Kurz vor dem Ziel gescheitert: Olympia bleibt syrischem Kriegsverbrecher verwehrt

Analyse

Das syrische Regime nutzt internationale Großveranstaltungen, um sich wieder positiv ins Gespräch zu bringen. Doch der Fall eines Vertreters des syrischen Paralympischen Komitees zeigt: Organisator*innen solcher Events und Regierungen sollten genau hinschauen.

Eiffelturm mit Olympischen Ringen, bewacht von zwei Polizisten links. Bäume im Hintergrund. Absperrzaun im Vordergrund.
Teaser Bild Untertitel
Patrouillierende Polizeibeamte in der Nähe des Eiffelturms in Paris

Ende August 2023 postete der Vorsitzende des syrischen Paralympischen Komitees, Omar al-Aroub, ein Foto von sich vor dem Eiffelturm. Immerhin die Olympia-Vorbereitungsreise konnte er dafür nutzen. Denn für die Spiele selbst hat er keine Akkreditierung bekommen. 

Einige Syrer*innen hatten ihn auf dem Foto erkannt - und zuvor in einem ganz anderen Kontext erlebt: Bis heute firmiert Aroub als stellvertretender Anführer der Baath-Brigaden in Aleppo. Die Miliz hat Menschenrechtsverbrechen in Syrien zu verantworten und spielte insbesondere in der Offensive auf Ost-Aleppo eine tragende Rolle. Eng verbunden sind die Baath-Brigaden auch mit der Nationalen Syrischen Studenten-Union (NUSS), in der Aroub ebenfalls ein hochrangiges Amt bekleidet. In dieser Funktion ordnete er Zeugenaussagen zufolge unter anderem an, oppositionelle Student*innen aus Fenstern im vierten Stock der Studentenwohnheime zu stürzen. 

Die Menschenrechtsorganisation The Syria Campaign machte auf den Fall aufmerksam starteteeine Petition unter dem Hashtag #TorchForJustice – Fackel für die Gerechtigkeit -, um Aroubs Teilnahme an den Olympischen Spielen zu verhindern. Mit Erfolg: “Kurz vor dem Wochenende haben wir vom Internationalen Olympischen Komitee Nachricht erhalten, dass Aroub nicht auf der Liste akkreditierter Personen für die Olympischen und die Paralympischen Spiele 2024 in Paris steht,“ so Ranim Ahmed, Leiterin der Kommunikationsabteilung der Syria Campaign.

Noch im September 2023 hatten die französischen Behörden angegeben, nichts von der einschlägigen Vergangenheit Aroubs zu wissen. Dabei hätte ein Blick auf die offiziellen Seiten des syrischen Olympischen Komitees genügt, wo dessen Funktionen prominent aufgeführt sind.

Die Nationale Syrische Studenten-Union, wurde direkt nach dem Staatsstreich 1963 gegründet. Sie ist eines jener Instrumente, mit denen das Regime für die von da an herrschende Baath-Partei mobilisierte und Kontrolle über Studierende wie Lehrende ausübte. Spätestens seit Beginn der syrischen Revolution Anfang 2011 hatten die Organisation freie Hand, Kommiliton*innen einzuschüchtern und zu misshandeln. Darüber, wie systematisch Mitglieder der NUSS schwere Menschenrechtsverbrechen begingen, veröffentlichte Mitte Juli das Syrian-British Consortium (SBC) einen Bericht unter dem Titel „Militias on Campus“, in dem mithilfe zahlreicher Zeugenaussagen vor allem aus Damaskus die Rolle der NUSS beleuchtet wird. Seither haben sich Dutzende weitere Überlebende beim SBC gemeldet, um ihre Zeugenaussagen zu Protokoll zu geben. 

Als 2011 die Proteste gegen das Regime im Land um sich griffen, zeigte sich schnell, dass die syrische Armee und Sicherheitsdienste damit überfordert waren, den Aufstand unter Kontrolle zu bringen. So griff das Regime auf alle Kräfte zurück, gründete Milizen und bewaffnete und militarisierte bestehende Organisationen - wie im Falle der NUSS -, um die Proteste im Keim zu ersticken. 

Insbesondere in Aleppo war die NUSS wichtig für das Regime. In Syriens größter Stadt regten sich insgesamt weniger Proteste als beispielsweise in Homs oder Hama, wo Hunderttausende auf die Straßen gingen und die konventionellen Truppen banden. An der Universität Aleppo jedoch, wo Studierende aus dem ganzen Land zusammenkamen, brodelte es. Der Wissenschaftler Ali Jasem schreibt darüber im Journal of Perpetrator Research: „Dies ... erklärt die Abhängigkeit des Assad-Regimes von undurchsichtigen Netzwerken, um die Proteste zu vereiteln, statt sich wie in anderen Städten regulärer Kräfte zu bedienen. Genauer zeichnet das Agieren des NUSS in Aleppo ein 2023 erschienener Bericht des Syrian Center for Media Freedom (SCM) nach. 

Wer glimpflich davonkam, verlor seinen Platz im Wohnheim oder wurde zwangsexmatrikuliert. Viele machten jedoch drastischere Erfahrungen: Allein von 2011 bis 2013 wurden, so schätzt das Syrische Netzwerk für Menschenrechte, landesweit rund 35.000 Studierende verhaftet, darunter 4.000 Frauen. Die NUSS schüchterte Protestierende ein, setzte sie fest, rief Schläger – die sogenannten Shabiha – zu Hilfe und übergab Student*innen an die Geheimdienste des Regimes.

Omar al-Aroub, selbst in Aleppo aktiv und gleichzeitig Mitglied des Exekutiv-Rats der landesweiten Vereinigung, hatte sein Mandat von der NUSS-Führung in Damaskus erhalten. Auch in der Hauptstadt verließ sich das Regime ganz auf die Studentenvereinigung, um die Proteste zu unterdrücken. 

Von der Fakultät für schöne Künste bis zu jener für Zahnmedizin - allein an der Universität Damaskus quälte die NUSS in 13 ihr zur Verfügung stehenden Räumen Studentinnen und Studenten. Tragische Berühmtheit erlangte Ayham Ghazzouz, ein Zahnmedizinstudent, der von Angehörigen der NUSS mit Eisenstangen so schwer misshandelt wurde, dass er kurz darauf in einem der Verhörzentren des Regimes starb. Seine Mutter, Marim al-Hallak, trat im „Koblenzer Prozess“ als Zeugin auf, in dem zwei Vertreter des syrischen Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. 

All das hat nun die Akkreditierung Aroubs verhindert. „Es ist dem Mut derjenigen zu verdanken, die die Verbrechen des Regimes überlebt haben – und der starken öffentlichen Unterstützung -, dass dieser Kriegsverbrecher von den olympischen Spielen ausgeschlossen wurde,“ hieß es in einer Erklärung der Syria Campaign. “Es ist mehr als bestürzend, dass er überhaupt zunächst das syrische Team in Paris repräsentieren durfte. Als nächstes sollte das Internationale Olympische Komitee ihm die Anerkennung als Vorsitzender des syrischen Paralympischen Komitees und als Vizepräsident des Allgemeinen Sportverbandes aberkennen. Zu guter Letzt müssen alle Regime-Vertreter*innen, die an Morden, an Verhaftungen und Folter syrischer Student*innen beteiligt waren, vor Gericht gestellt werden.“

Zu substantiellen Veränderungen sieht das Regime keinen Anlass, schon gar nicht zur Aufarbeitung. NUSS-Mitglieder kamen in den Genuss zahlreicher Vergünstigungen, die ihre akademische Karriere beförderten. Auch durften sie auf dem Campus Waffen tragen. 2016 wurde Omar Aroub mit einem Sitz als Abgeordneter belohnt.  

Personelle Veränderungen sind oberflächlich und dienen lediglich dazu, das Image der jeweiligen Organisationen aufzupolieren. Bei der NUSS trat im Jahr 2020 die bis dahin weitgehend unbekannte Dareen Suliman die Nachfolge des Unionsvorsitzenden und von den USA mit Sanktionen belegten Ammar Saati an. Er war damals bereits 17 Jahre lang Vorsitzender der NUSS gewesen und somit deutlich über das Studentenalter hinaus. Seine Nachfolgerin Suliman wurde von der oppositionellen syrischen Zeitung Enab Baladi als „Seidenhandschuh“ des Regimes bezeichnet, mit dem die NUSS wieder salonfähig gemacht werden sollte. Sie repräsentiere alle Student*innen Syriens, bekundete Suleiman zu ihrem Amtsantritt, und bezeichnete die von NUSS-Mitgliedern begangenen Menschenrechtsverbrechen als „Fehler Einzelner“. Am brutalen Vorgehen gegen Student*innen änderte sich jedoch nichts. Dennoch kooperierte eine Unterorganisation der Vereinten Nationen 2021 mit der NUSS. 2022 vertrat Suleiman die Studentenvereinigung bei einer internationalen Bildungskonferenz in New York. 

Inzwischen werden Forderungen auch unter europäischen Staaten immer lauter, die Beziehungen zum syrischen Regime wieder aufzunehmen. Das macht es äußerst wichtig zu verstehen, welche Rolle innersyrische Organisationen bei Menschenrechtsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gespielt haben und noch spielen. 

Immer wieder nutzte das Regime internationale Großveranstaltungen, um sich wieder positiv ins Gespräch zu bringen und den Fokus weg von Menschenrechtsverbrechen zu lenken. Paris bot dafür bereits 2017 eine Bühne, als Syrien die damaligen Klimaverhandlungen nutzte: „Syrien unterzeichnet Pariser Abkommen und lässt die USA international isoliert dastehen“ titelte der Guardian, wenngleich der Artikel selbst darauf verweist, dass die syrische Zeichnung eher symbolischer Natur sein dürfte. Auch als die Vereinigten Arabischen Emirate Syrien zur COP28 einluden, wurde mehr über den Prestigegewinn gesprochen, als über Syriens eher dürftiges Engagement im Klimaschutz. 

Ob im Gesundheits- oder Bildungswesen oder auch im Sport: Es dürfte schwierig sein, in Syrien offizielle Institutionen zu finden, die nicht an der brutalen Unterdrückung regimekritischer Stimmen beteiligt waren oder sogar davon profitierten. Organisator*innen internationaler Veranstaltungen und Regierungen sollten daher ernsthafter daran arbeiten, das Regime von diesen Veranstaltungen auszuschließen - oder zumindest sehr genau prüfen, wen das Regime für eine Teilnahme nominiert.