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Wie man in der Wüste nicht vom Weg abkommt

Lesedauer: 9 Minuten
Mitglieder der Protestbewegung "Time for Climate Justice" protestieren im Rahmen der Konferenz für mehr Gerechtigkeit bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels.
Foto: Shubert Ciencia, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC 2.0

Eine kleine Orientierungshilfe für die Klimaverhandlungen in Doha

5. Dezember 2012

Die Welt hat eine dreifache Krise zu bewältigen. Diese Krisen sind miteinander verknüpft und können nicht einzeln angegangen werden. Erstens: die Finanzkrise, die sich 2008 zugespitzt hat. Sie hatte systemische Konsequenzen zur Folge und verstärkte sich zu einer ökonomischen Rezession. Zweitens: obwohl sich eine globale Mittelschicht herausgebildet hat, besteht Armut absolut betrachtet weiter, und zwar gleichzeitig mit wachsender ökonomischer und sozialer Ungleichheit, sowohl im globalen Norden als auch im Süden. Drittens stoßen wir an die Grenzen unseres Planeten. Beispielsweise ist die Erderwärmung hier und heute eine Realität: Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürreperioden, Abschmelzen von Gletschern und des arktischen Meereises usw. Tiefgreifende Emissionssenkungen sind erforderlich, wenn wir weitere Schäden vermeiden wollen. Aber gleichzeitig behindert der mangelnde Zugang zu (erneuerbarer) Energie die nachhaltige Entwicklung.

Der Klimawandel ist zwar seit Ende der 1980er Jahre auf der globalen politischen Agenda, was zur Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention beim Erdgipfel von Rio 1992 und des Kyoto-Protokolls 1997 führte. Aber erst seit 2005 ist der Klimawandel ein Thema, mit dem sich Staatsoberhäupter auseinandersetzen müssen. Dennoch: trotz – oder wegen – ihrer Involvierung konnte beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen keine faire, ambitionierte und bindende Vereinbarung getroffen werden. Umweltministerinnen und -minister sowie Unterhändlerinnen und Unterhändler aus mehr als 190 Ländern ringen seitdem darum, die UNO-Verhandlungen wiederzubeleben.

Heute sind die Führungspersönlichkeiten der Welt von der Wirtschaftskrise „abgelenkt“ und scheinen die anderen Dimensionen dieser Krise zu ignorieren. Ohne die Ursachen der Krise in Frage zu stellen, stehen sie seitens der Wirtschaftslobby unter Druck, zum  business-as-usual zurückzukehren, neue Möglichkeiten für das Wirtschaftswachstum zu erkunden und sich am Gerangel um immer knapper werdende Ressourcen zu beteiligen. Auf der multilateralen Ebene ist die Argumentation für Kooperation statt Wettbewerb so klar wie noch nie.

Katar – kleiner Staat ganz groß

Der kleine Golfstaat Katar wird die nächste Runde der UN-Klimaverhandlungen vom 25. November bis zum 8. Dezember 2012 ausrichten. Katar, eine aufsteigende politische und Wirtschaftsmacht in der arabischen Welt, ist das erste OPEC-Land, das einen Klimagipfel veranstaltet. Es ist auch in anderen Regionen der Welt ein wichtiger Investor geworden. Katars Reichtum basiert darauf, dass es der weltgrößte Exporteur von Flüssigerdgas (und damit der größte Emittent von CO2-Emissionen pro Kopf) ist. Der wachsende Einfluss des Landes wird außerdem durch die Arbeit der Qatar Foundation und des Fernsehsenders Al Jazeera gefördert.

Die Doha-COP: Schlüsselfragen und erwartete Ergebnisse

Im vergangenen Jahr wurde in Durban vereinbart, die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls am 1. Januar 2013 zu beginnen, aber diese politische Entscheidung ist nicht umgesetzt worden. Entscheidende Einzelheiten, etwa die verbindlichen Zielzahlen, wurden offen gelassen und sollten zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden. In Verbindung mit der Vereinbarung über das Kyoto-Protokoll sollten die parallel stattfindenden Gespräche zur langfristigen Kooperation (LCA) abgeschlossen werden. Diese 2007 in Bali begonnenen Verhandlungen hätten eigentlich in Kopenhagen zum einem Ergebnis führen sollen. Es gab aber keine Fortschritte, und realistisch betrachtet ist davon auszugehen, dass die zugrundeliegenden Meinungsverschiedenheiten bestehen bleiben. Schließlich wurde die Durban Platform on Enhanced Action angenommen, die weitere UN-Verhandlungen bis 2015 vorschreibt. Dann soll eine neue internationale Vereinbarung geschlossen werden, die 2020 in Kraft tritt. Bis dahin muss jedoch noch sehr viel passieren und das Vorhaben könnte auch jederzeit komplett scheitern.

Kyoto-Protokoll

Ein wichtiges Ergebnis der COP in Doha wird die Annahme der Änderungen zum Protokoll sein. Idealerweise würden solche Änderungen die umweltpolitische Integrität des zweiten Verpflichtungszeitraums erhöhen. Im Einzelnen müssen Regierungen bestehende Gesetzeslücken schließen, auch, indem sie diejenigen überschüssigen Emissionsrechte (assigned amount units, AAUs), die keine Emissionssenkungen darstellen, neutralisieren. Diese AAUs stehen für Hunderttausende Tonnen CO2, die fälschlicherweise osteuropäischen Volkswirtschaften zugeteilt wurden – welche bereits Anfang der 1990er Jahre umstrukturiert wurden. Bei diesem Thema ist Europa am Zug, aber Polen und einige Verbündete haben die EU daran gehindert, die weitere Nutzung dieser „heißen Luft“ einzuschränken. Dies stellt die europäischen Klimamaßnahmen wieder in den Mittelpunkt des Interesses.

Tatsächlich bedeutet Doha das Ende des Kyoto-Protokolls – meiner Meinung nach wird es keinen dritten Verpflichtungszeitraum geben. Warum sollte man sich dann überhaupt noch mit den Regeln beschäftigen? Nun, die Verhandlungen zum Protokoll sind für die Ausgestaltung der rechtlichen Vereinbarung für den Zeitraum nach 2020, die das Kyoto-Protokoll ablösen wird, relevant.

,Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Kanada, Japan und Russland frühzeitig aus Kyoto ausgestiegen sind. Auf diese Länder wurde zu wenig diplomatischer Druck ausgeübt, sich ambitionierte, verbindliche Ziele zu eigen zu machen. Dieselben Länder werden jedoch nicht an ihrem Bestreben gehindert, weiterhin die Kyoto-Marktmechanismen nutzen zu können. Angesichts des Scheitern der CO2-„Märkte“ entbehrt diese Haltung nicht einer gewissen Ironie. CO2-Märkte sind nicht frei; gegenwärtig schaffen sie weder Preis- noch Investitionssignale und treiben auch keine Emissionssenkungen voran. Es ist wichtig, dies zu bedenken, denn Regierungen wiederholen Fehler (der Vergangenheit wie der Gegenwart) bei der Gestaltung neuer Mechanismen, sowohl auf internationaler Ebene als auch in Schwellenländern.

Die Macht des Geldes ist in den internationalen Klimaverhandlungen offensichtlich. Mitten in der Wirtschaftskrise sind jedoch keine großen Fortschritte in der Diskussion über eine „Schnellstart-Finanzierung“ für den Zeitraum 2013 bis 2015 und der Debatte über langfristige Finanzierungsquellen für den Grünen Klimafonds (GCF) zu erwarten. In Doha wird die formelle Entscheidung getroffen werden, den GCF in Südkorea anzusiedeln. . Aber dies wird zunächst eine leere Institution sein, und Regierungen werden die schwierige Frage der Rolle des privaten Sektors bei der Transformation hin zu einer grünen und gerechten Wirtschaft nicht anrühren.  Interessanterweise hält man Fortschritte beim heiklen Thema Verluste und Schäden (loss and damage) für möglich.

Langfristige Kooperation (LCA)

Als Gegenleistung für die Vereinbarung über das Kyoto-Protokoll und den Beginn neuer Verhandlungen unter der Ad-hoc Working Group on the Durban Platform on Enhanced Action (auch als „ADP-track“ bekannt) sollen die LCA-Verhandlungen in Doha zum Abschluss gebracht werden. Unterhändlerinnen und Unterhändler verbringen derzeit viel Zeit mit denjenigen Themen, über die keine Einigung erzielt werden kann, anstatt mit Angelegenheiten, die abgeschlossen (oder umgesetzt) werden können. Wann und wo werden diese wieder aufgenommen, und wenn nicht, warum? Manche Fragen gehören in den Bereich ADP, mit anderen könnten sich die untergeordneten Gremien befassen (Gremium für wissenschaftliche, technische und technologische Beratung; Gremium für Implementation), aber für ein paar Themen scheint es keine klare Zuständigkeit zu geben.

Eines der zentralen Elemente des Bali Action Plan, der die LCA anordnete, war die Notwendigkeit eines vergleichbaren Niveaus sowie einer vergleichbaren Form von Bemühungen seitens derjenigen Industrieländer, die dem Kyoto-Protokoll nicht beigetreten waren, nämlich den Vereinigten Staaten. Die Unfähigkeit der US-Regierung, Gesetze gegen den Klimawandel zu beschließen, behindert den Spielraum in dieser Angelegenheit stark. Aber zusätzlich zu Vereinbarungen über common accounting standards sollten Länder unter LCA ihre rechtliche Verpflichtung auf die höchsten von ihrem Staatsoberhaupt in Kopenhagen zugesagten Emissionsreduktionen bestätigen. Viele wichtige Länder, auch in der arabischen Welt, haben keine solchen Zusagen abgegeben und stehen unter Druck, dies in Doha nachzuholen. Nach Kopenhagen hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen die Unzulänglichkeit der bestehenden Zusagen angesichts des vereinbarten Ziels, die Klimaerwärmung auf 2°C zu beschränken, aufgezeigt. In Cancun haben Regierungen die Existenz dieser sogenannten Emissionslücke anerkannt. LCA sollte die Verpflichtung zu ambitionierteren Maßnahmen und zur Schließung der Lücke bestätigen. Dies sollte durch eine Entscheidung, zusätzlich zu den Zielen für 2020 und 2050 ein globales CO2-Budget aufzustellen, unterstützt werden.

Durban Platform for Enhanced Action

Schließlich wird die ADP in Doha ihre Arbeit ernsthaft in Angriff nehmen. Nachdem man zwei Sitzungen mit Streitereien über die Tagesordnung und die Ernennung von Vorsitzenden verbrachte, besteht nun die Erwartung, dass Regierungen die Arbeit anpacken und diskutieren, wie bis 2020 die Ambition gesteigert werden kann. Zunächst wird dies ein Kampf ähnlich wie bei Annex 1-Staaten (die alten reichen Ökonomien) gegen den Rest der Welt sein. Die Überprüfung, ob die 2°C-Schwelle ausreicht, sowie der Fünfte Sachstandsbericht der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaänderungen könnte Regierungen den dringend erforderlichen Anstoß geben, ihre Ambitionen deutlich zu erhöhen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, ob die globalen Emissionen vor 2020 ihren Spitzenwert erreichen oder nicht.

Die Verhandlungen über eine neue, universelle, verbindliche Vereinbarung werden das Konzept der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten nach Maßgabe der jeweiligen Fähigkeiten neu betrachten müssen. Die Steigerung sowohl der Ambitionen der Klimaziele als auch Klimagerechtigkeit ist ein eng verflochtener Komplex, und Regierungen müssen sich auf einen Verhandlungsansatz dazu einigen. Als Grundlage der neuen Vereinbarung muss ein neues Paradigma entwickelt werden.

Welche rechtliche Form diese Vereinbarung einnimmt – und, sehr wichtig, ob es die verbindliche Zielstruktur des Kyoto-Protokolls beibehält im Gegensatz zu einem „pledge and review“-Rahmen – ist aus der Perspektive von Wissenschaft und Wirtschaft von enormer Bedeutung. Einstweilen sind Aufwand, Stringenz und Form der zukünftigen Verpflichtungen unklar. Es wird nicht erwartet, dass in Doha Entscheidungen zu diesen Themen getroffen werden.

Erfolg oder Scheitern in Doha

Während Durban einen politischen Alles-oder-Nichts-Punkt markierte, wird von der COP in Doha nicht erwartet, dass sie den Puls der UN-Klimaverhandlungen erhöht. Aber der Abschluss sowohl des Protokolls als auch der LCA-Verhandlungen wird geschickte Diplomatie erfordern. Ein diplomatisches Scheitern ist hier eigentlich keine Option. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich alte und neue Allianzen, die die ADP-Verhandlungen angestoßen haben, verlagern. Obwohl Klimahandeln nicht von einem globalen Konsens abhängig ist, wird es zu einem großen Teil von globaler Kooperation vorangetrieben. Der Weg hin zu 2015 wird daher einen fundamentalen Einstellungswandel bei allen Parteien erfordern.

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Hans JH Verolme ist Gründer und Senior-Berater des Climate Advisers Network.

DOSSIER

Seasons of Change: Klima-, Energie- und Ressourcenpolitik in der MENA-Region

In Mitten turbulenter Zeiten im Nahen Osten und Nordafrika ist die Regierung von Katar Gastgeberin der 18. UN-Klimakonferenz. Unser dreisprachiges Webdossier präsentiert Analysen und Perspektiven zu den Zusammenhängen von Klimawandel, Ressourcen- und Energiepolitik sowie politischen und sozialen Umbrüchen.