Podiumsdiskussion: Jenseits der Krise

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Können und sollten wir schon über eine Zeit jenseits der Wirtschafts- und Finanz-Krise reden, obwohl diese Krise nach wie vor viele Länder Europas in Atem hält und Regierungen wie EU-Institutionen  Kopfzerbrechen bereitet? Beatrice Weder di Mauro, Professorin für Volkswirtschaft in Mainz und bis 2012 „Wirtschaftsweise“, beantwortete diese Frage beim Auftakt der Diskussionsreihe „Jenseits der Krise“ mit einem klaren Ja. Sie kritisierte, dass in Deutschland die Diskussion über die zukünftige Verfasstheit der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) nach wie vor nicht richtig in Gang gekommen sei, obwohl der Europäische Rat und die Europäische Kommission vor einem halben Jahr Blaupausen dazu veröffentlich haben. Dieser Verständigungsprozess sei deshalb so wichtig, weil der Rest Europas auf eine Positionierung Deutschlands warte. Allerdings, räumte Weder di Mauro ein, sei das auch alles andere als einfach, da die Weiterentwicklung der WWU Reformen bei Wirtschafts-, Haushalts-, und Finanzpolitik gleichermaßen erfordert, und über allem schwebt die Frage nach der demokratischen Zusammenarbeit in der EU.

Jürgen Trittin als zweiter Gast des Abends ließ dennoch keinen Zweifel daran, dass mehr Europa die einzig mögliche Antwort im Umgang mit den derzeitigen Problemen sei. Zum einen, hier stimmt Trittin mit der Einschätzung der allermeisten Experten überein, konnte die EU aufgrund institutioneller Schwächen viel deutlich schlechter mit den durch die globale Finanzkrise hervorgerufenen Probleme umgehen als etwa die USA – diese Schwächen sind bis heute nicht wirklich behoben. Zum anderen, und hier richtete Trittin den Blick auch auf die Zeit jenseits der Krise, sei ein Mehr an Europa auch die einzige Chance, aktiv auf die Herausforderungen der Globalisierung zu reagieren und Regulierung auf den Weg zu bringen.

Die Krise des Euros hat also eine entscheidende Schwäche der EU sichtbar gemacht, die fehlende Koordination in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das sieht die EU-Kommission in der von Weder di Mauro zitierten Blaupause genau so und schlägt deshalb langfristig eine voll integrierte Banken-, Wirtschafts- und Fiskalunion vor.

Interessant war, wie die beiden Diskutant/innen diese Langfristperspektive konkretisierten. Weder di Mauro skizzierte das vom Sachverständigenrat der Bundesregierung genauso wie von den Grünen favorisierte Modell eines Schuldentilgungspaktes in Verknüpfung mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Modell für eine Fiskalunion. Der Schuldentilgungspakt könnte den Mitgliedsstaaten helfen, die mit dem Fiskalpakt eingegangenen Verpflichtungen zur Schuldenreduktion zu finanzieren. Durch die Anbindung an den ESM ließe sich zudem ein glaubhaftes Staateninsolvenzrecht einführen: Staaten bekämen ab einer Verschuldungsquote von 60 % finanzielle Hilfen aus dem ESM nur noch dann, wenn sie mit ihren Gläubigern einen Schuldenschnitt aushandeln. Worum es dabei eigentlich geht ist von vorneherein ein starkes Interesse für Staaten als auch Investoren zu erzeugen, die Staatsverschuldung gar nicht erst auf dieses Niveau steigen zu lassen. Das bedeutet aber auch, diesen Wermutstropfen ließ  Weder di Mauro nicht unerwähnt, dass eine Beteiligung privater Gläubiger erst dann möglich sein wird wenn die Staatsschulden einmal unter 60 Prozent gedrückt sind – den Weg aus der Schuldenkrise müssten die Staaten also erst einmal alleine beschreiten.

Trittin lobte dass Instrumente wie „Six Pack“ und „Two Pack“ im Umgang mit Haushaltsfinanzierung und Schulden wichtige Reformen in der EU auf den Weg gebracht hätten, etwa das Ziel, sowohl übermäßige Defizite als auch große Überschüsse zu reduzieren. Eine gemeinsame Haushaltspolitik sei aber zum Scheitern verurteilt, solange man Haushalt lediglich unter dem Aspekt der Ausgabenbegrenzung betrachte – diesen Fehler hätten auch die Grünen lange gemacht.

Den Weg hin zu mehr gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzpolitik könne die EU also nicht ohne ernsthafte Schritte zu gemeinsamen Sozialstandards und harmonisierten Steuersätzen beschreiten. Damit ließen sich Steuerschlupflöcher schließen, und durch eine Harmonisierung der Sozialpolitik könnten die Menschen Europa wieder als Antwort anstatt als „kalten Vollstrecker“ der Globalisierung wahrnehmen.

Zur Ausgabenseite der Haushaltspolitik gehören auch gemeinsame Investitionsprojekte in der EU. Auch hier könnte es wieder Differenzen geben zwischen Projekten die für das kurzfristige Krisenmanagement sinnvoll sind und Projekten die am effizientesten zur langfristigen Entwicklung der EU beitragen, wie Beatrice Weder di Mauro mit Blick auf Infrastrukturprojekte anmerkte. Unabhängig von solchen Zielkonflikten sprach sich Jürgen Trittin klar dafür aus die Eigenmittel der EU schrittweise zu vergrößern, und die Prioritäten bei EU-Investitionen deutlich stärker als bisher auf die Wettbewerbsfähigkeit und ökonomische Entwicklung der EU als Ganzes zu legen.

 

Diese Veranstaltung fand statt mit Unterstützung der Europäischen Union - Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger": Strukturförderung für zivilgesellschaftliche Organisationen auf europäischer Ebene.

 

 

 

Hinweis: Die Reihe wird ab dem Herbst 2013 fortgeführt.
Fachkontakt: Simon Wolf, Referent Wirtschaft und Finanzen, wolf@boell.de