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Die ökologische Transformation des Kapitalismus

 

8. Oktober 2008
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Falls das Ruder nicht rasch herumgeworfen wird, werden die hausgemachten „Naturkatastrophen“, die mit dem  Anstieg der Treibhausgase in der Erdatmosphäre einhergehen, zu einer massiven Vernichtung wirtschaftlicher Werte führen. Dagegen schätzt Stern die Kosten für effektiven Klimaschutz auf ca. 1 Prozent der globalen Wertschöpfung pro Jahr. Ihnen stehen enorme Wachstumspotenziale auf dem Feld der „green economy“ gegenüber. Fazit: Investitionen in Klimaschutz sind volkswirtschaftlich hoch rentabel – und sie können zum Auslöser eines grünen Wirtschaftswunders werden.

Ökologie als Jungbrunnen der Ökonomie

Das klingt fast wie die Quadratur des Kreises: Ökologie als Jungbrunnen der Ökonomie. Aber dahinter steckt eine gewaltige Herausforderung. Es geht um eine Halbierung der globalen CO²-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts, was einer  Reduktion in den „alten“ Industriemetropolen in einer Größenordnung von 80-90 Prozent entspricht. Diese Ziele sind für sich genommen schon ambitioniert genug – sie werden noch anspruchsvoller angesichts des rapiden Wirtschaftswachstums im globalen Maßstab. Die Kritik einer auf Wachstum um jeden Preis angelegten Politik und Ökonomie bleibt berechtigt. Aber angesichts einer Weltbevölkerung, die von heute 6,2 Milliarden mindestens noch auf neun Milliarden wachsen wird, und angesichts des enormen wirtschaftlichen Nachholbedarfs von zwei Dritteln der Menschheit wäre jede Strategie, die auf wirtschaftliches „Nullwachstum“ abzielt, eine Don Quichotterie.

Auf Sicht der nächsten Jahrzehnte hängt deshalb alles davon ab, dass eine Entkopplung von ökonomischer Wertschöpfung (Wirtschaftswachstum) und Naturverbrauch gelingt. Das bedeutet nichts weniger als eine neue  industrielle Revolution, eine neue Generation von umweltfreundlichen Technologien und Gütern, eine grundlegende Erneuerung des Verkehrssystems und der Energieversorgung. Seit dem Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert hat sich die Produktivität einer Arbeitsstunde etwa um den Faktor 25 erhöht. Das ist vor allem das Ergebnis technischer Innovationen und einer ständigen Verbesserung aller Arbeitsabläufe. Diese Innovationsdynamik gilt es jetzt auf den effektiven Umgang mit natürlichen Ressourcen zu übertragen, verbunden mit dem Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen. Nicht mehr die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern der Ressourcenproduktivität wird zur Überlebensfrage der Industriegesellschaft.

Dass „der Markt“ nicht aus sich heraus die ökologische Wende hervorbringen wird, ist eine Binsenweisheit. Die Politik muss – auf nationaler und internationaler Ebene –  die Vorgaben setzen, um die Märkte in ökologische Richtung zu lenken. Aber genauso illusionär ist die Vorstellung, staatliche Regulierung könnte die Kreativität der Marktwirtschaft ersetzen, in der Millionen und Abermillionen von Produzenten und Konsumenten eigenverantwortlich handeln. Es geht um einen gigantischen Innovationsprozess im Zeitraffer. Er kann  nur erfolgreich sein, wenn eine Vielzahl von Akteuren in Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft in Bewegung kommt. Unternehmen und Verbraucher müssen selbst zu Akteuren der ökologischen Innovation werden. Wie realistisch ist diese Utopie?

Ökokapitalismus – ein Widerspruch in sich?

Von Karl Marx stammt der berühmte Satz: „Der Kapitalismus ruiniert die Springquellen des Reichtums, auf denen er beruht: den Arbeiter und die Natur“. Das war als Tendenz scharfsinnig beobachtet. Man darf nur nicht den Fehler begehen, daraus ein ehernes Gesetz zu machen. Gerade das Beispiel der „sozialen Frage“ zeigt, dass die destruktiven Tendenzen des Kapitalismus Gegenkräfte auf den Plan rufen, die zu Systeminnovationen führen.

Als Antwort auf den Raubbau an der Arbeiterschaft trat im 19. Jahrhundert die Arbeiterbewegung auf den Plan, und mit ihr die Sozialdemokratie als neue politische Kraft. Ihr Projekt war die soziale Zivilisierung des Kapitalismus. Sie erkämpfte ein weitverzweigtes Netz von Institutionen - Gewerkschaften, Genossenschaften, Sozialversicherungen, berufliche Bildung, Arbeitsgesetzgebung, Tarifverträge, betriebliche Mitbestimmung - bis hin zum allgemeinen Wahlrecht. Im Ergebnis stiegen Lebenserwartung und Lebensstandard der arbeitenden Klassen in Europa (und inzwischen auch in weiten Teilen Asiens) auf breiter Front; der Anstieg der Massenkaufkraft führte zur modernen Konsumgesellschaft. Zwar ist die soziale Aufwärtsbewegung der arbeitenden Klassen ein immer wieder umkämpfter Prozess, aber sie ist entgegen aller Unkenrufe auch im Zeitalter der Globalisierung nicht außer Kraft gesetzt. Gerade in den neuen Industrieländern steigen Bildungsniveau und Massenkaufkraft; gleichzeitig steigt im postfordistischen Kapitalismus die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit und die Bedeutung des „Humankapitals“ für die Wirtschaft.

Ob die Analogie zwischen sozialer und ökologischer Marktwirtschaft trägt, muss sich noch erweisen. Aber wer genau hinsieht, findet viele Anzeichen dafür, dass die ökologische Modernisierung des Kapitalismus bereits begonnen hat. Wenn es stimmt, dass im Wettlauf mit der Klimakatastrophe nur eine kurze historische Frist bleibt, gibt es zur Erneuerung des Kapitalismus auch keine ernsthafte Alternative – entweder wir finden Mittel und Wege, den globalen Kapitalismus in nachhaltige Bahnen zu lenken, oder wir gehen Krisen entgegen, mit denen verglichen die aktuelle Krise der Finanzmärkte nur ein laues Lüftlein darstellt.

Das Neue wächst im Schoß des Alten

Es geht hier nicht um Spekulationen, sondern um Tendenzen und Kräfte, die bereits in Richtung einer ökologischen Wende aktiv sind. So haben in den letzten Jahren Zahl und politische Reichweite zivilgesellschaftlicher Organisationen enorm zugenommen. Während 1992 bei der Weltkonferenz in Rio de Janeiro noch 1400 Nichtregierungsorganisationen akkreditiert waren, waren es in Johannesburg 2002 bereits 3000. Mit ihrer Fähigkeit zur Skandalisierung fungieren sie als Wächtersystem gegenüber transnationalen Unternehmen. Das „Reputationsrisiko“ das damit verbunden ist, Ziel einer internationalen Kampagne zu werden, ist vor allem bei Konzernen, die im konsumnahen Bereich tätig sind und einen Markennamen zu verlieren haben, ein harter ökonomischer Faktor. Internationale Kampagnen  wie „Nestle tötet Babies“, die Brent-Spar-Aktion von Greenpeace oder die Kampagne gegen ausbeuterische Zustände in den Produktionsstätten von Nike haben  Unternehmensleitungen zur Veränderung ihrer Geschäftspolitik gezwungen.

Umweltrisiken, insbesondere die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, werden zunehmend zum ökonomischen Risiko. Gleichzeitig erzwingen langfristig steigende Preise für Rohstoffe und Energie ein effektiveres  Ressourcenmanagement. Die Verknappung und Verteuerung von CO2-Emissionsrechten wird diesen Prozess beschleunigen. Sie untergräbt das Geschäftsmodell CO2-intensiver Unternehmen und schafft Anreize für mehr Energieeffizienz und alternative Technologien. In weltweit vernetzten Zuliefersystemen kann ein punktueller Produktionsausfall eine Kettenreaktion auslösen, die spürbar auf Umsatz und Ertrag durchschlägt Deshalb sind„Risk Management“- Systeme für Gefahrstoffe und gefährliche Produktionsprozesse inzwischen internationaler Standard, um Haftungsrisiken beherrschbar zu halten.

Auch die handelnden Personen verändern sich

Eine neue Generation von Managern erlebt in ihrer Ausbildung, dass „Corporate Social Responsibility“ und Ökomanagement zum Handwerkszeug ihres Berufs gehören. Heutige Ausnahmeerscheinungen wie der neue US-Finanzminister, der als Chairman von Chase Manhattan zugleich Präsident einer großen US-Naturschutzorganisation war, werden keine Ausnahmen bleiben.

Vor allem in den USA, dem Mutterland privaten Wagniskapitals, ist eine grüne Welle im Investmentsektor zu beobachten. Allein im Sektor alternativer Energien wurden dort im letzten Jahr rund 50 Milliarden USD investiert. Während die Vereinigten Staaten noch auf dem Feld der Umweltgesetzgebung hinterher hinken, sind sie dabei, Europa auf privatwirtschaftlichem Gebiet zu überholen. Gleichzeitig sind hunderte von amerikanischen Städten und etwa zwei Dutzend Bundesstaaten zu Vorreitern einer ökologischen Trendwende geworden. Es besteht die begründete Hoffnung, dass die USA mit einem neuen Präsidenten auch ihre ignorante Haltung in der internationalen Klima- und Umweltpolitik hinter sich lassen werden.

Ein zentrales Problem bei der nachhaltigen Umsteuerung des Kapitalismus ist der Mangel an global gültigen ökologischen Regeln und Mindeststandards. So lange zahlreiche Staaten und Unternehmen geringere Umweltstandards als Wettbewerbsvorteil einsetzen, besteht die Gefahr eines globalen Öko-Dumpings.  In diese Lücke stoßen Initiativen, die auf eine kooperative Regulierung von Märkten zielen. Auch ihre Zahl wächst.  Sie setzen da an, wo staatliche Regulierung wegen fehlender  internationaler Übereinstimmung (noch) nicht möglich ist. In der Extractive Industrie Transparency Initiative beispielsweise arbeiten marktführende Öl- und Gaskonzerne und Regierungen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Investoren und Entwicklungsbanken gemeinsam an dem Ziel, die Geldflüsse aus Öl- und Gasprojekten in ressourcenreichen Ländern transparent zu gestalten.

Bei der Ethical Trading Initiative und Fair Labor Association geht es den teilnehmenden Unternehmen, NGOs und Gewerkschaft um die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Der Kimberley-Process in der Diamantenindustrie hat ein Zertifizierungssystem für Rohdiamanten eingeführt, das der Verbreitung von „Blut-Diamanten“ entgegenwirkt. Der Forest Stewardship Council zertifiziert Holz und Holzprodukte aus nachhhaltiger Bewirtschaftung und erfasst inzwischen fast zehn Prozent der kommerziellen Waldfächen. Großabnehmer wie der US-Baumarkt Home-Depot und der Verlag Random House Group (“Harry Potter auf FSC”) gehören zu den Kunden, die mit dem Label arbeiten.

Viele dieser Veränderungen stehen noch am Anfang. Für sich genommen reichen sie nicht aus, um eine ökologische Wende in der nötigen Geschwindigkeit herbeizuführen. Aber sie verweisen auf neue Potenziale und neue Allianzen von Akteuren, die sich bisher eher als Gegner kennengelernt haben.

Der Finanzmarkt als Seismograph

Eine der interessantesten neuen Entwicklungen vollzieht sich auf dem Finanzmarkt. Bereits seit mehr als einem Jahrzehnt sind die großen Rückversicherer zu Verbündeten im Kampf gegen die Erderwärmung geworden, weil die Hurrikan-Schäden astronomische Größenordungen angenommen haben . Für jeden international tätigen Konzern ist die Bewertung durch institutionelle Investoren von zentraler Bedeutung. Etwa seit dem Jahr 2000 ist eine zunehmende Relevanz von Nachhaltigkeitsindikatoren im Rating von Unternehmen zu beobachten. Pensionsfonds sprechen von einer „fiduciary duty“ (Treuhänderpflicht), Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anlagestrategie einzubeziehen, um das Risiko für ihre Anleger zu reduzieren. Damit ernst gemacht hat im vergangenen Jahr der weltgrößte Pensionfonds TIAA-CREF: Er verkaufte seine Coca Cola- Anteile (Marktwert 52.4 Mio USD), nachdem bekannt wurde, dass der Konzern gegen Kinderschutz, ILO- und Umweltstandards verstoßen hatte.  

Der bislang erfolgreichste Zusammenschluss institutioneller Investoren ist das Carbon Disclosure Projekt (CDP), das sich auf klimarelevante Risiken und Daten konzentriert. Seit seiner Gründung im Jahr 2000 ist das CDP von 25 auf 211 Investoren gewachsen und hat heute ein Anlagevolumen von sagenhaften 31 Billionen USD. CDP befragt regelmäßig die 500 weltweit größten börsengelisteten Unternehmen zu Treibhausgas-Emissionen und Emissionsminderungs-Programmen. Die Tätigkeit des CDP hat den Druck auf Börsenaufsicht, Unternehmensleitungen und Wirtschaftsprüfer verstärkt, transparente Berichtsstandards zu Klimarisiken zu entwickeln.

Was kann, was muss Politik bewirken?

Mit den neuen Dynamiken in der Unternehmenswelt, dem Auftreten neuer Akteure und Allianzen wird staatliche Regulierung nicht überflüssig. Originäre Aufgabe der Politik bleibt, den Märkten ökologische Zielvorgaben und einen ökologischen Ordnungsrahmen zu geben. Im Kern geht es um Erwartungssicherheit hinsichtlich umweltpolitischer Ziele, an denen die Unternehmen ihre Investitionen ausrichten müssen, sowie um Kostenwahrheit durch die Einbeziehung ökologischer Folgekosten in die Preise für Energie, Produkte und Dienstleistungen. Die wichtigsten Hebel staatlicher Politik, um diese Transformation zu beschleunigen, sind deshalb:

  • Umstellung des Steuer- und  Abgabensystems von der Besteuerung der Arbeit auf Ressourcensteuern
  • Weiterentwicklung und Effektivierung des Emissionshandelssystems, zunächst auf europäischer, im nächsten Schritt auf globaler Ebene
  • Verbindliche Zielkorridore für Energieeffizienz und erneuerbare Energien, flankiert durch Förderprogramme für Forschung und Entwicklung
  • Stärkung von Verbraucherrechten (Informationspflicht hinsichtlich der Ökobilanz von Produkten und Materialien, erweitertes Haftungsrecht bei Gesundheitsrisiken)
  • Verankerung internationaler Mindeststandards im Hinblick auf Transparenz, soziale Rechte und Umweltschutz in Freihandels- und Investitionsabkommen
  • Verstärkter Transfer umweltfreundlicher Technologien in die Entwicklungsländer, um deren wirtschaftliches Wachstum in ökologische Bahnen zu lenken.

Ohne konsequente staatliche und globale Ordnungspolitik wird die ökologische Transformation nicht gelingen. Aber sie muss von einer „ökologischen Dynamik von unten“ flankiert werden, die High-Tec-Unternehmen und Öko-Bauern, Erfinder und Investoren, Umweltverbände und aufgeklärte  Konsumenten umfasst. Ökologische Politik muss darauf abzielen, diese Dynamik zu beschleunigen.

* Überarbeitete Fassung eines Essays von Ralf Fücks und Kristina Steenbock, der im Juli 2007 unter dem Titel „Auf in den Ökokapitalismus“ in der ZEIT erschien.

 
 

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.