John Beuren, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Bediente sich der Sicherheitsrat vormals zum Zwecke der Friedenswahrung unterschiedslos wirkender Kollektivmaßnahmen, die sich gegen Staaten richteten, greift er heute zunehmend zu dem Mittel individualgerichteter Sanktionen (sog. „targeted sanctions“). Durch die gezieltere Ausrichtung der Sanktionsregime sollen deren Effektivität erhöht und gleichzeitig negative Auswirkungen für die Zivilbevölkerung vermieden werden. Dazu werden unter der Schirmherrschaft des Sicherheitsrats Listen erstellt, auf denen die Sanktionsadressaten (neben Individuen auch Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen) geführt werden, um sie in der Folge mit Finanz-, Reise- und Waffenembargos zu belegen.
Als Medien zur Umsetzung der Sanktionen dienen dem Sicherheitsrat die Rechtssysteme und Exekutivorgane der Staaten. Dabei lassen die obligatorisch angeordneten Maßnahmen des Sicherheitsrats den Staaten kaum einen Ausgestaltungsspielraum. Eine besondere Qualität hat die Praxis der „targeted sanctions“ mit dem gegen die terroristische Vereinigung Al Qaidas eingerichteten Sanktionsregime erfahren, auf welchem der Fokus der Arbeit liegt. Al Qaida ist transnational vernetzt, keiner staatlichen Gewalt zuzurechnen, und ihr Aktionsradius ist territorial nicht eingrenzbar. Privatakteuren wird die Fähigkeit zugesprochen, den „internationalen“ Frieden unmittelbar zu bedrohen; die Gefahr des Ausbruchs eines zwischenstaatlichen Gewaltkonflikts muss nicht mehr bestehen, damit der Sicherheitsrat zwingende Maßnahmen ergreifen kann. Die/der Einzelne muss nunmehr damit rechnen, zum Ziel restriktiver Maßnahmen zu werden, wenn sie/er gegen das abstrakt-generelle Verbot friedensbedrohenden Verhaltens verstößt.
Für das primär auf die Abwehr von Kriegen ausgerichtete System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen stellt dies eine bedeutende Neuausrichtung dar. Mit dem Durchgriff auf die Rechtsstellung Privater nimmt der Sicherheitsrat Kompetenzen in Anspruch, die als „supranational“ gekennzeichnet werden können. Mit diesem Begriff wurde bisher allein die Europäische Union versehen, um ihren Unterschied zu herkömmlichen internationalen Organisationen herauszustellen.
In meiner Arbeit setze ich mich schwerpunktmäßig mit folgenden, durch die vorbezeichnete Entwicklung aufgeworfenen Fragen auseinander:
- Sind dem Sicherheitsrat nach geltender Rechtslage supranationale Kompetenzen zuzuweisen?
Wird diese Frage bejaht, dann soll Folgendes untersucht werden:
- Welchen Verpflichtungen unterliegt der Sicherheitsrat dabei im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten und zu den Sanktionsadressaten?
- Wird das Al Qaida-Sanktionsregime diesen Verpflichtungen gerecht?
- Wie ist das Vorgehen unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten zu bewerten?
Auf diesen Untersuchungen aufbauend soll schließlich ein Reformvorschlag für das Al Qaida-Sanktionsregime entwickelt werden.
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John Beuren, Christian-Albrechts-Universität Kiel