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Mali-Experte Roland Marchal: „Der Applaus für Hollande wird nicht lange anhalten“

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Dr. Roland Marchal. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung 

 

13. Februar 2013
Interview mit dem Afrika-Experten Dr. Roland Marchal, Chargé de recherche au Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), Science-Po, Paris, über Frankreichs Militärintervention in Mali und die Fehler der internationalen Gemeinschaft:

 

 

Sie warnen vor den "Mythen" der westlichen Betrachtungsweise, etwa dem Bild, das wir von Timbuktu oder von den Tuareg haben. Was ist falsch an unserem Bild Malis?

 

Wir glauben, viel über Mali zu wissen, aber das stimmt nicht. Viele Europäer glauben, der Norden Malis sei von Tuareg bevölkert. Doch sie sind dort nur eine Minderheit. Schon als Mali vom 12. bis 16. Jahrhundert ein bedeutendes Reich war, wurden sie nicht als Malier anerkannt. In Europa glaubt man auch, in Mali herrsche eine afrikanische, also eine gemäßigte und tolerante Spielart des Islam. Doch das ist eine koloniale Sichtweise, die übersieht, dass der Islam wandlungsfähig und vielgestaltig ist. Etwa seit 1940 erstarkt in Mali die strenge, wahhabitische Strömung des Islam, gleichzeitig wurde Timbuktu touristisch entwickelt, Leute kommen wegen der historischen Manuskripte, aber es werden sogar Golfplätze gebaut. Die Globalisierung macht auch vor Afrika und Mali nicht halt. 

 

Der westliche Blick auf den Islam ist zu wenig differenziert: Unter dem Begriff „Islamisten“ wird ein breites Spektrum politischer Kräfte gefasst, da herrscht große Konfusion. Problematisch ist, dass dieser Diskurs unserer politischen Klasse auch in Afrika wahrgenommen wird und dort für Verwirrung sorgt. Ein französischer Politiker sagt, er sei gegen die Scharia, weil er dabei nur an abgehackte Hände denkt. Für einen Muslim bedeutet Scharia hingegen das Gesetz Gottes, und er kann mit niemandem eine Dialog führen, der es in Abrede stellt. Für ihn ist das Problem nicht die Scharia, sondern vielleicht deren Interpretation durch den Menschen. Wenn wir da nicht präzise sind, wird es gefährlich.

 

Was waren in ihren Augen die Motive Frankreichs für die Intervention? Halten Sie sie für legitim?

 

Nach der französischen Darstellung gab es einen dringenden Hilfsappell der malischen Regierung. Mali sei ein befreundetes Land, deshalb habe man interveniert. Für Paris galt in Mali nach der Abspaltung des Nordens vor allem die Organisation Ansar Dine als Gefahr, doch es gab unterschiedliche Meinungen, ob dies eine opportunistische und kurzlebige Gruppierung sei oder ob sie eng mit al-Qaida im Maghreb zusammenarbeitet. Eine dritte Gruppe im Norden Malis, MUJAO, wurde vor allem als Drogenschmuggler gesehen, die geschickt lokale Allianzen gebildet hatte und so erstarkt war. Dazu kam die Gefahr durch Entführungen und durch ein paar Dutzend Leute, die aus Frankreich nach Mali gelangt waren und möglicherweise für Terrorakte in der alten Heimat ausgebildet werden sollten. Es gab in Frankreich also eine sehr auf Sicherheit fokussierte Analyse, und Paris hoffte, die Gefahr durch ein rasches Eingreifen am besten bannen zu können. Frankreich wollte die Städte im Norden zurückerobern und glaubte, so den Weg frei zu machen, damit in Mali einen  Ausweg aus der Krise finden kann. 

Frankreich sah sich auch wegen der Intervention in Libyen in einer gewissen Verantwortung für die Ereignisse in Mali. Und ganz sicher falsch ist es, Frankreichs Militärintervention als neokoloniales Unternehmen zu sehen. Sie hatte nichts mit „Françafrique“ zu tun. Malische Politiker haben keine Parteie in Frankreich finanziert, es gab auch keine bedeutenden wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in Mali, nicht einmal eine nennenswerte französische Exilgemeinde in dem Land, die sich politisch eingemischt hätte. Wer hat François Hollande am eindringlichsten zu einer entschlossenen Militäraktion gedrängt? Es war der Präsident von Niger, Mahamadou Issoufou. War die Operation legitim? Das muss jeder selbst entscheiden, ich würde es eher verneinen, denn Afrika sollte solche Krisen selbst lösen. Auch die internationalen Organisationen – Uno, EU, AU – haben sich in der Krise blamiert. Die Rechnung bezahlt die Bevölkerung in Mali.

 

Wie wird in Frankreich über Hollandes Vorgehen diskutiert? Ihm scheint es politisch genutzt zu haben.

 

Seit der Ära Mitterrand wird den Militäraktionen Frankreichs stets zunächst applaudiert, auch die Presse kritisiert sie nicht. Aber regelmäßig ist dann die Begeisterung schnell abgekühlt. Im Wahlkampf ging es letztlich immer um die Lage der Wirtschaft, die Einkommen, die europäische Politik,  alles andere war den Franzosen egal. Hollande kann sich jetzt über die Popularität freuen, aber sie wird nur einige Wochen anhalten, und er wird Probleme bekommen, wenn es das erste Selbstmordattentat gibt. Dann wird man die Frage stellen, warum französische Soldaten in Särgen aus Afrika zurückkehren und wozu sie dort waren.

Seit mehr als einer Woche gibt es nun auch eine politische "Roadmap" für Mali. Was halten Sie von der in Bamako vorgelegten Planung? Was sind ihrer Meinung nach die damit verbundenen größten Herausforderungen?

 

Vieles erscheint mir übereilt, etwa der Wahltermin noch vor dem 31. Juli. Das politische System Malis hat sich in Bezug auf Wahlen durch Betrügereien und durch das seit 1992 praktizierte Prinzip der Käuflichkeit von Parteiführern disqualifiziert. Eine politische Debatte oder die Idee, dass es eine Opposition geben muss, wurde erstickt. Wir brauchen Wahlen in Mali, aber dann bitte unter regulären Bedingungen, damit das Ergebnis glaubwürdig ist. Das bis zum 31. Juli zu schaffen, ist eine Illusion und sogar gefährlich. Eigentlich kann man gar keine Wahlen abhalten, solange ausländische Soldaten im Land stationiert sind, selbst falls die mit den besten Absichten dort sind. Wahlen sollten am Schluss einer politischen Normalisierung stehen. Und eine Normalisierung Malis ist so lange ausgeschlossen, wie es keine wirtschaftliche Alternative für solch ein armes Land mit so hoher Analphabetenrate und so geringer Lebenserwartung gibt.

 

Sie schreiben von einer "kriminellen politischen Ökonomie" in der Region. Was bedeutet dieser Umstand und behindert dieser Faktor den angestrebten politischen Prozess?

 

Armut und Analphabetismus sind im Norden Malis besonders verbreitet. Dort ist eine Ökonomie entstanden, die auf dem Schmuggel von Konsumgütern, aber auch von illegalen Waren basiert. Die internationale Gemeinschaft muss behutsam dagegen vorgehen: Sie muss den Drogenschmuggel kriminalisieren, sich aber bewusst sein, dass der Schmuggel für viele die Lebensgrundlage ist. Wenn die verlorengeht, werden diese Menschen sich gegen die internationale Gemeinschaft stellen. Man muss also rasch eine realistische und nachhaltige ökonomische Alternative schaffen. Das ist schwierig und teuer, aber machbar für die internationalen Organisationen von der EU bis zu den UN, wenn sie schnell handeln.  

 

Worauf sollte die internationale Gemeinschaft im weiteren Vorgehen nun besonderes Augenmerk legen?

 

Den Maliern muss es gelingen, wieder ein Nationalgefühl aufzubauen. Die Tuareg werden heute von allen als Unruhestifter angesehen und nicht als Bürger Malis. Man muss dahin kommen, dass die Malier sich wieder als eine geeinte Nation begreifen, in der alle ihren Platz haben. Das ist schwierig, denn die Tuareg haben zahlreiche Fehler gemacht, etwa die brutalen Morde an malischen Soldaten oder Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung. Der Süden hat dem Norden Unrecht getan, Reformen auf halbem Wege versanden lassen, Geldzusagen nicht eingehalten. Die internationale Gemeinschaft kann helfen, wenn sie sich den Putschisten (Anmerkung der Redaktion: den Militärs, die im März 2012 Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt hatten) entgegenstellt und ihnen keine finanzielle Unterstützung gewährt. Sie müssen die Macht abgeben. Aber das darf nicht heißen, dass man einfach zu der Politik vor dem Staatsstreich zurückkehrt, die das Land in die Krise geführt hat. Das ist knifflig, und die internationale Gemeinschaft muss ihr Vorgehen sehr genau abstimmen, damit es gelingt. 

 

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Das Interview führte Stefan Schaaf.