Für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – Jetzt!

Vorstandskolumne

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach Paragraf 218 immer noch ein Straftatbestand. Das hat schwerwiegende Folgen für den Zugang zu Abtreibungen und beschneidet das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Daraus lässt sich nur eine Konsequenz ziehen.

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Foto von Imme Scholz, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Es mag den einen oder die andere verwundern – doch Abtreibungen sind in Deutschland noch immer nicht legal und damit grundsätzlich strafbar. Nach §218 Strafgesetzbuch sind Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig - auch in den ersten zwölf Wochen. Sowohl die Schwangeren als auch Ärzte und Ärztinnen könnten dafür sogar mit Gefängnis bestraft werden. In der Praxis geschieht das in der Regel zwar nicht, denn die Abbrüche bleiben straffrei, wenn die ungewollt Schwangeren eine Pflichtberatung wahrnehmen und eine dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch einhalten.

Der §218 wird daher oft als vertretbarer Kompromiss bezeichnet. Er ist in Wahrheit aber die entscheidende Ursache für eine schlechte medizinische Versorgungslage. Denn: Auch wenn die Bedingungen für einen straffreien Abbruch erfüllt sind (also Pflichtberatung und Wartefrist stattgefunden haben), beteiligen sich die Ärzte und Ärztinnen an einem grundsätzlich rechtswidrigen Verfahren. Das führt zu einem enorm hohen Verwaltungsaufwand und somit auch steigenden Kosten. Im Ergebnis führen immer weniger Praxen Schwangerschaftsabbrüche durch. Für die Betroffenen bringt das große Belastungen und gesundheitliche Risiken mit sich.

Von ausreichender medizinischer Versorgung weit entfernt

Wie heikel die Entwicklung ist, verdeutlicht eine auf der Webseite der Bundesärztekammer angebotene Liste jener Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In der Kartenansicht wird schnell klar: Die Lücken in der Versorgung sind riesig. Besonders schlecht ist die Situation in Bayern: Außerhalb von München gibt es nur eine Hand voll Kliniken und Praxen - keine einzige in Nürnberg, keine in Würzburg, keine in Regensburg. Und auch anderswo fehlt die Versorgung - in Freiburg, Koblenz, Göttingen, Paderborn und Oldenburg. Die verbleibenden Praxen und Mediziner*innen werden zudem zur Zielscheibe für sogenannte „Lebensschützer*innen“ - eine Abwärtsspirale. 

Damit wird klar: Die reproduktiven Rechte von Frauen und queeren Menschen, also das Recht, über Sexualität, Verhütung und Elternschaft selbstbestimmt entscheiden zu können, spielen im §218 keine Rolle. 

Das hat die Europäische Union und die Weltgesundheitsorganisation zu der Mahnung veranlasst, Deutschland brauche eine bessere rechtliche Regelung. Fakt ist: Während in den vergangenen 30 Jahren weltweit etwa 50 Länder Reformen durchgeführt haben, die den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase legalisieren und die reproduktiven Rechte schützen, hinkt Deutschland im weltweiten und im europäischen Vergleich hinterher. Um das zu ändern, ist ein Schritt entscheidend: Die Legalisierung. 

Gefahr durch autoritär-populistische Parteien

Für eine schnelle Legalisierung spricht auch ein anderer Aspekt: der zunehmende Einfluss rechtsextremer und autoritär-populistischer Parteien, die die reproduktiven Rechte weiter einschränken wollen. Spätestens seit den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist das auch in Deutschland eine reale Gefahr. Denn die Finanzierung von Beratungsstellen ist Ländersache. So könnte ein AfD-geführtes Gesundheitsministerium durch Mittelkürzungen den Zugang zur Pflichtberatung – und damit auch zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch – weiter erschweren oder gar verhindern. Eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen würde dieser Strategie den Boden entziehen und ein reproductive backsliding, also den Rückbau reproduktiver Rechte, verhindern. 

Auch Krankenkassen in die Pflicht nehmen

In Deutschland entscheiden sich jedes Jahr etwa 100.000 Schwangere für einen Abbruch – der Großteil (etwa 96 Prozent) in der Frühphase, also in den ersten zwölf Wochen. Zu diesem Zeitpunkt kann der Abbruch meist mit Medikamenten vorgenommen werden und ist ohne große Risiken für die Schwangeren. Mindestens in diesen ersten zwölf Wochen sollten Abbrüche künftig grundsätzlich legal sein. Außerdem sollte der Zugang zu Verhütungsmitteln über die Krankenkassen besser geregelt werden als bisher, und der Schwangerschaftsabbruch in den Leistungskatalog der Kassen übernommen werden.

Zu diesem Ergebnis kam im April auch die von der Bundesregierung eingesetzte Expert*innenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Die Entscheidung für eine Schwangerschaft und das Elternsein ist so weitreichend und mit so hohen Auswirkungen verbunden, so die Kommission, dass sie nur von den Schwangeren selbst getroffen werden kann. Der Staat dürfe ihnen diesen lebensverändernden Einschnitt nicht unter Zwang zumuten, so hat es Prof. Dr. Liane Wörner, Strafrechtlerin und Mitglied der Expertinnenkommission, kürzlich in unserem Podcast „Über den Tag hinaus“ erklärt. Sie hält die aktuelle Regelung sogar für verfassungsrechtlich bedenklich, da sie Frauen diskriminiert. Tatsächlich gibt es kein Gesetz, das in ähnlicher Weise in das Selbstbestimmungsrecht der Männer eingreifen würde.

Klarer Auftrag an die Bundesregierung

In der von Lisa Paus (Grüne), Marco Buschmann (FDP) und Karl Lauterbach (SPD) eingesetzten Expert*innenkommission haben Mediziner*innen mit Ethiker*innen und Jurist*innen aller politischen Couleur zusammengearbeitet – und sind zu eindeutigen Ergebnissen gekommen. Diese nun zu ignorieren wäre sowohl für die Situation von Frauen in Deutschland als auch für unsere Demokratie fatal. Niemand nimmt dieses Thema auf die leichte Schulter, die Expert*innen der Kommission fordern auch keine komplette Regelungsfreiheit. Stattdessen liegen mit ihrem Bericht konkrete, überparteiliche, interdisziplinäre, wissenschaftlich basierte Empfehlungen vor, die von einer großen Mehrheit (mehr als 80 Prozent) der Bevölkerung getragen werden. 

Das kann nur als klarer Auftrag an die regierenden Parteien und den Gesetzgeber verstanden werden. Jetzt ist die Zeit zum Handeln! Wir brauchen noch in dieser Legislaturperiode eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen – und zwar außerhalb des Strafgesetzbuches -, um Gleichberechtigung herzustellen und eine gute medizinische wie psychosoziale Versorgung zu sichern. Die Fraktionen von SPD und Grünen haben bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst. Nun liegt es an der FDP, einer Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zuzustimmen.