuchung minimieren - etwa die Trennung der Ausrüstungsgegenstände - müssen nämlich diejenigen aus eigener Tasche bezahlen, die sich dem Anbau von Gensoja „verweigern". Die konventionelle Produktion entwickelt sich infolgedessen tendenziell zu einem Nischenmarkt. So besteht das größte gesellschaftliche Risiko im Ausschluss der kleineren Produzenten und damit in der Zunahme
sozialer Ungleichheit.

Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Auswirkungen

Der Aufbruch in die transgene Landwirtschaft basiert weitgehend auf Versprechungen. Systematische sozioökonomische Folgeabschätzungen liegen nicht vor. Profitiert haben von der Einführung des transgenen Saatguts in erster Linie die Saatguthersteller sowie die Genossenschaften, die den Aufkauf der Produktion vor Ort organisieren und dafür zwischen fünf und fünfzehn Prozent der Lizenzgebühren bekommen. Ein Beispiel: Im Jahr 2004 wurden in Rio Grande do Sul durch Lizenzgebühren höhere Einnahmen erzielt, als der Landesregierung als Budget für Investitionen im Landwirtschaftssektor zur Verfügung standen (51 Mio. Reais entsprechen 27,4 Mio. US-Dollar). Wenn die gesamte derzeitige Sojaernte (52 Mio. Tonnen) transgenen Anbaus entstammen würde, ließen sich bei zwei Prozent Lizenzgebühren mit einem durchschnittlichen Preis von 239
US-Dollar pro Tonne Soja rein rechnerisch brasilienweit Einnahmen in Höhe von 248 Millionen US-Dollar erzielen. Dazu kommen die Profite durch den Verkauf des Herbizids und des transgenen Saatguts, das deutlich teurer ist als das konventionelle (Andrioli 2007).

Auf Seiten der landwirtschaftlichen Erzeuger bringt der Anbau von transgener Soja (zu Mais und Baumwolle lassen sich noch keine Abschätzungen treffen) in den ersten Jahren eine gewisse Kostenreduktion und damit auch temporäre Vorteile. Zurückzuführen sind sie auf die Arbeitsersparnis durch den Einsatz des Totalherbizids, das alle nicht gegen das Herbizid resistenten Pflanzen abtötet. Die Produktivität der RR-Soja von Monsanto ist eher geringer als die konventionelle Soja. Die anfänglichen Produktionsvorteile lassen sich auf Dauer allerdings nicht halten. Spätestens wenn Resistenzen auftreten und die transgenen Pflanzen durch neue Krankheiten oder Herbizidanreicherung im Boden Produktionsrückgänge zeigen, erweisen sich die Versprechen der Gentechnikhersteller als Milchmädchenrechnung.

Auch die Behauptung, durch transgene Sorten lasse sich die Gesamtmenge an Pflanzenschutzmitteln reduzieren, wird in der Realität nicht eingelöst. Es kommt im Gegenteil zu massiven Belastungen des Ernteguts und der Böden. Die Pestizidbelastung ist bei Gensoja deutlich höher als bei herkömmlicher Soja.

Eine offensichtlich negative Konsequenz der Einführung von transgenem Saatgut sind die zunehmenden Abhängigkeitsverhältnisse. Der biotechnologische Sektor ist eindeutig oligopolistisch strukturiert. Wenige große multinationale Unternehmen dominieren Forschung und Entwicklung und kontrollieren bereits große Teile des Saatgutmarktes und der landwirtschaftlichen Investitionsgüter. Die Saatguthersteller sichern ihre ökonomischen Interessen, indem sie geistige Eigentumsrechte auf die entwickelten transgenen Saatgutsorten geltend machen. Die brasilianische Landwirtschaft verliert damit nicht nur die Autonomie der Saatgutherstellung, die Produzenten müssen auch höhere Preise für das Saatgut und Lizenzgebühren auf die erzielte Ernte bezahlen. Durch die Einführung von transgenem Mais ist zudem eine qualitative Veränderung der Abhängigkeit zu
befürchten. Während bei der transgenen Soja schwerpunktmäßig die exportorientierte Futtermittelbranche betroffen ist, geraten beim transgenen Mais auch die Vielfalt der heimischen Sorten und die brasilianische Ernährungskultur in Gefahr.


(1) Eine „Medida provisória" ist eine Notverordnung mit befristetem gesetzgeberischem Charakter, die vom Parlament bestätigt werden muss.
(2) Gendrift bezeichnet hier Eindringen bewusst veränderter Gene in nicht transgene Populationen.
(3) Im Jahr 2004 wurde der seit 1985 geltende Grenzwert für Glyphosat-Rückstände in Soja unter der Regierung Lula kurzerhand um das Fünfzigfache erhöht (vgl. Duarte 2005).