Fremdenfeindliche Übergriffe in Südafrika: kein unbekanntes Phänomen

 

Die anhaltenden Attacken auf Ausländer in mehreren Townships rund um Pretoria und Johannesburg sowie in der Johannesburger Innenstadt haben die weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit in Südafrika – insbesondere gegenüber Migranten aus anderen afrikanischen Ländern – mit Macht ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Ausländerfeindliche Übergriffe sind in Südafrika jedoch kein neues Phänomen. Bereits Mitte der 1990er Jahre war es in verschiedenen Landesteilen zu schweren Angriffen auf Ausländer gekommen, die sich im Kern nicht wesentlich von den aktuellen Übergriffen unterschieden. Über Jahre hinweg wurden immer wieder ausländerfeindliche Angriffe berichtet, speziell in den beiden Provinzen ‚Eastern Cape’ und ‚Western Cape’ (siehe Chronologie am Ende des Artikels).

Ausbreitung und Intensität der aktuellen Übergriffe in der Provinz Gauteng sind jedoch neu. Noch ist nicht mit Gewissheit zu beurteilen, warum der Ausbruch der Gewalt sich gerade zum aktuellen Zeitpunkt mit dieser neuen Intensität vollzieht. In den südafrikanischen Medien und auch von Seiten der Provinzregierung in Gauteng wurden mögliche politische Motive hinter den Angriffen vermutet, diese Anschuldigungen konnten jedoch bisher nicht konkretisiert bzw. bewiesen werden. 

Ausländerfeindliche Übergriffe in Südafrika standen bereits 1998 im Blickpunkt der Öffentlichkeit, als die ‘South African Human Rights Commission’ (SAHRC) und die ‘United Nations High Commission for Refugees’ (UNHCR) nach einer Konferenz ein gemeinsames Statement verabschiedeten, in dem es heißt:

  • Niemandem können seine/ihre fundamentalen Rechte verweigert werden, ungeachtet dessen, ob er/sie sich legale oder illegal im Land aufhält. Niemand darf einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt werden.

     
  • Die Tatsache, dass manche Ausländer in diesem Land über keinen legalen Status verfügen, darf kein Grund für Ausbeutung, Gewalt, willkürliche oder unmenschliche Behandlung sein. Die Ausländer unter uns stehen unter dem Schutz unserer Gesetze und unserer Verfassung. 

     
  • Unsere Verfassung enthält die Aufgabe, eine Gesellschaft zu errichten, in der Menschenwürde, Gleichheit, die Verwirklichung der Menschenrechte und Freiheit anerkannte und unverzichtbare Werte sind. Unsere ‘Bill of Rights’ spricht jedem Menschen fundamentale Rechte zu. Dazu gehören das Recht auf Gleichheit, Menschenwürde, das Recht zu Leben, Freiheit und Sicherheit; ferner das Recht auf Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit.

     
  • Xenophobie ist eine Verletzung der Menschenrechte. Südafrika muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass irrationale Vorurteile und Feindseligkeit gegenüber Nicht-Südafrikanern unter keinen Umständen akzeptabel sind. Ausländerfeindlich motivierte Kriminalität ist in einer Demokratie nicht zu tolerieren.

Jenseits der konkreten Angriffe auf Ausländer gibt es weitere Indikatoren für eine latente Fremdenfeindlichkeit in der südafrikanischen Gesellschaft, die auf der Konferenz diskutiert wurden. Das ‚Southern African Migration Project’ (SAMP) führte 1997 ein Umfrage durch, in der  25% der befragten Südafrikaner sich dafür aussprachen, jegliche Einwanderung gesetzlich zu untersagen. 22% sprachen sich dafür aus, dass die südafrikanische Regierung alle bereits im Lande befindlichen Ausländer ausweisen sollte. Fast die Hälfte der Befragten (45%) bejaten strikte Bestimmungen für Migranten, und 17% wollten die Einwanderungspolitik an die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen verknüpfen. In derselben Umfrage vertraten 61% die Auffassung, Migranten würden mit Südafrikanern um Ressourcen konkurrieren. 

Die Ergebnisse der Studie deuten insgesamt auf einen sehr hohen Grad an Fremdenfeindlichkeit bzw. ausgeprägte Ressentiments gegenüber Migranten hin. Fast zehn Jahre später (2006) wurde diese latente Xenophobie in einer ähnlichen Studie bestätigt, die belegte, dass Ausländer von Südafrikanern weiterhin als Bedrohung für die Wirtschaft und die Sozialsysteme angesehen werden.

In der 2006er Studie vertraten 2/3 der Befragten die Auffassung, Ausländer verbrauchten Ressourcen wie Wasser, Strom und Gesundheitsdienstleistungen, die eigentlich für Südafrikaner gedacht seien. Ebenfalls 2/3 waren davon überzeugt, Ausländer seien kriminell, und etwa die Hälfte (49%) glaubte, Ausländer brächten Krankheiten wie HIV nach Südafrika. Die bereits 1997 festgestellte negative Bewertung von Ausländern durch die Befragten konnte 2006 insgesamt bestätigt werden. Darüber hinaus schienen sich bestimmte negative Einstellungen eher noch verfestigt zu haben, darauf deutete z.B. der gestiegene Prozentsatz der Befragten hin, die die Konkurrenz mit Ausländern um begrenzte Ressourcen fürchten.  

 

In der Vergangenheit wurden ausländerfeindliche Übergriffe von offizieller Seite häufig heruntergespielt und als einzelne kriminelle Akte oder als Ressourcenkonflikte dargestellt.  

Auch wenn Kriminalität und knappe Ressourcen sicher eine Rolle spielen, zeigt sich die fremdenfeindliche und rassistische Natur der Übergriffe doch deutlich darin, dass sie sich hauptsächlich gegen schwarze Ausländer richten. 

Weiterhin wird von Offiziellen vorgebracht, es handele sich um Ausbrüche angestauter Frustration und Hoffnungslosigkeit, die sich in spontaner Gewalt entladen. Die aktuellen Übergriffe entstehen jedoch klar erkennbar nicht spontan. Im Gegenteil drängt sich der Eindruck auf, dass es sich um eine gut organisierte ‚Kampagne’ handelt, die sich gezielt gegen Ausländer richtet, die in Südafrikas ärmsten Gemeinden leben. Dabei werden die bekannten Argumente, dass Ausländer Einheimischen Arbeitsplätze und Ressourcen streitig machten und kriminell seien, instrumentalisiert um die latente Xenophobie auszunutzen und Menschen für gewalttätige Ausschreitungen zu mobilisieren.  

Die neu eingesetzte ‚Task Force’, die sich unter Beteiligung mehrerer Abteilungen der Regierung der Provinz Gauteng mit den Ursachen der Gewalt beschäftigen wird, ist vor diesem Hintergrund wichtig und notwendig. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Task Force auch untersucht, inwiefern organisierte Gruppen Ausbrüche von Gewalt bewusst planen und fördern.

Immerhin haben Politiker und Parteien in der vergangenen Woche in öffentlichen Statements die Gewalt verurteilt. Einen besonders positiven Effekt dürften dabei die Besuche einiger hoher Repräsentanten der nationalen Regierung und de Provinzregierung in einigen der betroffenen Townships gehabt haben, die als Zeichen der Solidarität mit den und Unterstützung für die Opfer verstanden werden.   



Allerdings zögern Teile der politischen Elite Südafrikas nach wie vor, die fremdenfeindliche Natur der Übergriffe öffentlich anzuerkennen. Abgesehen von der offensichtlichen Furcht davor, international als fremdenfeindliche Gesellschaft dazustehen, konterkarieren die derzeitigen Vorfälle auch und vor allem die Bemühungen Südafrikas, seine Integration auf dem afrikanischen Kontinent zu konsolidieren und sich als eine allgemein anerkannte und legitime Führungsmacht innerhalb Afrikas zu positionieren. So lange jedoch Politiker und Südafrikaner allgemein sich damit schwertun, Xenophobie als relevantes Problem in der südafrikanischen Gesellschaft anzuerkennen, wird es schwierig ausreichend politischen Willen und (finanzielle) Ressourcen zur Entwicklung und Umsetzung von Gegenstrategien zu mobilisieren.   

In Südafrika bestehen derzeit berechtigte Befürchtungen die Gewalt könnte sich auf bisher nicht betroffene Teile Gautengs und auf weitere Provinzen ausdehnen; und es gibt bereits Berichte über erste Ausschreitungen u. a. in Durban und Kapstadt. Es ist jedoch ein positives Zeichen, dass die südafrikanischen Behörden mittlerweile die Bedrohung ernst nehmen und präventive Maßnahmen ergriffen haben um die weitere Ausbreitung der Gewalt zu verhindern.

Noch positiver ist die Mobilisierung der Zivilgesellschaft, die in diesen Tagen stattfindet: Südafrikaner haben begonnen in Reaktion auf die fremdenfeindlichen Attacken Gegendemonstrationen, Nachtwachen und Unterstützung für die Opfer zu organisieren. 

 

Die momentane Welle der Gewalt muss unter allen Umständen gestoppt werden. Dabei ist es besonders entscheidend das Übergreifen der Gewalt auf andere Landesteile zu verhindern. Dazu bedarf es eines Dialoges zwischen Regierung, Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen um schnell angemessene Strategien zu entwickeln.

Langfristig gedacht sollte zur Vermeidung zukünftiger Ausbrüche die südafrikanische Einwanderungs- und Ausländerpolitik grundlegend überdacht werden. Der Fokus muss dabei zum einen auf der Betonung der Rechte von Ausländern liegen. Zum anderen müssen Strategien entwickelt werden, um Migration als Chance für wirtschaftliches Wachstum und  Entwicklung im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Dazu können Bildungsmaßnahmen wie Menschenrechtstraining und Anti-Xenophobie-Training beitragen – insbesondere in Gemeinden, in denen Ausbrüche von Gewalt zu befürchten sind.



Der Autor Vincent Williams ist zurzeit einer der meist zitierten Experten zu dem Thema in Südafrika. Er arbeitet für SAMP (Southern African Migration Project), das vom Regionalbüro der Heinrich Böll Stiftung in Kapstadt unterstützt wird.

 
 

1994

* Die Inkatha Freeedom Party (IFP), deren Anhaenger hauptsaechlich zur ethnischen Gruppe der Zulu gehoeren, droht mit ‚physischen Maßnahmen’, sollte die Regierung sich nicht der Problematik nicht erfasster Migranten annehmen.

* Der IFP-Anführer und Innenminister Mangosutho Buthelezi erklärt in seiner ersten Rede vor dem Parlament: ‚Wenn wir als Südafrikaner mit Millionen Fremden, die nach Südafrika strömen, um knapper werdende Ressourcen konkurrieren, dann können wir uns von unserem Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm verabschieden.’

* Im Dezember versuchen suedafrikanische Gangs im Township Alexandra (Johannesburg), von ihnen als ‚illegal’ eingeschaetzte Personen zu vertreiben. Sie beschuldigen diese, für steigende Kriminalität, sexuelle Übergriffe und Arbeitslosigkeit verantwortlich zu sein. Die mehrere Wochen andauernde Kampagne ist unter dem Namen ‚Buyelekhaya’ (‚geht zurück nach Hause’) bekannt.

1995

* In einem Bericht der Südafrikanischen Bischofskonferenz heisst es: ‚Es besteht kein Zweifel, dass Fremdenfeindlichkeit in unserem Land  weit verbreitet ist… Eines der Hauptprobleme ist, dass eine Vielzahl von Menschen unter dem Namen ‚illegale Immigranten’ zusammengefasst wurden. DieDämonisierung von Immigranten verstaerkt das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit.’



1997

* Verteidigungsminister Joe Modise verknüpft in einem Interview inoffizielle Migration mit steigender Kriminalität.

* In einer Rede an das Parlament behauptet Innenminister Buthelezi, dass ‚illegale Fremde’ die südafrikanischen Steuerzahler jedes Jahr ‚Milliarden Rand’ kosten.

* Eine gemeinsame Studie des ‚Human Sciences Research Council’ und des ‚Institute for Security Studies’ ergibt, dass 65% der Südafrikaner die Abschiebung von Migranten befürworten. Weiße Südafrikaner lehnen Migranten am staerksten ab (sie druecken zu 93% eine negative Haltung gegenueber Auslaendern aus).      

* Strassenhändler (‚hawker’) im Zentrum Johannesburgs greifen ihre ausländischen Kollegen an. Der Vorsitzende des ‚Inner Johannesburg Hawkers Committee’ wird mit folgenden Worten zitiert: ‚Wir sind bereit sie aus der Stadt zu verjagen, komme was wolle. Wir sind nicht bereit, unserer Regierung wegen dieser Blutsauger eine vermuellte Stadt zu hinterlassen.’   

* Eine Befragung von Migranten in Lesotho, Mosambik und Simbabwe des Southern African Migration Projects (SAMP) ergibt, dass sehr wenige sich in Südafrika niederlassen wollen. Eine Studie unter zugewanderten Unternehmern in Johannesburg kommt zu dem Ergebnis, dass diese Straßenhändler durchschnittlich 3 Arbeitsplätze pro Unternehmen schaffen. 

1998

 * In einem Zug zwischen Pretoria und Johannesburg kommen drei nicht-Suedafrikaner im Zuge eines  fremdenfeindlichen Übergriffs ums Leben.

* Im Dezember wird die ‘Roll Back Xenophobia’ Kampagne von der ‚South African Human Rights Commission’ (SAHRC), dem ‚National Consortium on Refugee Affairs’ und dem ‚United Nations High Commissioner for Refugees’ (UNHCR) ins Leben gerufen.

* Das Innenministerium berichtet, dass Mosambikaner am haeufigsten aus Suedafrika abgeschoben werden (141,506), gefolgt von Simbabwern (28, 548).

1999

* Ein Bericht der SAHRC merkt an, dass Fremdenfeindlichkeit innerhalb der Polizei sich auf Polizeimaßnahmen gegen Migranten auswirkt. Personen werden festgehalten, weil sie den Polizisten ‚zu schwarz’ erscheinen oder ‚wie ein schwarzer Ausländer’ laufen. Außerdem vernichtet  die Polizei regelmäßig Papiere von schwarzen Auslaendern.

2000

* Der sudanesische Flüchtling James Diop wird schwer verletzt, als er in Pretoria von einer Gruppe bewaffneter Männer aus einem Zug gestoßen wird. Der Kenianer Roy Ndeti und sein Mitbewohner werden in ihrem Haus erschossen. Bei beiden Vorfällen wird ein fremdenfeindlicher Hintergrund vermutet.

* Während der Operation ‚Crackdown’, einer gemeinsamen Durchsuchungsaktion der Polizei und der Armee, werden über 7.000 Menschen festgenommen, weil sie verdächtigt werden illegale Immigranten zu sein. Hingegen werden nur 14 Menschen wegen schwerer Verbrechen festgenommen.

* Ein Bericht der SAHRC über das Lindela Abschiebungszentrum listet eine Reihe von Misshandlungen auf. Dazu gehoeren Misshandlungen und andere Verletzung der Menschenrechte. Der Report hebt hervor, dass 20% der Insassen darauf bestehen, dass sie sich legal in Suedafrika aufhalten.

2001

* Der Volkszaehlung 2001 zufolge sind unter der 45 Millionen Einwohner zählenden Bevölkerung von Südafrika lediglich etwa eine Million Ausländer legal wohnhaft in Südafrika. Das Innenministerium schätzt allerdings, dass sich mehr als sieben Millionen nicht erfasste Migranten im Land befinden.

2004

* Nach  Prügeleien und dem Tod von Insassen brechen in Lindela Proteste aus. Gleichzeitig finden Anhörungen der SAHRC und des Ausschusses für Außenpolitik zu Fremdenfeindlichkeit statt.

2006

* Die Gemeinschaft der Somalier in Kapstadt berichtet von 40 somalischen Händlern, die zwischen August und September gezielten Tötungen zum Opfer gefallen sind.

* Verkaufsstaende von Somaliern in der informellen Siedlung Diepsloot (außerhalb Johannesburgs) werden wiederholt in Brand gesteckt.

2007

* Im März äußert der UNHCR seine Besorgnis über die Zunahme fremdenfeindlicher Übergriffe auf Somalier. Die Somalier behaupten, dass in den vergangenen zehn Jahren 400 Somalier ermordet worden sind.

* Im Mai werden über 20 Menschen verhaftet, nachdem im Township von Khutsong (ca. 50 km südwestlich von Johannesburg) bei Protesten gegen die Regierung Läden von Somaliern und anderen Auslaendern angezuendet werden.  

* Der ‚International Organisation of Migration’ zufolge haben fast 180.000 aus Südafrika abgeschobene Simbabwer das Aufnahmezentrum an der Grenze in Beitbridge passiert, seit es im Mai 2006 eroeffnet wurde.

2008

* Im März verurteilen Menschenrechtsorganisationen eine Welle von fremdenfeindlichen Angriffen um Pretoria, bei der mindestens vier Menschen sterben und Hunderte obdachlos werden.

 

Quellen u.a.: Human Rights Watch, SAMP, SAHRC, CSVR, UN IRIN.