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Perspektiven US-amerikanischer Außenpolitik nach Bush Jr.

Paul Wolfowitz, Donald Rumsfeld und George W. Bush stellen 2003 das Budget für die Operation „Iraqi Freedom” und den Krieg gegen den Terror vor. Foto: R.D.Ward

17. Juli 2008
Von Sebastian Graefe
Sebastian Gräfe, Juli 2008

Das Interesse in Europa an den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist enorm. Nicht nur der komplizierte und spannende Nominierungsprozess der Kandidaten faszinierte. Viele Menschen auf der anderen Seite des Atlantiks hegen auch Hoffnungen auf einen Wechsel in der US-Außenpolitik durch einen neuen Präsidenten. Nach Ansicht vieler Europäer ist George W. Bush maßgeblich für die Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen verantwortlich. Geben die außenpolitischen Aussagen der beiden Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain berechtigten Anlass für Europas Hoffnung auf ein Ende des US-amerikanischen Alleingangs? Welche Positionen vertreten die beiden in für das transatlantische Verhältnis wichtigen Fragen wie dem Umgang mit den nuklearen Ambitionen Irans, der Zukunft des Iraks, dem Afghanistaneinsatz, dem Nahostkonflikt, der NATO-Erweiterung und den Beziehungen zu Russland? Welche Rolle spielen die Neokonservativen noch?

Nicht ohne Grund verglich kürzlich Jacob Heilbrunn im ‚National Interest‘ den Versuch, Aussagen zur Außenpolitik eines zukünftigen US-Präsidenten zu treffen, mit der Tätigkeit von Haruspizes. Diese altrömischen Priester deuteten die politische Zukunft anhand der Eingeweide von Opfertieren. Die zwei Amtsperioden von George W. Bush verursachten in der Tat heftigste Magenverstimmungen – nicht nur – in Europa. Aber die Außenpolitik des nächsten Herrn im Weißen Haus von den jeweiligen Wahlkampfreden abzuleiten, würde wahrlich falsche Erwartungen wecken. George W. Bush hielt im Jahr 2000 nichts vom komplizierten nation-building. Bill Clinton meinte zunächst „it’s the economy, stupid“, aber musste sich bald in zahlreichen internationalen Konflikten engagieren, z.B. in Bosnien-Herzegowina. Richard Nixon postulierte 1968, einen Plan für den Rückzug aus Vietnam zu haben. Vier Jahre später kandidierte er als Kriegspräsident zur Wiederwahl. Was wird also aus Barack Obamas Versprechen, die Truppen so schnell wie möglich aus dem Irak nach Hause zu holen?

In der Tat ist es angebracht, die in Europa bestehende Euphorie über das Ende der Ära von Bush Jr. zu dämpfen. Zwar ist von beiden Präsidentschaftskandidaten eine atmosphärische Klimaverbesserung in den transatlantischen Beziehungen zu erwarten, mehr aber auch nicht. Beide sind von der Auserwähltheit der USA überzeugt, die freie Welt zu führen und deren Werte zu verbreiten.

Zwar liegt besonders Obama eine Erneuerung der transatlantischen Beziehungen sehr am Herzen. Aber er oder McCain werden sich nur solang wieder verstärkt um die Einbindung von Partnern und um multilaterale Prozesse bemühen, sofern nicht die eigene Souveränität eingeschränkt wird.

Der Irakkrieg im Wahlkampf

Barack Obamas klare Ablehnung des Irakkriegs ermöglichte ihm zwar, sich gegenüber Hillary Clinton erfolgreich im Vorwahlkampf zu profilieren. Aber Amerikas Außenpolitik ist nicht Thema Nummer eins im Wahlkampf. Den Wählern ist die schlechte Wirtschaftslage, der Zugang zu Bildung, die mangelnde Gesundheitsversorgung, der Abbau von Arbeitsplätzen, steigende Energiepreise und generell soziale Sicherheit wichtiger. Der Irak wird als wichtiges Wahlkampfthema erst auf Platz 7 genannt. Einer Mehrheit der Wählern (61 %) liegt gegenwärtig am Herzen, dass sich der nächste Präsident stärker innen- statt außenpolitisch engagiert. Für die Wählbarkeit eines Kandidaten ist aber dennoch sein Auftreten auf internationalem Parkett wichtig. In diesem Sinne sehen nur 43 Prozent der Amerikaner Obama als stark genug an, in sicherheits- und außenpolitischen Fragen die Interessen Amerikas zu vertreten, McCain führt mit 51 Prozent. In der Frage der militärischen Führung ist der Kontrast noch schärfer. Nur 48 Prozent der Amerikaner können sich derzeit Obama als Oberbefehlshaber vorstellen, 72 Prozent trauen hingegen McCain diese Rolle zu. Ein Blick in die Wahlkampfteams der beiden Kandidaten lässt ihre Stärken und Schwächen und mögliche Tendenzen einer Außenpolitik nach Bush Jr. erkennen.

Obamas Team – glaubwürdig gegen den Krieg

Obamas außenpolitische Berater besitzen unterschiedliche Hintergründe. Zu ihnen gehören u.a. ehemalige Mitarbeiter von hochrangigen demokratischen Politikern. So arbeiteten Denis McDonough oder Ben Rodes für den ehemaligen Senator Tom Daschle bzw. ehemaligen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus Lee Hamilton. Tony Lake und Susan Rice sind alte Gehilfen des eher linken Flügels der früheren Clinton-Administration. Die Menschenrechtsaktivistin Sarah Sewall ist ebenso in Obamas Kampagne zu finden wie Scott Gration, ein im Ruhestand befindlicher General, der den Luftkrieg im Irak mit leitete. Samantha Power, eine Größe in der akademischen Auseinandersetzung mit der US-Außenpolitik, musste im Frühjahr allerdings den Beraterstab aufgrund von unangemessenen Äußerungen über Hillary Clinton verlassen.

Sie alle verkörpern glaubwürdig die Ablehnung des Irakkrieges. Sie lehnen auch die mit der oben zitierten Meinungsumfrage implizierte Annahme ab, Demokraten seien erst ernstzunehmende Sicherheitspolitiker, wenn sie ‚tough’ genug erscheinen wie Republikaner. Es war ja gerade Hillary Clintons Anliegen, Obama als schwachen Sicherheitspolitiker darzustellen. McCain setzt dies gern fort. Aber Obamas Berater versuchen ein Gegenbild ihres Kandidaten zu entwerfen, der dieser strategischen Kurzsichtigkeit überdrüssig sei. Er wurde heiß kritisiert für seine später leicht modifizierten Äußerungen, sich ohne Vorbedingungen mit Herrschern fragwürdiger Staaten wie Kuba und Iran treffen zu wollen. Solche ‚Ausrutscher’ sehen manche Kommentatoren in der ‚accidental foreign policy‘ Obamas begründet: er mache ungeprüft Äußerungen, die sein Stab – um einen Widerruf zu umgehen – im Nachhinein mit Inhalten füllt. Sie rühren aber auch aus der Überzeugung, die knapp 50 Jahre Blockadepolitik gegenüber Kuba und die 25 Jahre Sanktionen gegen Iran hätten die USA keinen Schritt weitergebracht.

Wandel – alles nur Rhetorik?

Die Washingtoner politischen Kreise inkl. Medien bleiben abwartend bis kritisch, ob Obama seine Rhetorik wird umsetzen können. Für Skeptiker war gerade seine Rede vor dem American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), einer Israel-nahen Lobbyorganisation, ein willkommener Beleg für ihre Annahme, es würde sich nicht viel ändern mit dem derzeit so viel Wandel versprechenden Senator. In ihr sprach sich der Kandidat aus Illinois derart umunwunden für die Wahrung der militärischen, wirtschaftlichen und territorialen Interessen des jüdischen Staates aus, dass er sich später zu Klarstellungen genötigt sah. So stünde seine Unterstützung für ein ungeteiltes Jerusalem nicht im Widerspruch zu eventuellen Ergebnissen israelisch-palästinensischer Verhandlungen über den Endstatus der Heiligen Stadt. Im Vorwahlkampf warf Obama seiner Rivalin Clinton noch vor, ihre Drohung, Iran im Falle eines nuklearen Angriffs Teherans auf Israel auslöschen zu wollen, höre sich wie Bushs Cowboy-Politik an. Bei der AIPAC Konferenz sicherte er nun den daraufhin enthusiastisch applaudierenden Zuhörern ausdrücklich zu, alles, wirklich alles in seiner Macht stehende zu tun, das iranische Regime davon abzuhalten, Atomwaffen zu bekommen. Kritiker meinen, er verspräche eine schon drei Jahre alte nur leicht verbesserte Strategie des jetzigen Präsidenten, bestehend aus wirtschaftlichen und politischen Anreizen für Teheran, Beteiligung an Verhandlungen der Europäer mit Iran und schärferen Sanktionen der Vereinten Nationen (VN) als Bush bisher erreichen konnte.

Interessant wird auch zu verfolgen sein, wie sich seine Position zu Irak in den kommenden Monaten entwickelt. Zurzeit geht er noch davon aus, ein so schnell wie möglich einzuleitender Abzug wird derart Druck auf alle Beteiligten Vorort ausüben, dass am Ende eine schon irgendwie tragbare Lösung für den Irak herauskommt. Hauptsache, die eigenen Soldatinnen und Soldaten vom Schauplatz eines falschen und illegitimen Einsatzes so schnell wie möglich nach Hause holen. Wird er mit diesem Ansatz die arabischen Nachbarländer für andere Baustellen seiner zukünftigen Außenpolitik im Nahen Osten gewinnen können, bei denen er dann auf ihre Unterstützung angewiesen ist? Die wollten zwar die Amerikaner nicht am Euphrat und Tigris haben, fürchten aber jetzt deren überstürzten Abzug wegen der unkalkulierbaren Risiken für die Sicherheitslage. Diese scheint sich gegenwärtig zu stabilisieren. Aber Obamas Position würde herausgefordert werden, wenn sie sich in 2009 wieder verschlechtert. Nähme er dann einen noch schnelleren Rückzug vor? Oder würde er sich als verantwortungsvoll agierender internationaler Sicherheitsakteur darstellen und der amerikanischen Bevölkerung die Notwendigkeit weiterer militärischer Unterstützung für die irakische Regierung verdeutlichen? Das wäre ein Realitätsschock für die amerikanische Linke. Obama plant vor den Wahlen noch in den Irak zu reisen. Es wird spannend sein zu sehen, welche Wirkung diese Reise auf seine Rhetorik entfaltet.

Republikaner & Irak – wohin sind die Neocons gegangen?

John McCain hat es in Bezug auf Irak auch nicht einfacher. Trotz seiner uneingeschränkten Unterstützung des Krieges erfuhr McCain am meisten von den republikanischen Wählern Zuspruch, die ein Ende des Irakkriegs wünschen. Sie sehen in ihm den erfahrenen Militärstrategen, der dem Schrecken ein nachhaltiges Ende bereiten kann. Republikanische Kriegsbefürworter votierten hingegen meist für den ausgeschiedenen Mitt Romney. Selbst eine mehrheitlich dem Krieg ablehnend gegenüber eingestellte Bevölkerung präferiert parteiübergreifend McCain vor Obama, um den Krieg im Irak zu beenden. Allerdings schrumpft der Vorsprung des Senators aus Arizona (Pew, April 2008: 50/38%, Mai 2008: 46/43%, WP/ABC, Juli 2008: 47/45%). Das Obama-Lager unterlässt keine Gelegenheit zu verbreiten, mit McCain drohe inhaltlich eine 3. Amtszeit George W. Bushs. Ein Blick in McCains Wahlkampfteam weckt in der Tat zwiespältige Gefühle.

Neokonservative waren ideologische Wegbereiter des Waffengangs in den Irak. Dessen desaströses Resultat – auch wenn inzwischen eine vorübergehende Stabilisierung erkennbar ist – ließe erwarten, dass ihr Rat weniger gefragt wäre als zuvor. Eine Liste außenpolitischer Berater der republikanischen Kandidaten zeugt aber davon, dass sie immer noch geschätzt werden. Die Bush-Administration hatten viele von ihnen schon vor Jahren verlassen. Im Jahr 2007 verbanden aber viele Neo-konservative ihre Hoffnungen auf eine Rückkehr ins Regierungsgeschäft mit der Präsidentschaftskandidatur des New Yorker Rudy Giuliani. McCain sahen damals alle aufgrund akuter Finanzprobleme dem Ende seiner Kampagne nah. Giuliani verlies sich u.a. auf Norman B. Podhoretzs Ratschläge, der bis 1995 jahrzehntelang das neokonservative Leitmagazin ‚Commentary‘ führte. Danach beim neokonservativen Hudson-Institute zu Hause, beschreibt er die Auseinandersetzung mit Islamisten als 4. Weltkrieg gegen den ‚Islamofaschismus’ und propagiert seit langem die Notwendigkeit eines Angriffs auf den Iran. An Giulianis Erfolg glaubten auch Hardliner wie Charles Hill, Martin Kramer und Daniel Pipes. Enttäuscht wurden sie alle, als der ehemalige New Yorker Bürgermeister kläglich bei den republikanischen Vorwahlen in Florida scheiterte. Deshalb sind neokonservative Erweckungsträume inzwischen mit McCain verbunden.

McCains Berater – Realisten vs. Idealisten

Dieser heuerte Randy Scheunemann als seinen Chefberater in Sachen Internationales und Sicherheit an, einen enthusiastischen Befürworter des Irakkrieges. Scheunemann gründete 2002 das ‚Committee for the Liberation of Iraq‘ und förderte die irakische Exilgemeinde um Ahmad Chalabi. Robert Kagan, unter Reagan im Außenministerium und ein Vordenker der Neocons, gehört ebenso zum Team McCains wie Bush Jr.s ehemaliger VN-Botschafter John R. Bolton. Der spricht weiterhin vom American Enterprise Institute aus der Vereinten Nationen jeglichen Sinn ab, sofern sie nicht zur Durchsetzung amerikanischer Interessen taugt. Zur Gruppe gesellt sich auch Max Boot, der beim Council on Foreign Relations versucht das Erbe der Neocons ins rechte Licht zu rücken.

McCain umgibt sich neben solchen Falken auch mit zum konservativen Lager zählenden so genannten Realisten oder Pragmatikern. Zu ihnen gehört Lawrence Eagleburger, der kurze Zeit Außenminister unter Bush Sr. war. Colin Powell, Außenminister unter Bush Jr. von 2001 bis 2005, und sein Stellvertreter Richard L. Armitage unterstützen McCain genauso wie Brent Scowcroft, der Berater für nationale Sicherheit von Bush Sr. Ebenso tauscht sich McCain oft mit den ehemaligen Außenministern Henry Kissinger und George Shultz aus. Zudem gehört der ehemals demokratische – inzwischen unabhängige – Senator Joe Lieberman zu seinen engsten Freunden. Die Pragmatiker in McCains Umfeld befürchten jedoch, ihr Kandidat sei zu sehr für Einfluss von Falken empfänglich. McCains harsche Kritik an Russland und seine Vorstellungen von einer ‚League of Democracies‘ nehmen viele von ihnen skeptisch bis ablehnend auf. Auch sein Festhalten an der Richtigkeit des Irakkrieges sorgt für Differenzen.

Während Powell und Armitage zunächst den Irakkrieg unterstützten und später ihre Meinung änderten, wandte sich Scowcroft schon 2002 gegen eine Invasion. McCain hingegen stimmt mit Neokonservativen wie William Kristol überein, die in der (mangelhaften) Durchführung des Kriegs das Problem sahen, nicht im Krieg selber. In der von General David Petraeus angewandten Strategie sehen sie endlich einen Weg zum Erfolg, mit dem auch die Herzen und Gedanken der Iraker zu gewinnen seien.

Ist Erfahrung alles?

Es ginge zu weit, McCain als willigen Gehilfen neo-konservativer Einflüsterer abzustempeln. McCain beschreibt sich zwar als ‚realistischer Idealist’, was sich sehr wohl nach George W. Bush und seinen neokonservativen Freunden anhört. Bush sprach sich in einer Rede im Jahr 1999 für ‚Realismus im Dienste von Idealen’ aus. Auch eine Fortsetzung der langen Auseinandersetzungen zwischen konservativen Realisten und Idealisten in einer eventuellen McCain-Administration ist nicht ausgeschlossen. McCain selber wird aber als eigenständig genug angesehen – ohne Not, sich einer Seite verschreiben zu müssen. Das hat der durch seine Vietnamerfahrungen zum beliebtesten Kriegshelden der USA aufgestiegene republikanische Kandidat nicht notwendig. Eher mögen die Brüche in außenpolitischen Positionen und die Eigenwilligkeit gegenüber der eigenen Partei zu seinem Image der ‚Stärke’ beitragen. Geprägt vom Vietnamkrieg war McCain lange Zeit ausgesprochen ablehnend gegenüber amerikanischen Interventionen fernab der Heimat eingestellt. Während er die Invasionen in Grenada 1983 und später in Panama sowie den Golfkrieg 1991 gut hieß, kritisierte er 1983 im Kongress den Einsatz der US-Marines im Libanon– mit einer ähnlichen Argumentation, die Basis seiner Analyse zur Situation des Iraks ist: militärische Interventionen bedürfen immer der Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit sowie einer überwältigenden und gut ausgestatteten militärischen Schlagkraft. Er stimmte gegen eine Resolution im Senat, die sich unter Bush Sr. angesichts des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina für eine Demonstration der Stärke aussprach. 1993 legte er (erfolglos) dem Senat eine Resolution zur Abstimmung vor, die den sofortigen Rückzug amerikanischer Truppen aus Somalia forderte. Auch die Intervention auf Haiti Anfang der 90er Jahre lehnte er ab. Erst 1995, auf dem Höhepunkt der ethnischen Säuberungen auf dem Balkan, änderte McCain grundlegend seine Einstellung zu Interventionen in dieser Region. So verhalf er gegen den Willen vieler republikanischer Parteifreunde – inzwischen war Clinton an der Macht – einer Resolution zur Annahme, die militärisches Eingreifen in Bosnien befürwortete. In jener Zeit wurde er ein wichtiger Vermittler für die Clinton-Administration, um die republikanische Opposition in der Außenpolitik zu begrenzen. McCain unterstützte Clintons Luftschläge gegen Sudan und Afghanistan als Reaktion auf Anschläge gegen US-amerikanische Botschaften. Ebenso befürwortete er den Krieg gegen Serbien 1999. Im Vorwahlkampf zum Weißen Haus im Jahr 2000 argumentierte der Kandidat McCain für robuste militärische Interventionen bei humanitären Krisen. Sein damaliger Kontrahent George W. Bush hielt davon überhaupt nichts. Schon 1998 engagierte er sich im Sinne des späteren Irakkriegs. Er kämpfte für den ‚Iraq Liberation Act’, der – von Bill Clinton als Gesetz unterschrieben – statt nur die Isolierung die Absetzung von Saddam Hussein als Politikziel formulierte. In jener Zeit entwickelten sich McCains enge Kontakte zu Neokonservativen. Wenige Jahre später wird er ein aktives Mitglied im ‚Committee for the Liberation of Iraq’ seines jetzigen Chefberaters Scheunemann.

McCain wird diese jahrzehntelangen Erfahrungen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu nutzen wissen, um Obama als gefährlichen Jungspund hinzustellen. Jedoch bewies George W. Bush, dass es auch Kandidaten ohne jegliche außenpolitische Erfahrung ins Weiße Haus schaffen. Zudem muss McCain selber aufpassen: seine Auftritte zu außenpolitischen Themen wirken nicht selten hemdsärmelig und lassen die notwendige Vorbereitung vermissen. Erst kürzlich bestätigte er diesen Eindruck auf peinliche Weise gleich mehrmals.

Zunächst machte er Iran dafür verantwortlich Al-Quaida Kämpfer im Irak auszubilden. Wenig später deklarierte er Al-Quaida im Irak als schiitische statt sunnitische Organisation.

Viel Gesprächsstoff auf dem Tisch

Ein halbes Jahr vor den Wahlen sind die Debatten über die zukünftigen transatlantischen Beziehungen voll im Gang. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen der Einfluss einer neuen Administration auf gemeinsame Initiativen zu Iran, die Zukunft der NATO, ein gemeinsames Handeln in Afghanistan, die Zukunft des Iraks, aber auch der Klimawandel.

Eine seit langem bestehende Forderung der Europäer wird vom neuen Präsidenten unabhängig seiner Couleur ziemlich schnell erfüllt werden: die Schließung des Militärgefangenenlagers Guantanamo auf Kuba, das im Rahmen des Kampfs gegen den weltweiten Terrorismus angelegt wurde. Die kürzliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Rechtssache Boumediene vs. Bush versetzte dem Lager inzwischen auch den verfassungsrechtlichen Todesstoss. Die Schließung Guantanamos wird große symbolische Bedeutung haben. Aber der Fakt, dass beide Kandidaten sie unterstützen, verdeckt, dass McCain das Lager nur wegen der Foltervorwürfe schließen will. In der Sache ist er immer noch von der Richtigkeit überzeugt ‚feindlichen Kämpfer’ vor Militärtribunale zu stellen. Das Recht, ihre Gefangennahme vor einem zivilen US-Gericht anzufechten, gesteht er ihnen nicht zu und kommentierte die Gerichtsentscheidung als eines der schlimmsten Urteile in der Geschichte des Landes. Davon abgesehen herrscht gegenwärtig noch eine ‚Denkpause‘, wie in Zukunft mit Gefangenen des Antiterrorkampfes umzugehen ist. Die Diskussion hat gerade erst richtig begonnen.

Wenn es um die Unterstützung eines anderen Gerichtes, des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag geht, verwischen sich die Grenzen der Kandidaten. Beide unterstützen zwar generell die Idee, reklamieren aber zugleich Vorbehalte, die internationale Rolle der USA und ihre Souveränitätserfordernisse müssten besser in Betracht gezogen werden. Eine baldige Ratifizierung der Statuten des ICC ist demnach unter einem neuen US-Präsidenten nicht zu erwarten.

John McCains Skepsis gegenüber den Vereinten Nationen einerseits und der Wunsch andererseits, amerikanische Werte trotz des Desasters der Demokratieförderung à la Irak weiter in die Welt zu tragen, wird auch in seinem Vorschlag einer ‚League of Democracies’ deutlich. Sie soll Konflikte lösen, wo die VN unfähig dazu sind, sei es in Darfur, in Simbabwe, Burma oder im Kampf gegen Aids. Russland und China blieben außen vor. Außerhalb der USA misst dem Vorschlag keiner ernsthaft Bedeutung zu, auch wenn man Verständnis für Versuche hat, das Ansehen der USA in der Demokratieförderung wieder zu verbessern. Im Washingtoner Raumschiff wird er aber diskutiert – teils komplett abgelehnt, teils zumindest für nachdenkenswert befunden. Obama selber lehnt die Idee nicht grundsätzlich ab. Auch Experten in seinem Umfeld sehen in den VN eine Organisation der Nachkriegszeit, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wird. So meint Ivo Daalder, eine Liga der Demokratien könne Impulse zur Reform der VN geben und die Zusammenarbeit von Demokratien VN-Gremien verbessern. Anreize einer Mitgliedschaft förderten die weltweite Verbreitung von Demokratie. Sie trüge auch zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Mitgliedskandidaten bzw. Mitglieder bei. Auch über Sicherheitsfragen könne diskutiert werden, den Einsatz von Gewalt solle sie aber nicht legitimieren dürfen.

Ausgeschlossen aus einer solchen Runde wäre natürlich Iran. Wenn im kommenden Jahr ein neuer Präsident ins Weiße Haus einzieht, wird wenig später der iranische Präsident Ahmadinedschad alles versuchen, die eigenen Wahlen zu manipulieren, um eine zweite Amtszeit zu erzielen. Er lehnte das kürzlich vorlegte Verhandlungsangebot der EU 3+3 zur Zusammenarbeit in Nuklearfragen mit Iran nicht generell ab. Die US-Administration verdeutlichte mit der Unterschrift von Condoleezza Rice unter jenem Angebot ihren ernsthaften Willen für Verhandlungen. Für transatlantischen Gesprächsstoff sorgt die Frage, ob Irans regionales Handeln Bestandteil der Nuklearverhandlungen werden soll. Ein Regimewechsel als Ziel gemeinsamer Anstrengungen scheint vom Tisch, vielmehr strebt man nun eine Verhaltensänderung Teherans an. Das wird bestimmt für Debatten in einer McCain-Administration sorgen. Ebenso befürchten Europäer einen Gesichts- und Einflussverlust, träte Obama in bedingungslose Verhandlungen mit dem Regime ein. Auf einmal fänden sich die Europäer in der Rolle des ‚bad guy’ wieder, der auf die Einhaltung von VN-Resolutionen pocht.

Im Fall von Afghanistan ist am wenigsten eine Änderung der Haltung der US-Regierung durch einen Wechsel im Weißen Haus zu erwarten. Obama wie McCain werden es ihrem Vorgänger gleich tun und mehr europäische, insbesondere deutsche Beteiligung – auch in Kampfeinsätzen – fordern. Nationale Vorbehalte werden auch von Obama kritisiert. Im Rückzug aus dem Irak sieht er indes die Möglichkeit, einen Teil der freiwerdenden Truppen zur Verstärkung in Afghanistan einsetzen zu können.

Der Erfolg des zivilen Aufbaus und des Antiterrorkampfes in Afghanistan sind entscheidend für die Zukunft der NATO. Das Bündnis steht aber auch in Europa vor wichtigen Fragen. Bushs Ansatz zur NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien wird von Obama und McCain geteilt. Seitens McCains ist dabei von einer Bereitschaft für einen konfrontativeren Kurs gegenüber Russland auszugehen. Die Frage nach den Grenzen der NATO wird sich als ein Hauptkonflikt in den transatlantischen Beziehungen entwickeln. Auch Bushs Raketenabwehrprojekt wird grundsätzlich parteiübergreifend geteilt, auch wenn die Art und Weise der Konsultation der Partner in Frage gestellt wird.

Ein Politikwechsel im Bereich Klimawandel ist von beiden Kandidaten zu erwarten, bietet das Thema doch neben dem Handlungsdruck auch die Möglichkeit, das Ansehen Amerikas nachhaltig zu verbessern. Der Klimawandel wird in den USA aber inzwischen nicht nur aus der umweltpolitischen Perspektive diskutiert. Vielmehr nimmt man ihn auch als Risiko für die Sicherheitsinteressen des eigenen Landes wahr, als Multiplikator von schon bestehenden Bedrohungen. Neben einem ambitionierteren Kampf gegen die Klimaerwärmung muss sich global auf mehr Konflikte und Katastrophen eingestellt werden. Mit Blick auf die Tsunami-Erfahrungen wird in Washington aufmerksam registriert, welches Potential amerikanische Katastrophenhilfe zur Verbesserung des Ansehens der USA in sich birgt.

Zukunft des Westens

Die in Washington heiß debattierte wichtigste Frage zur zukünftigen Entwicklung der US-Außenpolitik ist auch für Europa wichtig: Obama oder McCain müssen sich Gedanken machen, wie sich zukünftig die Beziehungen zwischen aufstrebenden Mächten wie China und Indien auf der einen und einem internationalen System auf der anderen Seite gestalten, das immer noch von den Gesetzen der Nachkriegszeit und der Dominanz der USA bestimmt wird. Werden Konfrontation oder Kooperation das Verhältnis zwischen den USA und China bestimmen? Amerika debattiert, welche globale Rolle es überhaupt noch spielen wird angesichts des geschrumpften außenpolitischen Einflusses und der wirtschaftlichen Krise am Ende der Bush-Ära. In der kommenden Dekade kann sich eine ‚Welt ohne den Westen’ etablieren. Sie würde – relativ autonom von westlicher Kontrolle – ein neues paralleles System von Institutionen, Regeln und Mächten hervorbringen.

Europa muss in dieser Entwicklung aufpassen, sich nicht selber zu marginalisieren. Nach dem negativen Votum der Iren zum Lissaboner Vertrag müssen die Europäer endlich eine Lösung finden, die den Integrationsprozess im Innern fortsetzt, um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Europa muss engagierter Akteur sein, um die Globalisierung sozial und ökologisch gerechter zu gestalten. Ohne eine enge Partnerschaft mit den USA und seinem 44. Präsidenten wird das nicht gehen.

Dossier: Im Westen was Neues

Die USA im Wahlkampf 2008
In den USA wird am 4. November 2008 ein neuer Präsident gewählt. Nach acht Jahren Bush-Regierung und der mittlerweile in den USA weit verbreiteten Enttäuschung über deren Politik scheint klar, dass der neue Präsident innenpolitisch wie außenpolitisch neue Akzente setzen wird - unabhängig davon, ob mit Barack Obama zum ersten Mal ein schwarzer Amerikaner Präsident wird oder John McCain die republikanische Ära fortsetzt.
Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet den Wahlkampf in den USA mit Veranstaltungen, Analysen und Berichten. Dabei wird neben der Betrachtung der innenpolitischen Diskussionen und Entwicklungen in den USA insbesondere beleuchtet werden, was die sich abzeichnenden neuen Politiken für das transatlantische Verhältnis bedeuten. Dieses Dossier dokumentiert die Aktivitäten der Heinrich-Böll-Stiftung zum US-Wahlkampf.  » mehr