Angela Merkel und Serbien

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Sitz des serbischen Präsidenten, Belgrad

Der seit wenigen Monaten amtierende deutsche Botschafter in Serbien hat jüngst in einem Interview einer Belgrader Zeitung angedeutet, dass es doch – wenigstens langfristig - wünschenswert sei, wenn auch der Kosovo einen Sitz als Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen erhielte. Und er hat im kurzen Sturm der serbischen Entrüstung, den er damit auslöste, auf das deutsche Beispiel verwiesen: waren doch 1973 beide deutsche Staaten den Vereinten Nationen beigetreten, ohne dass dies eine völkerrechtliche Anerkennung der deutschen Teilung durch die Bundesrepublik impliziert hätte.

Ausgerechnet in Chile, wo Margot Honecker - ebenfalls in Folge von 1973er Ereignissen – noch immer freundschaftliches Asyl genießt, traf Angela Merkel dieser Tage den neuen serbischen Präsidenten Nikolić zu einem Gedankenaustausch. Ihr eineinhalb Jahre zurückliegendes Treffen mit dessen Vorgänger Boris Tadić war in Belgrad in einem diplomatischen Eklat geendet und beide Seiten zeigten danach deutliche Zeichen persönlicher Indigniertheit. Merkel hatte mit bis dahin ungekannter Klarheit und Härte den Standpunkt vertreten, dass die Unabhängigkeit des Kosovo eine vollendete Tatsache sei und alles serbische Hineinregieren in kosovarische Angelegenheiten durch die so genannten „parallelen Strukturen“ daher endlich zu beenden sei. Diese Haltung und die von ihrem Außenminister schon bei einem früheren Belgrad-Besuch gemachte Feststellung, dass die Staatsgrenzen auf dem Balkan „ein für alle Mal gezogen“ seien, sind die offensichtlich unverrückbaren Grundsäulen der deutschen Politik im Blick auf den West-Balkan, der auch sonst in Berlin und Brüssel wenig Anlass zur Freude gibt.

Obwohl der neue serbische Präsident aber an den Ursachen dieser unerfreulichen Verhältnisse in den 90er Jahren einen unvergleichlich größeren Anteil hatte als sein Vorgänger, und obwohl er ganz offensichtlich der Vorstellung anhängt, dass die Katastrophe der 90er Jahre wie ein unausweichliches, anonymes Schicksal über die Völker der Region gekommen sei, das alle in gleicher Weise und gleichem Maß in Schuld verstrickt hätte, verlief das Gespräch in Chile offensichtlich in grundsätzlichem Einvernehmen. Merkel, so ließ der Präsident verlauten, habe ihn als „verlässlichen Partner“ anerkannt und erkenne in ihm einen Politiker, „der nichts verspreche, was er nicht halten könne.“

Dabei ist Tomislav Nikolić der Autor einer Kosovo-Resolution, die erst vor wenigen Tagen vom serbischen Parlament verabschiedet wurde und in der unter Punkt 1.a geschrieben steht: „Die Republik Serbien, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, mit der Verfassung und dem Willen des Volkes, erkennt Kosovos einseitig erklärte Unabhängigkeit nicht an und wird sie niemals anerkennen.“ Des Weiteren spricht der Text ausschließlich von den „Interim-Institutionen der Selbstverwaltung in Prishtina“, wenn die Regierung des Kosovo gemeint ist.

Worauf also beruht jene Einvernehmlichkeit zwischen Angela Merkel und Tomislav Nikolić, welches Interesse haben sie beide gemeinsam, das so groß wäre, all die politischen Divergenzen über die Zukunft des West-Balkan hintenan zu stellen? Die Kanzlerin schwieg zu diesem Treffen; auf der Internet-Seite des Kanzleramtes heißt der erste Such-Vorschlag nach Eingabe von „Nik…“ auch weiterhin „Nikolaus“ und nicht „Nikolić“. Die Frage bleibt vorerst offen und sie paart sich mit einem weiteren, seltsamen Paradoxon:

Denn man kann sich – wie zuletzt in dem eingangs erwähnten Interview des deutschen Botschafters – des Eindrucks nicht erwehren, als würden viele Vertreter der CDU-geführten deutschen Regierung, wenn sie eine Reise gen Südosten unternehmen, irgendwo auf dem Weg zwischen Berlin und Belgrad oder Prishtina eine vollständige Metamorphose ins Sozialdemokratische durchlaufen, um schließlich – dort angekommen – die einstigen Errungenschaften von Willy Brandt und Egon Bahr allen Einheimischen als leuchtendes Beispiel vor Augen zu halten. Dabei war es doch die gleiche CDU (oder ist es nicht mehr die gleiche?), die dazumal die Essenz aller Errungenschaften der Entspannungspolitik sogar vor dem deutschen Verfassungsgericht zu verhindern versucht hatte.

Kann sich vielleicht diese Kanzlerin, der von den eigenen Leuten immer wieder der Verrat (oder moderner: der Ausverkauf) der konservativen Werte und die schleichende Sozialdemokratisierung der CDU vorgehalten werden, erst auf dem fernen Balkan zu ihrer wahren sozialdemokratischen Blüte aufschwingen? Dort, in jener südöstlichen Peripherie des Kontinents, die all den um konservative Werte besorgten Parteifreunden zu Hause keines prüfenden Blickes oder Gedankens wert erscheint?

Dabei sind die ständigen Hinweise auf die entspannende westdeutsche Nachgiebigkeit gegenüber Honecker und der DDR ja nicht nur als nachgeholte Aneignung des früher Verschmähten höchst fragwürdig, sie sind auch weitgehend falsch, zumindest aber falsch adressiert. Denn wenn es in jüngster deutscher Geschichte ein Phänomen gäbe, das dem serbischen „Problem Kosovo“ vergleichbar wäre, dann ist es ja nicht der Grundlagenvertrag samt all der übrigen Vereinbarungen mit der DDR, nicht die Frage der Anerkennung, dass es zwei deutsche Staaten gäbe, die dann vielleicht auch beide in der UN und in der Fußball-Fifa vertreten sein dürfen. Aus serbischer Sicht ist die deutsche Parallele doch viel eher in der verbindlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze zu sehen.

Die deutsche Regierung, im Verbund mit der EU (abzüglich fünf ihrer Mitglieder) erwartet ja von Serbien einen Verzicht auf territoriale Ansprüche (als Folge eines Krieges und einer Niederlage), und nicht nur die Anerkennung der Tatsache, dass es zwei serbische Staaten gebe (oder eineinhalb oder – die Republika Srpska hinzugenommen – einen ganzen und zwei halbe). Und weil sich das ganze diplomatische Ringen ja am Ende doch auf die Frage nach dem serbisch bewohnten Norden des Kosovo reduzieren wird, ließe sich die CDU ja fragen, was sie denn erst unternommen hätte, wenn es bei Willy Brandts und Egon Bahrs Politik damals um ein Posen oder Breslau mit vorwiegend deutscher Bevölkerung gegangen wäre?

Zugegeben, die Frage ist eine sehr rhetorische, weil in solchem Fall auch Willy Brandt keinen Verzichtsvertrag überhaupt nur ins Auge gefasst hätte. Aber umso mehr scheint die Forderung einer deutschen CDU-Regierung an Serbien heute absurd – gar nicht so sehr ihr Inhalt ist absurd, aber doch ihre Legitimierung mit dem leuchtenden deutschen Exempel, ohne dabei zu erwähnen, dass die eigene Parteien sich dieses Exempel ganz und gar nicht auf ihre Guthabenseite schreiben kann. Und wenn schließlich die Tradition des Konservativen, derart aus dem Inhalt der Politik verbannt, sich in einer autoritären Form der Kommunikation Geltung verschafft, dann konterkariert die falsche Form den berechtigten Inhalt.

Wie wär’s, einmal gegen den Strich zu phantasieren: in welch schönen Farben könnten wir uns einen Staatsbesuch der Kanzlerin in Belgrad ausmalen, bei dem sie ihren serbischen Gesprächspartnern unverblümt gesteht, wie sehr ihre eigene Partei zu Zeiten Willy Brandts in kaum heilbarer Verblendung befangen war. Eine Angela Merkel, die erklärt, dass sie und ihre Partei sich deswegen nur allzu leicht noch an jenes Denken in den eigenen Köpfen erinnern können, das sich heute durch die Windungen serbischer Gehirne wälzt: Verständnis für die Fixierung auf ein unzeitgemäßes politisches Weltbild, für das Festhalten an der Priorität des Territorialen um den Preis der inneren Entwicklung und des Brandt’schen Prinzips vom „Mehr Demokratie wagen“. Verständnis auch dafür, dass eine nationalkonservative Politik immer versuchen muss, Mehrheiten über das politische Pathos so genannter „nationaler Interessen“ zu mobilisieren, statt den Machtanspruch schlicht durch eine Politik mit dem Ziel besserer „Lebensqualität“ aller zu legitimieren – auch das ist ja so ein Begriff aus der Brandt’schen Epoche.

Einen Tag nach solchen Regierungs-Konsultationen könnte die Kanzlerin dann – sagen wir: bei einem Vortrag vor serbischen Studierenden im Audimax der Universität von Niš - auch gestehen, dass ihre Partei in den Jahrzehnten seitdem offensichtlich einen beachtenswerten Lernprozess durchlaufen musste, dem sich heute, wie es scheint, nur noch die Abgeordnete und Vertriebenen-Vorsitzende Erika Steinbach beharrlich verweigert. Im Grunde könnte Angela Merkel sich selbst aus diesem Narrativ der Parteiengeschichte auch gänzlich herausnehmen, denn in der Tat hat sie ja Brandts Entspannungspolitik von der anderen Seite der Grenze aus erleben und beurteilen können (oder korrekter: müssen). Und das machte ja schon einen Unterschied. Aber umso gelassener könnte sie diesen Lernprozess beschreiben, sie könnte ihn für serbische Köpfe nachvollziehbar machen. Und sie könnte dann die Frage stellen, was aus dem so von ihrer Partei in Deutschland Gelernten für Serbien abzuleiten wäre.

Dann aber, spätestens dann, würde jemand im Audimax der Universität in Niš sie mit jenem Satz konfrontieren, der zwei Jahre lang auf dem Balkan der meist zitierte Satz aus dem Munde irgendeines EU-Regierungschefs gewesen ist: nämlich, dass „der Multikulturalismus als Konzept gestorben ist“. Dies ist ein Satz von Angela Merkel, der an ihren Füßen hängt, wann immer sie sich mit dem Ahtisaari-Plan in der Aktentasche auf südosteuropäischem Boden bewegt.

Dass wir Deutschen den „Kranken Männern“ kurz vor dem Bosporus als therapeutisches Rezept verschreiben und vorschreiben, was wir für uns selbst zu Hause für tot erklärt haben, darin ließe sich in knapper Form das eine, das Berliner Grundproblem der politischen Kommunikation zwischen Serbien und Deutschland bzw. der EU beschreiben.

Das andere, das serbische Problem, zeigt sich in einem Mantra des erwähnten Präsidenten, der nicht müde wird zu wiederholen, dass „Europa“ es doch offen sagen soll, wenn es Serbien nicht mag. Dieser Satz, mit dem der serbische Präsident immer schon zur Hälfte im Schmollwinkel sitzt, macht aus Lady Ashton oder Frau Merkel zwei Stiefmütter aus Grimmschen Märchenwelten, die der serbischen Prinzessin nicht glauben wollen, dass sie auch noch einen Königvater im fernen Russland und sogar einen Prinzen im noch ferneren China in petto hätte.

Jetzt aber ist der Präsident erst einmal aus Südamerika zurückgekehrt und es scheint, als hätte er Serbien dort wieder gefunden, wo er einst Jugoslawien verlor: „Bei den Treffen mit vielen Staatschefs ist mir deutlich geworden, “ so sagt er der Presse zu Hause, „dass Serbien zu jener Stellung zurückkehrt, die es einst bei den Ländern der Dritten Welt hatte“. – Was für die einen Willy Brandt ist, das sind eben für die anderen Nehru und Nasser und Patrice Lumumba - und Marschall Tito mitten unter ihnen. Aber, wie Angela Merkel ihm angeblich attestierte: er wird nichts versprechen, was er nicht halten kann.