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Richmond, Virginia: Im Süden was Neues

Bernd Herrmann

21. Februar 2009
Bernd Herrmann
Von Bernd Herrmann

Stellen wir uns folgendes vor: Ein Afroamerikaner tritt an, George Bush als Präsidenten abzulösen. Die New York Times schreibt, es handele sich bei ihm um einen Mann, der nicht nur Schwarze, sondern auch gemäßigte Weiße erreicht; es handele sich um einen Kandidaten, der eine Koalition formen kann, jenseits der Rassen und festgefahrener politischer Lager - einen, der die Demokratische Partei zurück an die Macht zu führen vermag.

Aber: Nach vier Monaten Vorwahlkampf zieht er sich geschlagen zurück. Der Präsident: George Bush senior. Das Jahr: 1992. Der Kandidat: Douglas Wilder, Gouverneur von Virginia.

Wilder, geboren 1931 in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, ist ein Pionier in der US-Politik, ein Wegbereiter für Barack Obama. 1990 war er der erste Afroamerikaner, der zum Gouverneur eines Bundesstaates gewählt wurde - und das ausgerechnet im Süden. Von 2005 bis Anfang 2009 war er zudem Bürgermeister von Richmond. Gewählt wurde er mit 79 Prozent der Stimmen; eben jenen Stimmenanteil erreichte 2008 auch Obama in Richmond.

Blaue Flecken im Süden

Die Präsidentschaftswahl vom November 2008 zeigte Altbekanntes: Der Nordosten wesentlich blau (Sieg der Demokraten), der Süden wesentlich rot (Sieg der Republikaner). Die Präsidentschaftswahl vom November 2008 zeigte Neues: Zwei Südstaaten, North Carolina und Virginia wurden blau. In Virginia hatte zuletzt 1964 mit Lyndon B. Johnson ein Kandidat der Demokraten gewonnen. (1) Und während in North Carolina der Sieg hauchdünn ausfiel, stimmten in Virginia immerhin 52,7 Prozent für Obama.

Republikaner machten hierfür den Washington-Faktor verantwortlich. Im Norden grenzt Virginia an die Hauptstadt, die Landkreise sind dicht besiedelt - und gingen an Obama. Aber es ist mehr als der Dunstkreis der Hauptstadt. Im alten Süden hat sich seit den 1960ern einiges geändert. Richmond hat ein Weißes Haus. Richmond war von 1861 bis 1865 Bundeshauptstadt - der Konföderierten Staaten von Amerika, jener Südstaaten, die die Sklaverei nicht aufgeben wollten, sich von den USA abspalteten und noch bis in die 1960er Jahre an der Rassentrennung festhielten.

Weißes Haus Nummer zwei

Der Wandel kam nicht über Nacht. Bill Clinton erhielt in Richmond um die 60, Kerry 2004 stattliche 70 Prozent der Stimmen. Den Weg zu Obamas Sieg 2008 hat dennoch nicht unwesentlich Douglas Wilder gewiesen. Folgten schwarze Politiker innerhalb der Demokratischen Partei sonst meist dem Weg von Jesse Jackson, machte Wilder es anders. Politiker wie Jackson, in der Regel Veteranen der Bürgerrechtsbewegung, verstanden sich als Vertreter der Afroamerikaner. Ihre Rolle innerhalb der Demokratischen Partei bestand darin, den Demokraten die Stimmen der Schwarzen zu sichern. Im Gegenzug bekamen sie für „ihre Gemeinde“ Privilegien und finanzielle Zuschüsse. Es handelte sich um eine Form des Ethno-Lobbyismus.

Diese Politik hatte im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung ihre Berechtigung, gelang es so doch, Ungleichheiten auszubügeln und abzufedern. Sie stieß jedoch rasch an ihre Grenzen - aus drei Gründen:

1. Zunehmend standen Afroamerikaner in Konkurrenz zu anderen Gruppen, die aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder sexuellen Identität gleichfalls Sonderrechte forderten.

2. Der ethnische Lobbyismus führte dazu, dass Schwarze, wollten sie davon profitieren, zu Klienten afroamerikanischer Politiker degradiert wurden und in ihrem jeweiligen Viertel, in der ihnen zugeschriebenen Rolle verharren mussten.

3. Den Republikanern gelang es spätestens seit Ronald Reagan sehr erfolgreich, diese Politik anzugreifen. Schwarze und weiße liberale Politiker wurde dargestellt als Verschwender von Steuergeldern, als politisch korrekte Gleichmacher.

Jenseits der Identitätspolitik

Douglas Wilder war einer der ersten, der aus diesem Politikmuster ausbrach, der neue Allianzen bildete. Obwohl er selbst die Folgen der Rassentrennung erlebt hat (in den 1950er Jahren durfte er als Schwarzer in Virginia nicht Jura studieren), hat er nicht versucht, ethnische Politik zu betreiben. Für einen Demokraten ist Wilder eher konservativ: Für die Todesstrafe, hart im Kampf gegen Kriminalität, sparsam mit Steuermitteln. Wilder gelang es so, Rassenschranken zu durchbrechen und auch weiße Wähler auf dem Lande zu überzeugen.

In Richmond, in Charlotte (North Carolina) und vielen anderen Orten kann man den neuen Süden sehen. Verglichen mit den alten Industriezentren im Norden geht es der Wirtschaft hier relativ gut, die Bevölkerung nimmt zu oder geht (durch Abwanderung in Vororte) weniger zurück als im Norden. In den 1980er Jahren hatte Richmond eine der höchsten Verbrechensraten in den USA. Heute ist die Stadt vergleichsweise sicher. Die wenigen alten Industrien (Stahl, Textil, Tabak) sind entweder eingegangen oder aus dem Stadtgebiet verschwunden. In den Industriegebieten entlang des James River haben sich Dienstleister angesiedelt: Versicherungen, Anwaltsfirmen, Werber und Finanzdienstleister. Des Weiteren bestimmen mehrere Universitäten das Stadtbild.

Der postindustrielle Süden

Auch dieser Wandel hat seine Probleme. Durch die Wirtschaftskrise ist 2008 in Richmond die leerstehende Ladenfläche im Vergleich zum Vorjahr um fast zehn Prozent gestiegen. Im zentral gelegenen Viertel Jackson Ward, einst wegen seiner zahlreichen, Schwarzen gehörenden Läden, Banken und Dienstleister die „Wall Street des schwarzen Amerika“ genannt, sind viele Fenster vernagelt. Dass die Afroamerikaner in Richmond härter als andere von der Krise getroffen werden, heißt das aber nicht. Die Zeiten einer afroamerikanischen Schattenwirtschaft sind vorbei, die Geschäfte und Firmen in neuere Gebäude gewechselt.

Ein flüchtiger Blick auf den James River lässt vermuten, man habe es hier, mitten in der Stadt, mit vergleichsweise unberührter Natur zu tun: Stromschnellen, Inselchen und mächtige Felsbrocken mitten im Fluss. Schaut man genauer, entdeckt man allüberall Reste der industriellen Revolution: verwaiste Brückpfeiler, verstümmelte Piers, versteckt im Gestrüpp winken Stahlrahmen alter Fabriken.

Auf der Insel Belle Isle findet man sämtliche Schichten: Eine Pferderennbahn aus der Kolonialzeit, Fabrikgebäude aus dem 19., ein Wasserkraftwerk aus dem 20. Jahrhundert, einen Steinbruch, in dem Sklaven Blöcke für den Bau der Stadt brachen, ein Gefängnis, in dem im Bürgerkrieg tausende Gefangene aus den Nordstaaten umkamen. Heute ist all dies Park, es wird geangelt, gepaddelt, geradelt, und im Steinbruch sind die Freeclimber.

Die Erfolge von erst Wilder, dann Obama zeigen: Die Rassenfrage in den USA kann überwunden werden. Das heißt nicht, dass sie heute schon Vergangenheit ist - Sozial-, Arbeitsmarkt- und Verbrechensstatistiken sprechen eine klare Sprache.

Die Schattenspiele der Vergangenheit

Die Vergangenheit ist mit uns, aber sie besitzt uns nicht. Es kommt darauf an, was wir aus ihr machen. In Richmond findet man kuriose Beispiele. Eine der größten Straßen ist die Monument Avenue. Auf deren Mittelstreifen, daher der Name, stehen Denkmäler für Berühmtheiten - aber welche? Es sind drei Generäle der Südstaaten, Lee, Stuart und Stonewall Jackson, dazu der Präsident der Konföderierten, Jefferson Davis, sowie der Offizier und Naturforscher Maury. Da diese Pflege einer Tradition von Sklavenhaltern zunehmend problematisch wurde, in einer Stadt zudem, deren Einwohner zu knapp 60 Prozent Schwarze sind, fügte man 1996 ein Denkmal für den Tennisspieler Arthur Ashe hinzu. Wer ganz fehlt, ist der größte Sohn der Stadt, Edgar Allan Poe.

Ein Poe-Museum immerhin gibt es. Dazu mehrere Museen über die Konföderierten Staaten. Was fehlt ist eines über Afroamerikanische Geschichte oder die Geschichte der Sklaverei. Dafür, als deutscher Besucher kratzt man sich am Kopf, stößt man in Richmond auf ein Holocaust-Museum. Wie das wohl zusammenhängt? Die Wege des Erinnerns sind seltsam.

Bernd Herrmann ist Internet-Referent in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung.
Kontakt: herrmann@boell.de

Bemerkungen:
(1) Nach Ende des Bürgerkriegs und bis in die 1960er Jahre hinein stimmten die Südstaaten fast ausschließlich für die Demokraten - schließlich war Abraham Lincoln Republikaner. Das heute bekannte Muster (und auch das trifft nur sehr ungefähr zu - die regionalen Unterschiede sind beträchtlich), konservativ gleich Republikaner, liberal gleich Demokrat, entwickelten sich erst danach.