UN-Reform und kollektive Sicherheit

Der Bericht des 'UN High-level Panel on Threats, Challenges and Change' vom Dezember 2004 und die Empfehlungen des UN-Generalsekretärs vom März 2005

7. März 2008
Von Bardo Fassbender, Institut für Völker- und Europarecht der Humboldt-Universität zu Berlin, April 2005

Von Bardo Fassbender, Institut für Völker- und Europarecht der Humboldt-Universität zu Berlin, April 2005

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Im April 2005 - kurz nach erstem Erscheinen des Global Issue Paper Nr. 17 - hat Kofi Annan seinen Reformbericht um eine Explanatory Note hinsichtlich der Empfehlung, eine Peacebuilding-Commission zu schaffen, ergänzt (s. These Nr. 8).

Der UN-Generalsekretär reagierte damit auf die Kritik der G77-Länder an einer Peacebuilding-Commission wie sie vom High-level Panel vorgeschlagen worden war. Nach diesem von der internationalen Gemeinschaft positiv aufgenommenen Vorschlag von Kofi Annan soll die Kommission – entgegen der Vorschläge des High-level Panel - paritätisch aus Mitgliedern des Sicherheitsrats und des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) zusammengesetzt sein, um so ein Gleichgewicht zwischen den UN-Hauptorganen herzustellen. Zudem soll sie sich  auf die Friedenskonsolidierung nach einem Konflikt beschränken und keine Frühwarnung übernehmen.

Zusammenfassung des Arbeitspapiers in Thesen:
(hier gekürzt)

  1. Der Bericht des High Level Panel vom Dezember 20041 verdankt seine überragende Bedeutung im Vergleich zu früheren UN-Reformberichten und -vorschlägen mehreren Umständen: Er verknüpft in überzeugender Weise die inhaltlichen und die institutionellen Fragen einer grundlegenden UN-Reform im Bereich der Friedenssicherung. Er verbindet Perspektiven und Ziele des „Nordens“ und des „Südens“ der internationalen Gemeinschaft. Er bemüht sich um eine Berücksichtigung der Positionen der gegenwärtigen US-amerikanischen Administration, ohne diesen aber in zentralen Fragen nachzugeben. Er zieht einerseits Konsequenzen aus der dreijährigen „post-September 11“-Phase der Weltpolitik und steht andererseits am Ende einer mehr als zehnjährigen und inhaltlich weitgehend erschöpften Diskussion über eine institutionelle Reform der Vereinten Nationen und insbesondere des Sicherheitsrates.
  2. In weiten Zügen reflektiert der Bericht Einschätzungen und Erkenntnisse, die heute weltweit in politischen und wissenschaftlichen Kreisen geteilt werden. So herrscht Einverständnis über die grundlegende Unterschiedlichkeit der internationalen „Architektur“ zur Zeit der Gründung der UN im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges einerseits sowie zur gegenwärtigen Epoche andererseits. [...]
  3. Demgegenüber herrscht weit weniger Einigkeit über die sich aus diesem Befund und diesen grundsätzlichen Annahmen ergebenden praktischen Konsequenzen im Hinblick auf neue Regeln der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts sowie institutionelle Reformen der Vereinten Nationen. [...]
  4. Prämisse des Berichts ist die Überzeugung seiner Autorinnen und Autoren, die Vereinten Nationen seien zur Bewältigung der wesentlichen weltpolitischen Probleme [...] nicht nur grundsätzlich in der Lage, sondern sogar unverzichtbar, und einzelne Unzulänglichkeiten der Organisation könnten durch Reformen behoben werden. [...]
  5. Die Mitglieder des Panel – und in vorsichtigerer Weise auch der UN-Generalsekretär – unterstützen die heute fast allgemein anerkannte völkerrechtliche Ansicht, dass der Sicherheitsrat sowohl zur Abwehr äußerer Bedrohungen der Sicherheit eines Staates [...] wie zur Verhütung und Beendigung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Inneren eines Staates umfassende Kompetenzen besitzt und insbesondere politische, wirtschaftliche und militärische Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta ergreifen kann.[...]
  6. In der Frage der Zulässigkeit militärischer Gewaltanwendung durch einzelne Staaten nimmt der Bericht dagegen eine konservative Haltung ein. Er hält an den Normen der UN-Charta fest, wie sie im Jahre 1945 bestimmt worden sind, und bekräftigt die zentrale Rolle des Sicherheitsrates. [...]
  7. Institutionell setzt sich der Bericht im wesentlichen für eine Stärkung des Sicherheitsrates ein, dem in allen Phasen der internationalen Friedenssicherung [...] eine zentrale Rolle zugewiesen wird.[...]
  8. Der Vorschlag des Panel, einer neuen Peacebuilding Commission als Unterorgan des Sicherheitsrates weite Kompetenzen zur vorbeugenden Überwachung und Kontrolle von Konfliktherden zuzuweisen, dürfte nicht mehrheitsfähig sein. [...]
  9. In der Frage der Sicherheitsratsreform (Erweiterung um zusätzliche ständige und/oder nichtständige Sitze, Vetorecht) ist dem Bericht kein Durchbruch gelungen. Er findet sich mit der dominanten Rolle der gegenwärtigen fünf ständigen Ratsmitglieder als einer im Reformweg unveränderbaren realpolitischen Tatsache ab.[...]
  10. Für den Erfolg einer UN-Reform ist die Haltung der amerikanischen Regierung von ausschlaggebender Bedeutung. Die Prämisse des Panel-Berichts, die Sicherheitsprobleme der Erde, insbesondere aber die des eigenen Landes ließen sich durch Instrumente eines „effektiven Multilateralismus“ bewältigen, wird von der Bush-Administration nicht geteilt. [...]
  11. Nur wenige Vorschläge des Berichts beziehen sich auf förmliche Änderungen der UN-Charta, deren erste Voraussetzung entsprechende Resolutionen der UN-Generalversammlung wären, die im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden könnten. [...]
  12. Ganz überwiegend sind die vorgeschlagenen Reformen aber Prozesse, die teilweise mit Absichtserklärungen der UN-Organe eingeleitet werden sollen. Über den Erfolg dieser prozesshaften Reformen wird erst das politische Geschehen der kommenden Jahre entscheiden. [...]
  13. Es ist zu erwarten, dass sich die politische Diskussion der kommenden Monate auf die Frage der Sicherheitsratsreform verengen wird. [...]
  14. Die Auseinandersetzungen um die Ratsreform, mit zu erwartenden Kampfabstimmungen in der Generalversammlung und einer schwierigen und wahrscheinlich langwierigen Ratifikationsphase, könnten die Vereinten Nationen in eine ernsthafte Krise führen. Insbesondere könnte die Legitimität des Sicherheitsrates (weiter) geschwächt werden. [...]