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Ungarische Grüne LMP: "Politik kann anders sein"

Ungarische Flagge. Lizensiert unter Creative Commons BY-NC-ND

15. April 2010
Von Eva van de Rakt
Der Ausgang der Wahlen in Ungarn ist aufgrund des Einzugs der rechtsextremen Partei Jobbik ins Parlament beängstigend. Die Wahlen geben aber auch Anlass zu der Hoffnung, dass sich eine neue grüne politische Kraft etablieren wird. 

Rechtsextreme Jobbik
Die rechtsextreme Partei Jobbik („Bewegung für ein besseres Ungarn“) zieht mit 16,67 Prozent der Stimmen ins ungarische Parlament ein. Sie platzierte sich damit knapp hinter der ehemaligen Regierungspartei MSZP (Ungarische Sozialisten), die mit 19,3 Prozent eine schwere Niederlage einstecken musste (2006 erhielten die Sozialisten 43 Prozent und waren acht Jahre in Regierungsverantwortung).
Schon bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 erhielt Jobbik 14,7 Prozent der Stimmen. Die Partei ist bekannt für ihre aggressiven und menschenverachtenden Auftritte, die durch eine antisemitische Rhetorik und Hetze gegen die Roma-Bevölkerung des Landes geprägt sind. Jobbik ist der politische Arm der vor allem gegen die Roma-Minderheit in Ungarn gerichteten paramilitärischen „Ungarischen Garde“, die von dem Parteivorsitzenden Gábor Vona gegründet und 2009 verboten wurde. Sie gründete sich nach dem Verbot als „Neue Ungarische Garde“ neu.
Die Tatsache, dass es in einem EU-Mitgliedstaat zu einem derartigen Erfolg einer neofaschistischen Partei kommen konnte, ist erschreckend. Ungarn wird im ersten Halbjahr 2011 die EU-Ratspräsidentschaft inne haben.

Fidesz: Absolute Mehrheit im Parlament
Die Fidesz-Partei (Ungarische Bürgerunion), deren Vorsitzender der frühere und nun wiedergewählte Premier Viktor Orbán ist, vereinte nach dem ersten Wahlgang 52,73 Prozent der Zweitstimmen und damit die absolute Mehrheit auf sich. Die 386 Abgeordneten der Ungarischen Nationalversammlung werden in einem Mischsystem aus Verhältnis- und Mehrheitswahl gewählt. Es sieht danach aus, dass Orban eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Mandate im Parlament erreichen könnte und somit nicht auf Stimmen aus der Opposition für Verfassungsänderungen angewiesen sein wird.

Nach dem ersten Wahlgang entfielen 206 der insgesamt 386 Mandate auf Fidesz, die MSZP erhielt 28, Jobbik 26 und die LMP 5 Mandate (Lehet Más a Politika / „Politik kann anders sein“). Die 121 verbleibenden Mandate werden nach der zweiten Runde, die am 25. April stattfinden wird, den jeweiligen Parteien zugeordnet. Fidesz fehlen noch 52 Mandate zur Zwei-Drittel-Mehrheit.
Der Premier Viktor Orbán hat in seinen Oppositionsjahren durch seine populistische Rhetorik zu einer Polarisierung in Gesellschaft und Politik beigetragen. Am Wahltag versprach Orbán den Wählern: „Wir werden morgen in einem anderen Land aufwachen“. Er gab auch bekannt, dass er einen ganzen Stapel Gesetze in der Schublade habe. 

Überraschender Erfolg: Der Einzug der ungarischen Grünen ins Parlament
Einen Hoffnungsschimmer inmitten der tristen politischen Landschaft des Landes gibt es dennoch: Die grüne Partei LMP zieht erstmals ins Parlament ein. Wahlprognosen hatten ihren Einzug nicht ausgeschlossen. Niemand hatte allerdings mit einem derartigen Erfolg gerechnet: Die grüne Partei erhielt 7,48 Prozent der Stimmen. In Budapest zog die LMP mit 12,8 Prozent sogar an Jobbik vorbei. 

Die LMP wurde erst Anfang 2009 gegründet und erzielte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 in einem Bündnis mit der kleinen Humanistischen Partei 2,6 Prozent. Die LMP ging aus der gleichnamigen sozialen Bewegung hervor, deren Ziel es war, die ungarische Politik zu reformieren. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen hatten sie 2008 gegründet.

Daraus ist heute ein politisches Projekt geworden, dessen Ziel es ist, die politische Kultur in Ungarn nachhaltig zu verändern. Die LMP verleiht allen ungarischen Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme, die an eine andere Zukunft Ungarns glauben: eine politische Zukunft, die sich an den Grundwerten der grünen Bewegung orientiert.

Das Programm der LMP ähnelt den Programmen westeuropäischer grüner Parteien. Eine politische Erneuerung kann nach dem Programm der LMP nur in Einklang mit Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und politischer Teilhabe erreicht werden. Die LMP ist derzeit noch nicht Mitglied der Europäischen Grünen Partei (EGP), strebt aber eine aktive Mitgliedschaft an und wird in den Nationalwahlen von der EGP unterstützt. Auf der Homepage der LMP heißt es:
“LMP hopes to gain recognition in the future as a Green Party by the European Greens. To do this, it will need to establish an extensive platform that addresses a variety of issues and problems but pays special attention to the environmental issues that the world faces today.“

Mit der LMP bekommt die tschechische Partei der Grünen Verstärkung. Vor den Parlamentswahlen in der Tschechischen Republik Ende Mai 2010 macht der Erfolg der LMP Mut. Ondřej Liška, Parteivorsitzender der tschechischen Grünen, kommentierte das ungarische Wahlergebnis wie folgt: „Die Wahlen in Ungarn bestätigen, dass die Grünen nicht nur westlich unserer Grenze, sondern auch in den postkommunistischen Ländern Europas beginnen, wichtiger Bestandteil der Politik zu sein“.

Für die Zukunft der europäischen grünen Bewegung ist der Einzug der LMP ins ungarische Parlament ein wichtiger Schritt. In den kommenden Monaten kommt es darauf an, die LMP als Teil dieser Bewegung dabei zu unterstützen, ihre parlamentarische Arbeit zu professionalisieren und so die politischen Entwicklungen in Ungarn positiv zu beeinflussen. Ungarn braucht dringend eine grüne politische Kraft.


 
Eva van de Rakt ist Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag. Sie lebt und arbeitet seit 1997 in der Tschechischen Republik.

 

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