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Pyrrhus-Sieg in Nigeria

Lesedauer: 5 Minuten
Wahlen in Nigeria 2011, Foto: ComSec, Quelle: flickr, Lizenz: creative.commons 2.0

10. Mai 2011
Ako Amadi
Ako Amadi

Klagen über Wahlmanipulation, Unregelmäßigkeiten, falsche Auslegung des Wahlgesetzes, Entführung von Kandidaten und Wahlhelfer – das alles ist nichts Neues in Nigeria. Erwartungsgemäß sind die Wahlen zu Ende gegangen ohne, dass die Verlierer das Ergebnis akzeptieren – wie so oft in Afrika. Hier gibt es kein “Congratulations, well done!” Der Kampf geht weiter - mit Bomben, Mord und Totschlag auf den Straßen! Meiner vorsichtigen Schätzung nach müssten bei den Wahlen in Nigeria um die 2,000 Menschen umgekommen sein. Wahlsieg um jeden Preis? Angesichts der gespannten Lage weiß der Sieger der Präsidentschaftswahl Goodluck Jonathan nicht so genau, wie er die Errungenschaft feiern soll.

Der Kabarettist Okey Bakassi aus Lagos erzählte letztens den folgenden Witz: treffen sich drei Freunde im Pub, ein Japaner, ein Amerikaner und ein Nigerianer und unterhalten sich über Wahlen in ihren jeweiligen Ländern:

  • In Japan geht es heutzutage so schnell: die Wahlergebnisse sind schon am nächsten Tag da!"
  • Ach" meint der Amerikaner, "In den Vereinigten Staaten sind die Ergebnisse gleich am Wahlabend im Fernsehen! It’s amazing!"
  • Angeber" bricht der Nigerianer ab, "hört auf mit der Prahlerei! Bei uns geht es doch noch viel schneller! Die offiziellen Ergebnisse wissen alle schon Monaten vor der Wahl!"
Tatsächlich stand Jonathans Sieg eigentlich von vornherein fest, was nicht allein mit Wahlfälschungen und Manipulation zu tun hat, sondern eher mit der inneren Dynamik seiner Partei, die PDP. In der größten Partei Nigerias stellen den Norden und den Süden des Landes nämlich turnusmäßig Präsidentschaftskandidaten für Wahlen auf. Den Vizepräsidenten nominiert man dementsprechend aus der anderen Region. Es bleibt ein kompliziertes aber auch hochkritisiertes Quotensystem, dass keine Auslese des am besten qualifizierten Kandidaten darstellt. Unbemerkt von den aus Europa und den Vereinigten Staaten zugereisten Wahlbeobachtern hat Goodluck Jonathan als amtierender Staatschef seinen Wahlkampf praktisch mehr aus dem Staatshaushalt und weniger von Spenden finanziert. Das haben die Wahlbeobachter leider nicht kommentiert. Kritiker aus den Reihen von Journalisten, Künstlern, Menschenrechtlern, Gewerkschaftern, Juristen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen in Nigeria bemängeln heute noch die Unfähigkeit der von Jonathan selbst ernannten Independent National Electoral Commission (INEC), diesen Verstoß strikter zu bändigen. Überraschenderweise haben Oppositionsparteien auch kein Wort darüber verschwendet. Beim Wettlauf um die Bestechung der ärmsten Wähler und um die Aufstellung von Schlägertrupps schlug die People’s Democratic Party (PDP) die Konkurrenz. In Wahrheit agierte die INEC alles andere als unabhängig, und ist somit mitverantwortlich für die derzeitigen Unruhen in Nigeria.

Diese Wahlen müssten Unmengen gekostet haben. Gelder wurden reichlich und ohne Schwierigkeit vom Staat für die INEC bewilligt. Drei Jahre lang reisten INEC-Mitarbeiter um die Welt zwecks Fortbildung in Führung und Management von demokratischen Wahlen. Man scherzt in der Hauptstadt Abuja darüber, dass einige die Zeit ausgenützt hätten, um ihre Doktorarbeit in Politikwissenschaft zu Ende zu schreiben. Importiert wurden Computer, Wahlurnen, Dienstwagen, LKW, Hunde und allerlei Geräte aus Europa. Stimmzettel, verschiedene Schreibwaren, vor allem Papiere für die etwa 80 Millionen Wähler stammten aus China. In Anbetracht der verheerenden Umweltstandards im Reich der Mitte und in Nigeria kann man sich den dabei entstehenden CO₂-Fußabdruck vorstellen!

Natürlich waren Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Tausende von Polizisten, Soldaten und sogar Studenten wurden aus allen Landesteilen abkommandiert, um die Wahl zu sichern. Aber Aufwand und Ertrag stehen sicherlich nicht in einem vernünftigen Verhältnis. Durchaus ist die Frage berechtigt, inwieweit die Vorgänge in Nigeria als Fortschritt bewertet werden können.

In Wirklichkeit ist bei Wahlen in Nigeria mit ungeheuerlichen administrativen Schwierigkeiten zu rechnen. Nigeria hat über 150 Millionen Einwohner, in dem Land werden etwa 150 Sprachen gesprochen und die Analphabetenrate liegt bei etwa 30 Prozent . Es ist ferner daran zu erinnern, dass die britische Kolonialzeit in Nigeria 1914-1960 keine Demokratie war. Dazu kommt noch das zusätzliche Problem der parallelen Herrschaft von mächtigen traditional rulers, die landesweit zerstreut sind. Eine Verstärkung der politischen Aufklärungsarbeit ist angebracht - besonders an der Basis.

Seit Ende der Militärdiktatur 1999 ist Nigeria sehr bemüht, sein ramponiertes Image als korrupten Gangster-Staat aufzupolieren. Man will sich wieder in die Weltgemeinschaft integrieren und freie und faire Wahlen sollten das Land salonfähig machen. Investoren aus allen Herrenländern sind gern gesehene Gäste auf den Flughäfen in Lagos und Abuja. Nigeria möchte ein attraktiver Handelspartner werden. Dabei ist die Regierung auch an offiziellen Hilfen aus den reichen Industrieländern interessiert, die für demokratische und markwirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern vergeben werden.

Im Zeitalter der Konflikte im Nahen Osten ist die gesicherte Lieferung von Ӧl und Gas aus Nigeria für den Westen wichtiger geworden. Rebellen im Niger Delta hat man daher eiligst amnestiert und auf Staatskosten zur Ausbildung in verschiedenen Berufen nach Südafrika und Ghana geschickt. Goodluck Jonathan ist der erste Regierungschef Nigerias aus dem ölreichen Nigerdelta. So weit so gut.

Doch wichtige Schritte in der Entwicklung Nigerias –aber auch die Ursachen der Unruhen nach der Wahl– gründen auf drei Faktoren, die sich gegenseitig untermauern und verstärken: Armut, Sozialgeographie (das Verhältnis von Gesellschaft und Erdraum oder genauer Naturressourcen) und letztlich die Religion. Die Rolle des Ölvorkommens im Nigerdelta auf die politische Entwicklung des Landes ist bekannt. Auf eine Diversifizierung der Wirtschaft wartet man immer noch. Seit Jahren werden die Fundamentalisten der beiden Religionen, Islam und Christentum, in Nigeria immer dreister und militanter. Gewalt gegen Andersdenkende und Andersgläubige basiert heute auf eine gefährliche globale Strömung, die die anderen für das Leid der Welt verantwortlich macht. In dieses Pulverfass werfen die Politiker gelegentlich brennende Streichhölzer.

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Towards Democratic Consolidation: The 2011 Election and Governance in Nigeria - Jaye Gaskia (english)