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Generalstreik und Proteste: Occupy Nigeria

Occupy Nigeria Proteste in Lagos, 10. Januar 2012. Foto: Usiola, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Original: Wikimedia Commons.

11. Januar 2012
Christine K.
We have Occupied Babura!“ lese ich auf dem Twitter-Feed und meine Erinnerung geht zurück in dieses kleine Dorf im höchsten Norden Nigerias, wo ich 1988 zum ersten Mal in einem Hausa-Dorf übernachtete, wo die Frauen hinter verschlossenen Türen lebten, während die Männer unterm Baum saßen und palaverten. Laut einem Tweet ist Babura bereits am ersten Tag des Generalstreiks Teil der Occupy Nigeria-Bewegung geworden. Ob die jungen, arbeitslosen Männer, von denen es auch in Babura zu viele gibt, jetzt unter dem Dorfbaum demonstrieren?

Mit dem Generalstreik, der sich gegen die gestiegenen Benzin- und damit Lebenshaltungskosten richtet, ist in Nigeria eine neue Dynamik entstanden. Der Massenprotest überbrückt ethnische und religiöse Grenzen und obwohl die Gewerkschaften dazu aufgerufen und ihn organisiert haben, zeugen die Plakate von mehr als Arbeiterzorn. Slogans wie We Are the 99,9%, Occupy Nigeria und Don’t Remove Subsidy – Remove Corruption! zeugen von etwas Neuem in diesem Land, das seit dem Biafrakrieg von ethnischen und religiösen Krisen geschüttelt wird. Zu Beginn des Occupy Nigeria-Streiks umringten in Minna in Zentralnigeria Muslime eine Kirche, damit die Christen ungestört beten konnten. In Kano – Hochburg der Scharia im Norden des Landes - bildeten Christen einen schützenden Kreis um betende Muslime. Die Bürger Nigerias haben schon lange genug von den Krisen, die ihrem Land international einen schlechten Ruf verleihen, denn sie wissen, dass die reiche Elite einen Nutzen aus dem Status Quo zieht. Der subventionierte Sprit war die letzte Bastion der „gefühlten Menschenrechte“ in Nigeria, wo täglich Erdöl im Wert von 170 Millionen Dollar verkauft wird, während die meisten Menschen mit weniger als zwei Euro auskommen müssen.

Die ganz zynischen Nigerianer hatten sich schon ausgerechnet, dass der Subventionsstopp eine gerissene Maßnahme der Regierung sei, um von den Sicherheitsproblemen mit Boko Haram abzulenken. Aber diese Art von Zynismus ist wohl eher ein Zeichen der Hilflosigkeit, mit der Bürger und auch Regierung dem Terror begegnen. Boko Haram ist nicht neu, die radikale islamistische Gruppe soll seit circa 2007 Trainingscamps im Norden des Landes unterhalten haben. Die Regierung und die Sicherheitskräfte tun sich schwer, zu verstehen, dass man Terror nicht nur mit harter Hand bekämpft. Die Militäraktion gegen Boko Haram 2009 tötete Hunderte von Mitgliedern und ihren Anführer Mohammed Yusuf, woraufhin die Gruppe sich radikalisierte und zu Bombenangriffen überging. Im Zuge dieser Radikalisierung scheint sich die Gruppe gespalten zu haben, was es der Regierung erschwert, mit Boko Haram zu verhandeln.

Vergeltungsschläge könnten aktuelle Konflikte eskalieren lassen

Was im Moment am meisten beunruhigt, ist die Reaktion von ethnisch geprägten Milizen wie dem Odua People’s Congress und der Biafra-Bewegung MASSOB (Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra). Sie wollen Boko Haram Gleiches mit Gleichem vergelten: Wer Christen ein Ultimatum stelle oder verlange, den Norden zu verlassen oder man werde sie umbringen, der müsse damit rechnen, dass Menschen aus dem Norden Nigerias auch im Süden angegriffen würden. Der christliche Dachverband CAN (Christian Association of Nigeria) rief Christen zur Selbstverteidigung auf. Vergeltung aus ethnischen und religiösen Motiven hat das Potential, die aktuellen Konflikte, die im Moment immerhin noch lokalisierbar sind, zu einer landesweiten Gewaltwelle anschwellen zu lassen, die nur mit militärischer Gewalt zu bremsen wäre. Doch damit wären die graduellen Demokratiegewinne, die seit dem Fall der Militärdiktatur 1999 errungen worden sind, zunichte gemacht.

Die Regierung müsste in dieser Situation mehr Profil und Strategie zeigen, was dem Präsidenten anscheinend schwer fällt. Nach den Terroranschlägen zu Weihnachten beteuerte Goodluck Jonathan vor den Medien, dass er annehme, Unterstützer von Boko Haram würden in allen Bereichen des Regierungsapparates operieren. Oppositionspolitiker Malam El Rufai beschrieb dies als eine „Pleite-Erklärung“ der Regierung.

Sowohl das sozial-verbindende Potential der Occupy Nigeria-Bewegung als auch der wachsende Terror von Boko Haram zeigen deutlich, dass Nigeria Veränderungen durchlebt, für die es keine gängigen Lösungsansätze gibt. Die Regierung wirkt schwach, auch weil sie keine neuen Konzepte hervorbringt und jedes Ministerium für sich selbst zu agieren scheint. Es fehlt an einem koordinierten, nationalen Ansatz für eine Lösung, die die Jugendarbeitslosigkeit adressiert, Zugang zu Wohlstand schafft, interne Migration stemmt und Korruption bekämpft.

 

Christine K.

Christine K. ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Nigeria.