"Energiewende darf internationale Verpflichtungen nicht untergraben!"

24. Juni 2011
Barbara Unmüßig, Liane Schalatek, Lili Fuhr
Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung
Liane Schalatek, Stellvertretende Büroleiterin Nordamerika
Lili Fuhr, Referentin Internationale Umweltpolitik

Kernforderungen an die Bundesregierung

  1. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist historisch. Eine umfassende Energiewende mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2050 ist ein essentieller Beitrag zum Klimaschutz. Investitionen in die Energiewende kosten Milliarden in Deutschland. Die zusätzlichen Finanzierungsbedarfe der nationalen Energiewende dürfen aber auf keinen Fall auf Kosten der internationalen Klimafinanzierung und der Verpflichtungen Deutschlands gehen. Deutschland muss seinen fairen Anteil an den 100 Milliarden US-Dollar jährlich ab dem Jahr 2020 leisten, die die internationale Gemeinschaft in Kopenhagen verabredet hat. Die nationale Energiewende und der internationale Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen, wenn Deutschland seine internationale Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit nicht verspielen will.
  2. Klimaschutz für die am Härtesten von Klimawandel betroffenen Bevölkerungsgruppen heißt, dass mindestens die Hälfte der deutschen Klimamittel für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel fließen muss, nicht in Form von Krediten, sondern als Zuschüsse. Das verlangt das Prinzip Klima der Gerechtigkeit. Der Großteil sollte über multilaterale Klimafinanzierungsinstrumente unter dem Mandat der Klimarahmenkonvention (zum Beispiel dem neuen Grünen Klimafonds und dem Kyoto Protokoll Adaptationsfonds) zur Verfügung gestellt werden.
  3. Deutschlands bilaterale Klimafinanzierung mit der internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des BMU und den existierenden Entwicklungshilfekanälen des BMZ, muss endlich stärker national wie international koordiniert werden, um eine faire, effiziente und effektive Ausrichtung deutscher Klimaschutzmittel zu gewährleisten. Nutznießer/innen deutscher Klimafinanzierung müssen vor allem betroffene Länder und Bevölkerungsgruppen sein, die bislang von globaler Klimafinanzierung wenig profitiert haben. Eine Verausgabung deutscher Klimagelder als „tied aid“ muss vermieden werden.
  4. Die Bundesregierung sollte sich im europäischen und globalen Kontext zur Fürsprecherin für den Einsatz innovativer Finanzierungsquellen für den globalen Klimaschutz machen. Die positiven Erfahrungen Deutschlands mit dem Einsatz der Erlöse aus der Versteigerung von Verschmutzungszertifikaten für den internationalen Klimaschutz im Rahmen der IKI sollten als „best practice“ global Nachahmer finden. Deutschland sollte sich auf EU-Ebene für die regionale Einführung einer Finanztransaktionssteuer stark machen sowie in den UN Klimaverhandlungen Initiativen für die Einführung von Abgaben auf den internationalen Schiffs- und Flugverkehr unterstützen.
  5. Der deutsche Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung über bilaterale und multilaterale Finanzierungskanäle muss nicht nur quantitativ angemessen, sondern auch von qualitativen Prinzipien und Normen geleitet sein und die Beachtung internationaler Umwelt- und Menschenrechtsstandards garantieren.

Deutschlands Zusagen für internationale Klimafinanzierung

Als Unterzeichner der UN Klimarahmenkonvention (UNFCCC) ist Deutschland wie andere Industrienationen verpflichtet, die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel, der klimafreundlichen Entwicklung und dem Regenwaldschutz adäquat finanziell zu unterstützen. Beim Klimagipfel im mexikanischen Cancún 2010 haben die Industrieländer zugesagt, bis 2020 die jährliche Klimafinanzierung auf 100 Milliarden US-Dollar zu steigern. Hierzu muss Deutschland seinen fairen Anteil entsprechend des Grundprinzips der Klimarahmenkonvention nach gemeinsamer, aber differenzierter Verantwor-tung und jeweiliger wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aller Vertragsstaaten leisten. In Kopenhagen 2009 hatte Merkel zudem zugesagt, für den Zeitraum 2010 bis 2012 im Zuge der sogenannten Fast Start Finance insgesamt 1,26 Milliarden Euro (oder 240 Millionen Euro pro Jahr) aufzubringen.

Klar ist inzwischen, dass Deutschland seine Kopenhagen-Zusagen zur Fast Start Finance aller Voraussicht nach nicht einhalten wird. Viele der angerechneten Mittel sind nicht zusätzlich zu bestehenden Entwicklungshilfezusagen oder werden lediglich als Kredite vergeben. Insgesamt sind Mittel im Haushalt 2011 und 2012 gestrichen worden. Im Zuge der Novellierung des Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ droht nun die Gefahr, dass angesichts eines höheren Finanzierungsbedarfs der nationalen Energiewende sowie des Wegfalls von Abgaben der Atomkonzerne von der einen in die andere Tasche gewirtschaftet wird und die langfristigen internationalen Klimafinanzierungsverpflichtungen Deutschlands auf der Strecke bleiben.

Novellierung des Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“

Im letzten Jahr wurde das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ geschaffen, das neben anderen Verwendungszwecken wie Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Energiespeicher- und Netztechnologien sowie energetischer Gebäudesanierung auch die Finanzierung nationaler und internationaler klimarelevanter Ausgaben vorsieht. Gespeist wird es aus einem Teil des Erlöses von versteigerten Verschmutzungszertifikaten aus dem Emissionshandel sowie aus den Abgaben der Atomkonzerne. Mit der Einrichtung des Sondervermögens hatte die Bundesregierung angekündigt, bis 2017 insgesamt eine Milliarde Euro für den internationalen Klimaschutz und Anpassung auszugeben. Ein Großteil dieser Gelder (rund 950 Millionen Euro) ist aktuell im Haushalt gesperrt.

Mit der Vorlage des Bundeskabinetts zum früheren Ausstieg aus der Atomenergie und der notwendigen Energiewende, muss das Sondervermögen jetzt novelliert werden, um Einnahmeausfälle aus der Atomwirtschaft zu kompensieren. Ab 2012 sollen alle Emissionshandelserlöse Deutschlands in das Sondervermögen fließen. Dies bedeutet zunächst einen Zuwachs des Gesamtumfangs des Sondervermögens. Gleichzeitig erhöhen sich die Anforderungen an das Sondervermögen: Die Novellierung des „Energie- und Klimafonds“ sieht neue Finanzierungsaufgaben und -zusagen vor, die auf Kosten internationaler Klimaschutzausgaben gehen könnten. Dazu gehören Maßnahmen zur Entwicklung der Elektromobilität sowie ab 2013 jährlich bis zu 500 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen für stromintensive Unternehmen für emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen. Die Bundesregierung muss im Rahmen der Novellierung klären, welche Mittel auch in Zukunft aus dem Sondervermögen für den internationalen Klimaschutz zur Verfügung stehen.

Instrumente der Klimafinanzierung

Gegenwärtig werden Unterstützungszahlungen der Industrieländer an Entwicklungsländer für Klimaschutz, Waldschutz und Anpassung über eine Vielzahl von unkoordinierten und vielfach intransparenten multilateralen und bilateralen öffentlichen Finanzierungsmechanismen und Fonds abgewickelt, für die es keine klare globale Prioritätensetzung und Aufgabenteilung gibt. Alleine in Deutschland existiert eine Vielzahl verschiedener Klimafinanzierungsinstrumente: Die Internationale Klimaschutzinitiative Deutschlands (IKI) des BMU, sowie Initiativen unter dem Dach des BMZ, die von der GIZ und der KfW durchgeführt werden. Hinzu kommen Finanztransfers über traditionelle bi- und multilaterale Entwicklungsfinanzierungskanäle, zum Beispiel über nationale und regionale Entwicklungsbanken wie die deutsche KfW. Koordination und Abstimmung ist eine Schlüsselaufgabe in der nationalen wie internationalen Klimafinanzierungspolitik.

Die derzeit für den globalen Klimaschutz zur Verfügung stehende Gesamtsumme liegt weit unterhalb von aktuellen Bedarfsschätzungen. Hoffnungen auf massive Privatinvestitionen im Klimaschutz, die nach den Erwartungen der Industrieländer den Hauptteil des Finanzbedarfs abdecken sollen, haben sich bislang nicht erfüllt. Innovative Finanzierungsmechanismen, zum Beispiel eine Finanztransaktionssteuer, die Nutzung von Sonderziehungsrechten beim Internationalen Währungsfonds oder Abgaben auf Luft- und Seetransport, sind von einer globalen politischen Realisierung noch weit entfernt. Damit kommt öffentlichen Finanztransfers für die absehbare Zukunft eine Schlüsselrolle zu.

Derzeit werden Zahlungen der Industrieländer zum Großteil in Form freiwilliger Finanzzusagen der Industrieländer geleistet und mehrheitlich auf die ODA-Verpflichtungen der OECD angerechnet. Dies führt dazu, dass öffentliche Klimagelder meist nicht zusätzlich zur Entwicklungshilfezahlungen, sondern durch Umschichtung von Entwicklungshilfeprioritäten bereitgestellt werden, obwohl durch den Klimaschutz zusätzlicher Finanzierungsbedarf besteht. Gemachte Finanzzusagen werden außerdem häufig nicht in voller Höhe eingehalten und sind nicht einklagbar. Das unterminiert die langfristige Planungssicherheit, die Entwicklungsländer für eine kohlenstoffarme Entwicklung und Anpassung an unvermeidbare Klimawandelfolgen brauchen. Wegen der Unvorhersehbarkeit der zur Verfügung stehenden Mittel kommt die derzeitige Klimafinanzierung damit kaum über den Einzelprojektansatz hinaus. Für dringend benötigte sektorweite oder programmatische Ansätze fehlen die Gelder.

Nur wenige Klimafinanzierungsmechanismen, darunter zum Beispiel der Adaptionsfonds unter dem Dach der UNFCCC sowie die deutsche IKI, verfügen über einen automatisierten, und daher vorhersehbaren Finanzzufluss, und sind nicht auf freiwillige Mittelzuweisungen von Industrieländern angewiesen. Berechenbare Finanzierung, zum Bespiel in Form von Abgaben oder Versteigerungserlösen sowie Pflichtbeiträgen aus dem Budget der Industrieländer, muss für existierende wie zukünftige bi- und multilaterale Klimafonds ebenso die Norm werden, wie ein direkter Zugang der Empfängerländer und subnationaler Gruppen in Entwicklungsländern zu diesen Finanzmitteln ohne den Umweg über multilaterale Implementierungsorganisationen wie die Weltbank oder UN Agenturen.

Gleichzeitig muss die Auszahlung von internationalen Klimaschutzgeldern in Form von Zuschüssen anstelle von Krediten erhöht werden. Zum Beispiel müssen Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern vollständig über Zuschüsse finanziert werden, um dem Verursacherprinzip gerecht zu werden. Der neue Grüne Klimafonds unter der UN Klimarahmenkonvention (Green Climate Fund), den der Klimagipfel in Cancún beschlossen hat, wird derzeit konzipiert. In Durban soll die Vertragsstaatenkonferenz dann die Operationalisierung des neuen globalen Fonds bestätigen. Die Hoffnung ist, dass der Grüne Klimafonds nicht nur das bestehende Wirrwarr an Klimafonds rationalisieren wird, sondern auch deren wichtigste strukturelle Schwächen überwinden kann. Allerdings ist derzeit ungewiss, inwiefern die Industrieländer bereit sind, freiwillig ihre Mittel in diesen neuen Fonds zu zahlen und dabei auf traditionelle Finanzierungswege – zum Beispiel über die Weltbank – zu verzichten. Auch ein Finanzierungskonzept für den Green Climate Fund fehlt noch. Entwicklungsländer und die globale Zivilgesellschaft befürchten derzeit, dass Erfahrungen mit den Klimainvestitionsfonds der Weltbank unkritisch für das Design des neuen Fonds übernommen werden könnten, auch dank des Einflusses der Weltbank und multilateraler Entwicklungsbanken bei der technischen Beratung der Verhandelnden.

Eine Frage der Prinzipien!

Internationale Klimafinanzierung und Deutschlands Beitrag zu den Zahlungsverpflichtungen der Industrieländer an die Entwicklungsländer, vollzieht sich nicht in einem norm- und rechtsfreien Raum. Ein umfassender Kriterienkatalog existiert bereits, an den auch die Bundesregierung als Vertragsstaat in zahlreichen internationalen Konventionen gebunden ist. Existierendes internationales Umweltrecht und menschenrechtliche Standards müssen handlungsleitend bei der Vergabe der Mittel werden, andernfalls sind gewaltige Fehlinvestitionen und Menschenrechtsverletzungen zu befürchten. Gleichzeitig verpflichtet der Einsatz von Steuermitteln Deutschland als Geberland zu demokratischen Grundprinzipien wie umfassender Transparenz und Rechenschaftspflicht, die über bisherige gute Ansätze noch hinausgehen.

Neben der Diskussion um die Quantität deutscher Klimafinanzierung ist daher eine Diskussion um die qualitativen Standards deutscher Klimafinanzierungsbeiträge dringend erforderlich. Allerdings bleibt die Bundesregierung bislang ein Konzept schuldig, entlang welcher Prioritäten und Prinzipien sie Klimaschutz und Anpassung in den Entwicklungsländern über bi- und multilaterale Fonds auch in Zukunft finanzieren will. Das Verursacherprinzip, die Frage der Additionalität und Vorhersehbarkeit der Mittel, die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidung über die Vergabe deutscher Klimagelder muss dabei ebenso realisiert werden wie die Angemessenheit der genutzten Finanzierungsinstrumente und Zugangsmodalitäten sowie die Berücksichtigung von Geschlechtergerechtigkeit bei der Vergabe von Klimageldern.

Im Grundsatz muss dabei gelten, dass die neuen Gelder keinen neuen sozialen oder ökologischen Schaden anrichten dürfen. Dazu gehört zum Beispiel die Finanzierung von riesigen Monokulturen über Wiederaufforstungsmaßnahmen etwa zur Gewinnung von Biotreibstoffen, was das universelle Grundrecht auf Nahrung gefährdet, oder Großstaudämme mit massiven Auswirkungen auf die Existenzgrundlagen lokaler Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel durch Umsiedlung oder unzureichende Kompensationszahlungen. Vom Klimawandel Betroffene sollen an den Entscheidungen für Klimaschutzprojekte beteiligt werden. Gefordert wird außerdem die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdemechanismen, so dass die Betroffenen (etwa Kleinbauern, Frauen oder Indigene) öffentlich Rechenschaft für fehlgeschlagene Projekte einfordern können. 

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.