Der Weg eines vielstimmigen Diskurses
Sozial- und umweltverträgliche Entwicklung an der Transamazônica und am Xingu
Von Ana Paula Santos Souza
Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Die Transamazônica, eine der größten Straßen, die 1970 das Herz des Amazonas-Regenwaldes durchschnitten hat, war schon immer in der Presse: am Anfang, weil es ein pharaonisches Bauvorhaben war, von dem manche glaubten, es würde die öffentlichen Gelder verschlingen und doch nur aus dem Nichts ins Nichts führen. Andere hielten sie für die Rettung Amazoniens, das damit endgültig an den Rest des Landes angebunden und sich garantiert weiterentwickeln würde. Später hat die Bundesregierung das Projekt aufgegeben und damit auch für Schlagzeilen gesorgt. Das Drama von Tausenden von zugewanderten Familien, die isoliert inmitten unbefahrbarer Straßen, die quer durch den Wald führten, keinen Zugang hatten zu Gesundheitsversorgung, Schulbildung und landwirtschaftlichen Krediten, war Thema in regionalen und sogar überregionalen Zeitungen und Zeitschriften und fand seinen Platz in den Reden der Politiker, selbstverständlich nicht mit derselben Wirkung wie zuvor. Ab 1987 war dann die Reaktion der organisierten Zivilgesellschaft - angeführt von den Bauern und der Katholischen Kirche - in den regionalen Zeitungen. Die Bewegung für das Überleben an der Transamazônica MPST (Movimento pela Sobrevivência na Transamazônica) ist entstanden: eine Reaktion der Bauern auf die Vernachlässigung durch die Regierung, die von verschiedenen anderen organisierten Gruppen unterstützt wurde, darunter die Katholische Kirche, vertreten durch die Diözese Xingu. Sie forderten von der Bundesregierung die Wiederaufnahme des Erschließungssprojekts.
1. Die Geschichte der sozialen Bewegungen an der Transamazônica und am Xingu
1992 haben die Anführer der MPST die Stiftung Leben, Produzieren und Erhalten FVPP (Fundação Viver, Produzir e Preservar) als ihre rechtliche Vertretung gegründet. Die FVPP ist eine gemeinnützige Einrichtung, die von Spenden, sozialen Projekten und ehrenamtlicher Mitarbeit getragen wird und ihren Sitz in Altamira im Bundesstaat Pará hat. Sie wurde auf Initiative von Bauernverbänden, kirchlichen und städtischen Volksbewegungen und Bildungsorganisationen an der Transamazônica und am Xingu in Pará gegründet und hat die Aufgabe, bei der Formulierung öffentlicher, wirtschaftlicher und sozialer Politiken in der Region verbindend tätig zu sein. Seit ihrer Gründung ist sie mit den fortschrittlichsten Bewegungen in Amazonien und im ganzen Land vernetzt, um nachhaltige Entwicklungsprojekte zu planen und durchzuführen.
Zur FVPP gehören gegenwärtig ungefähr 113 Organisationen (Landarbeitergewerkschaften, Arbeitergewerkschaften, Verbände, Kooperativen, Frauenbewegungen, Pastorale, kulturelle Bewegungen u.a.) aus den Gemeinden an der Transamazônica und am Xingu, das sind 15 Gemeinden im Südwesten von Pará. Sie bilden in ihren jeweiligen Gemeinden Netzwerke zur Artikulation und zur Unterstützung der FVPP. Wichtigstes Entscheidungsforum der FVPP ist die Hauptversammlung, die einmal jährlich stattfindet und in der Aktivitäten evaluiert und definiert werden. Die Hauptversammlung wählt alle drei Jahre einen fünfköpfigen Vorstand und setzt den Verwaltungsrat ein, dessen Mitglieder in den Gemeinden, in denen die FVPP tätig ist, gewählt werden.
Die FVPP hat entscheidend zu wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen beigetragen, die das Gebiet an der Transamazônica und am Xingu zu einer Region machten, in der sich die kleinbäuerliche Landwirtschaft auch dann halten konnte, als nationale und regionale Strukturbedingungen verstärkt zu Verarmung und Wegzug der ländlichen Bevölkerung führten. Die FVPP koordiniert im Moment ein Entwicklungsprojekt für den Zeitraum 2003 bis 2013, in dem ausgehend von Vorschlägen der Gesellschaft, produktive Strategien in Wald-, Land-, Vieh- und Fischwirtschaft weiterentwickelt und Aktionen im Bereich Kommunikation, Bildung und Infrastruktur konsolidiert werden sollen.
1.2. Regionalentwicklung und die Rolle der sozialen Bewegung
Hauptziel der FVPP ist es, zu einer nachhaltigen Entwicklungspolitik in Amazonien beizutragen, indem wirtschaftliche Initiativen gestärkt werden, die die sinnvolle Nutzung der natürlichen Ressourcen, partizipatives Gebietsmanagement und eine auf vielfältigen Grundlagen basierende Wirtschaft fördern und den Land- und Stadtbevölkerungen der Region sozialen Nutzen bringen. Eine vielseitige Organisation, bei der die nachhaltige Entwicklung, vor allem ländlicher Gebiete, im Mittelpunkt steht, geht auch strategische Partnerschaften ein mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen des Landes und des Bundes zur Implementierung von Bildungs- und Jugendpolitiken, technischer Beratung, Landwirtschaftskrediten, Wald- und Fischwirtschaft. In diesem Sinne förderte die FVPP zusammen mit anderen Partnern die Schaffung eines Mosaiks von Schutzgebieten in der Terra do Meio mit Sammlerreservaten, Nationalpark, Ökostation u.a., insgesamt ca. 7 Millionen Hektar, und Wäldern, die aus der Hand unrechtmäßiger Besitzer der nachhaltigen Nutzung zugeführt wurden.
Andererseits gibt es offensive Kritik anderer politischer Gruppen, die sich aufgrund von Restriktionen der Umweltpolitik in der Region benachteiligt fühlen. Für sie sind die Katholische Kirche und soziale Bauernbewegungen, angeführt von der FVPP, verantwortlich für alle zur Debatte stehenden Umweltprobleme, sowie auch für die Kontroll- und Restriktionsmaßnahmen der Bundesregierung während der letzten drei Jahre. Diese Konfliktsituation brachte der sozialen Bewegung unersetzliche Verluste, darunter der Mord an wichtigen Anführern wie Dorothy Stang und Ademir Federicci, die mit der FVPP seit ihrer Gründung verbunden waren.
Verstärkt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird die FVPP seit 1993, als sie anfing Projekte zu verwalten, die mit öffentlichen Geldern und internationalen Zuwendungen (z.B. PP-G7) finanziert werden. Sie war einer der Protagonisten für die erfolgreiche Einführung des Entwicklungsfonds für den Norden FNO (Fundo Constitucional do Norte), einer Kreditlinie für kleinbäuerliche Landwirtschaft. Das Projekt Proambiente (Für die Umwelt), das als Zusammenfassung der Entwicklungsbestrebungen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in der Region angesehen wird, und die Schulinternate für Bauernkinder (Casas Familiares Rurais) werden von lokalen Organisationen, Bauern, Studenten und der Presse als wichtige Initiativen bei der ökologischen Entwicklungsplanung an der Transamazônica und am Xingu hevorgehoben.
1.3. Die Herausforderung, eine andere Zukunft aufzubauen
Viele neue und altbekannte Gründe machen die Aufgabe, für Amazonien, und auch die Transamazônica und den Xingu, eine andere Zukunft aufzubauen, zu einer Herausforderung. Dazu gehört das Entwicklungsmodell, das auf Großprojekten basiert und auf Biodiversität und die Bevölkerungen in diesen Regionen keine Rücksicht nimmt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Bau des großen Wasserkraftwerks Belo Monte am Rio Xingu in der Gemeinde Altamira, zu dem es unterschiedliche Diskurse in der Region gibt. Auf der einen Seite steht der Einsatz für ein nachhaltiges Projekt, der fast immer von sozialen Bewegungen angeführt wird. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die in den natürlichen Ressourcen eine unerschöpfliche Quelle an Reichtum sehen, allen voran Unternehmer, Politiker, Holzhändler, Großgrundbesitzer und grileiros (illegale Landbesetzer, die Besitzurkunden fälschen). Jeder, der sich in dieser Gegend für eine notwendige, qualifizierte soziale und ökologische Debatte über die Nachhaltigkeit von Großprojekten einsetzt, bekommt harte Kritik von Seiten dieser wirtschaftlichen Gruppen zu spüren, die in den natürlichen Ressourcen unerschöpfliche Reichtümer sehen, die dringend genutzt werden müssen.
Umgekehrt scheint die Konsolidierung eines Entwicklungsmodells, das die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die von indigenen Bevölkerungen und Flussanwohnern praktizierte Sammelwirtschaft und den Zugang der Bevölkerungen zu grundlegenden öffentlichen Politiken stärkt, noch schwieriger zu sein, wenn man bedenkt, dass die Regierungspolitiken auf nationaler und internationaler Ebene diese Fragestellungen nur am Rande streifen. Wie soll man von einer Änderung der Produktionsweisen sprechen, wenn die einzige Technologie, die den Bauern in Amazonien zur Verfügung steht das Feuer ist? Wie soll man von Wandel sprechen, wenn die Bevölkerung beispielsweise nicht weiß, was aus den hunderten von Umweltstraftaten wird, die von den Großgrundbesitzern, Holzunternehmern und grileiros begangen werden? Wie soll man von einer Änderung der Entwicklungsparameter sprechen, wenn die öffentlichen Banken weiterhin extensive Viehwirtschaft großer und kleiner Viehzüchter finanziert? Wie soll die „soziale ökologische Revolution“ umgesetzt werden, wenn der Großteil der Bevölkerungen in den Schutzgebieten und Siedlungsprojekten im Regenwald Analphabeten sind?
Eine sozial- und umweltverträgliche Entwicklung an der Transamazônica ist trotzdem kein utopisches Bestreben. Es gibt kein fertiges Rezept für die Suche nach diesem Gleichgewicht, und die Praxis ist noch weit von dem entfernt, was die Umweltschützer und Entwicklungsexperten derzeit debattieren. Man muss in der Praxis ausprobieren und prüfen. Man muss aber auch an die Fähigkeit all dieser Bevölkerungen glauben, gemeinsam neue Wege gehen zu können. Beispiele haben gezeigt, dass dies möglich ist. Eines dieser Beispiele ist das Programm Proambiente, das im Gebiet der Transamazônica von der FVPP koordiniert wird, ein Programm zur Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Amazonien. Proambiente versucht Produktion und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu verbinden und in die landwirtschaftlichen Betriebe zu integrieren, der Schwerpunkt liegt dabei auf Umweltdienstleistungen (Reduzierung von Entwaldung, Feuer und Pflanzenschutzmitteln, Sanierung von Wassereinzugsgebieten, Flüssen, Seen und Kohlenstoffsenken). 300 Kleinbauernfamilien sind allein an der Transamazônica aktiv ins Projekt eingebunden, das macht eine Fläche von ungefähr 24 000 ha aus. Trotz zahlreicher positiver Ergebnisse, wie beispielsweise der Reduzierung der Brandrodungen und der Entwaldung auf diesen Grundstücken, wurde das Programm noch nicht zur wirksamen öffentlichen Politik, aber es bewegt sich in diese Richtung.
Ein anderes Beispiel, das die Fähigkeit der amazonischen Bevölkerungen, Herausforderungen zu meistern, zeigt, war die Einrichtung des Dema-Fonds (Fundo Dema), eine Erfahrung über die Vernetzung der sozialen Bewegungen, die mit einer Anzeige gegen Holzdiebstähle (Mahagoni-Holz) auf staatseigenem Land und in indigenen Gebieten in der Region Terra do Meio (zwischen São Felix und Altamira) begann. Tausende Kubikmeter Holz wurden von der Bundesumweltbehörde IBAMA (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis) beschlagnahmt und gingen als Schenkung an Organisationen (darunter auch die FVPP), die das Holz weiterverarbeiteten, auf dem internationalen Markt verkauften und mit dem Nettogewinn einen Dauerfonds einrichteten, dessen Kapital nicht ausgegeben werden darf, wohl aber die Erträge aus den Geldanlagen. Der Dema-Fonds finanziert kleine soziale und umweltverträgliche Projekte (bis R$ 20 000) für lokale Organisationen und abgelegenen Gemeinden.
An die Zukunft von Amazonien zu denken heißt auch, in die Zukunft der Generationen, die in diesem Land wohnen, zu investieren. Beispiele wie die oben genannten gibt es viele und sie zeigen, dass es tatsächlich möglich ist, gemeinsam „eine andere Zukunft“ aufzubauen.
Altamira, 20. Januar 2008
Über die Autorin
Ana Paula Santos Souza ist Professorin mit Master in kleinbäuerlicher Landwirtschaft und nachhaltiger Entwicklung. Derzeit ist sie Koordenatorin der FVPP.