Clintons Balkanreise: Weitere verschenkte Chance in Bosnien

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Hillary Clinton, US-amerikanische Politikerin der Demokratischen Partei und seit Januar 2009 Außenministerin der Vereinigten Staaten
Zum Auftakt ihrer Balkanreise, die in Belgrad, Priština, Zagreb und Tirana fortgesetzt wurde, war US-Außenministerin Hillary Clinton am Montagabend, den 29. Oktober 2012, in Sarajevo eingetroffen. Dabei handelt es sich um ihren letzten Amtsbesuch in der Region, da sie bereits angekündigt hat, ihr Mandat Anfang 2013 ungeachtet des Ausgangs der US-Präsidentschaftswahl niederzulegen. EU-Außenvertreterin Catherine Ashton hat sie auf den ersten drei Etappen ihrer Reise begleitet.

Angesichts der andauernden negativen Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina war dieser Reiseantritt eine durchaus sinnvolle Wahl. Während sich die Aufmerksamkeit der westlichen Politik in der Region schwerpunktmäßig auf die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Serbien und Kosovo richtete, hat sich die Lage in Bosnien gefährlich zugespitzt.

Die Wirkung, die der gemeinsame Besuch mit EU-Außenvertreterin Catherine Ashton auf den Entscheidungsprozess der politischen Klasse in BiH ausgelöst hat, wurde durch die am Mittwoch – also einen Tag nach Clintons und Ashtons Abreise – angekündigte neue Einigung zwischen der Partei Unabhängiger Sozialdemokraten (SNSD) unter der Leitung des Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, und der Sozialdemokratischen Partei (SDP) unter BiHs Außenminister Zlatko Lagumdžija lebhaft illustriert. Obwohl die vollständige und endgültige Liste aller im Abkommen enthaltenen Punkte noch veröffentlicht werden muss, stellt das bereits vorab öffentlich Verkündete einen direkten Angriff auf Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, finanzielle Tragfähigkeit und demokratische Praxis im Allgemeinen dar. Mit anderen Worten: Wenn das, was  über dieses Abkommen bereits bekannt geworden ist, von den vorbenannten Parteien und jenen, die mit ihnen möglicherweise eine Regierungskoalition bilden (die SBB, HDZ BiH, HDZ 1990, und SDS), in die Tat umgesetzt wird, so wird das alle seit 1996 begonnenen Bemühungen, Bosnien und Herzegowina in einen funktionsfähigen und demokratischen Staat umzugestalten, noch stärker untergraben. Das Abkommen wurde wahrscheinlich bei einem Treffen zwischen Dodik und Lagumdžija am Tag der Ankunft von Clinton und Ashton geschlossen. Die einzige Diskretion seitens der Politiker bestand darin, es nach der Abreise der Würdenträger nach Belgrad zu verkünden. Der Inhalt des Abkommens zeigt, mit welch tiefer Verachtung die internationale Gemeinschaft als Ganzes von der politischen Elite des Landes behandelt wird, die (im Sinne der EU-Erweiterungsphilosophie) unsere "Partner" im Reformprozess sind. Sie sind eindeutig der Auffassung, dass sie nichts zu befürchten haben, weder vom Westen noch von ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern.

Für Clinton und Ashton wäre der Besuch eine gute Gelegenheit gewesen, um der politischen Elite Bosniens neue Anhaltspunkte zu geben und sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass Washington die missliche Lage sowie die Ursachen dafür erkennt und seinen rechtlichen Verpflichtungen zur Verhinderung eines weiter fortschreitenden Verfalls des Landes nachkommt. Dieser ist von der Umgehung oder Aushebelung staatlicher Institutionen geprägt, bis hin zur regelmäßigen Infragestellung der territorialen Integrität durch RS Präsidenten Milorad Dodik.

Lobenswerterweise hat Außenministerin Clinton einige wichtige Punkte während einer Pressekonferenz nach ihrem Treffen mit den drei Mitgliedern des Staatspräsidiums  angesprochen. Internationalen Quellen zufolge habe sie privat schärfere Töne sowohl gegenüber BiH als auch gegenüber der EU angeschlagen. Das, was jedoch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist, war um einiges wichtiger. Während sie die Infragestellung der Souveränität und territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas als "inakzeptabel" bezeichnete, hat Clinton keinerlei Konsequenzen im Falle der Fortsetzung derartiger Aussagen bzw. gewaltsamer Unterdrückung von Unabhängigkeitsbestrebungen seitens der RS angekündigt. Zudem implizierte ihre Aussage, dass das Problem lediglich rhetorischer Natur und nicht auf über sechs Jahre andauernde Bestrebungen,  staatliche Einrichtungen zu unterlaufen, zurückzuführen sei. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ihre Aussagen das Verhalten der politischen Elite beeinflussen werden, am allerwenigsten das von Präsident Dodik.

Clintons Äußerung über die Wichtigkeit der Einhaltung und Aufrechterhaltung des Dayton-Vertrags war lediglich ein Mahnruf – sowie eine implizite Entlastung der US-Regierung. Tatsache ist, dass die USA  verpflichtet sind, die Umsetzung des Friedenabkommens von Dayton mit den eigens dafür geschaffenen Instrumenten zu unterstützen: mit dem internationalen Hohen Repräsentanten und der internationalen Friedenstruppe gemäß Annex 1A des Dayton-Vertrags – eine Verantwortung, die die EU im Dezember 2004 übernommen hatte. Beide Instrumente sind sehenden Auges mangels westlicher Willenskraft – und die USA trifft dabei eine Mitschuld – außer Gebrauch gekommen. Darüber hinaus ließ Clinton in ihrer Stellungnahme eine Wirklichkeit außer Acht, die seinerzeit sehr offen vom US-Außenministerium und seinen EU-Partnern zum Ausdruck gebracht wurde: Der Dayton-Vertrag ist strukturell dysfunktional und kann daher nicht ohne grundlegende Änderungen an die NATO und die EU angepasst werden. Die Venedig-Kommission des Europarates stellte dies 2005 in ihrer Mitteilung eindeutig fest. 2006 legte sie mit dem sogenannten "April-Paket" den Grundstein für den letzten ernsthaften Versuch einer Verfassungsänderung. Das Ziel, neue staatliche Strukturen mit wirklichen Mechanismen für politische Verantwortung zu schaffen, scheint in der Schublade mit der Aufschrift "zu schwierig" in den Schreibtischen der verantwortlichen Bürokraten gelandet zu sein.

"Verfassungsreform" impliziert nun keine verbesserte Funktionalität und Rechenschaftspflicht mehr, sondern lediglich die Umsetzung des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Dezember 2009 erlassenen Urteils „Sejdić-Finci“. Dieses ordnet eine Verfassungsänderung an, bei der die gleichberechtigte Chance zur Kandidatur für ein öffentliches Amt gewährleistet wird. Die EU scheint so verzweifelt um positive Nachrichten zu ringen, dass ihr jedes politische Mittel zur Umsetzung des Urteils willkommen scheint, selbst wenn der Inhalt dem gerichtlichen Gedanken der gleichberechtigten politischen Teilhabe widerspricht. Derartige Maßnahmen ignorieren nicht nur die Machenschaften der etablierten politischen Elite in BiH gegen Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit, sondern fördern und begünstigen diese obendrein.

Die Teilnahme Catherine Ashtons an Clintons Abschiedsreise sollte transatlantische Gemeinsamkeiten demonstrieren sowie die Bereitschaft der EU, als außenpolitischer Akteur aufzutreten, hervorheben. Hinsichtlich des erklärten Ziels eines eventuellen EU- und NATO-Beitritts von BiH ist diese Gemeinsamkeit real. Doch in Bezug auf die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist, gibt es zahlreiche Meinungsunterschiede innerhalb der EU, ganz zu schweigen von den USA und anderen westlichen Mächten, wie der Türkei. Einheit einfach nur zu verkünden, führt zu nichts. Man spürt, wie viel Mühe aufgebracht wurde, um jedwede Dissonanz zwischen Clinton und Ashton zu vermeiden. Dreieinhalb Jahre zuvor hatten US-Vizepräsident Joe Biden und Ashtons Amtsvorgänger, Javier Solana, öffentlich zwei diametral unterschiedliche Lagebewertungen vorgetragen, die auf die Frage abzielten, ob sich BiH in die falsche (Biden) oder in die richtige (Solana) Richtung bewege. Diese unterschiedlichen Bewertungen wurden, obwohl noch vorhanden, dieses Mal ausgespart. Der Staatsbesuch stellte den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Washington und Brüssel zur Schau, wobei Brüssel das Destillat von 27  unterschiedlichen Politiken darstellt und folglich farblos ist. Es scheint, als wollten die USA einer führungslosen EU-Politik das „Ruder“ in Bosnien überlassen.

Während man weit davon entfernt zu sein scheint, BiH vor einem weiteren Verfall zu schützen, hat man – wie schon so oft auf dem Balkan – den Eindruck, als ob inhaltsloses hochrangiges Engagement die schlimmsten Absichten lokaler Politiker noch beflügeln würde. Nachdem diese vergeblich auf eine belastbare Warnung aus den USA, die die politische Glaubwürdigkeit der Vergangenheit ein wenig bewahrt hätte, gewartet haben, sind sie nun mit eigennützigen Plänen vorangeschritten, welche den Schaden am Staat und den Rechten seiner Bürger vergrößern.

Auch der zweite Staatsbesuch Clintons innerhalb von zwei Jahren ist ohne positives Ergebnis geblieben. Leider wird sich die Lage in BiH mit ziemlicher Sicherheit weiter verschlechtern, so dass es an Clintons Nachfolger sein wird, sich dieser Angelegenheit anzunehmen.