Einmarsch nach Georgien

Der Konflikt schwelt schon länger. Georgischer Scharfschütze in Süd-Ossetien, September 2004. Foto: Jonathan Alpeyrie
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12. August 2008
Von Iris Kempe
Von Iris Kempe
Eriwan, 11. August 2008

Seit Sonntag, den 10. August, hat sich die Lage in Georgien weiter zugespitzt. Bereits am frühen Sonntagmorgen waren in Tiflis Bombeneinschläge zu hören. Das Ziel der russischen Streitkräfte war ein georgischer Militärflughafen.

Die Nachrichtenlage ist genauso besorgniserregend wie undurchsichtig. In der Region mehren sich widersprüchliche Nachrichten. Als gesichert gilt, dass die militärischen Angriffe der Russen über Südossetien in das georgische Kernland hineinreichen. Bislang scheiterten die internationalen Friedensbemühungen an der Ignoranz des Kremls. In der Nacht zum Montag demonstrierten die Massen in Tiflis für eine friedliche Lösung des Konflikts. Die Bevölkerung hat Angst, ihre Söhne zu verlieren. Die Menschen sehen kaum einen Ausweg aus der Situation; sie befürchten, mühsam errungene Fortschritte auf dem Weg hin zur westlichen Demokratie und Marktwirtschaft wieder zu verlieren.

David gegen Goliath

Trotz der überwiegend kritischen Haltung zum Präsidenten hat derzeit die Verteidigung der Nation Vorrang. Die internationale Gemeinschaft hat begonnen, Tiflis zu verlassen. Das Land ist nur noch auf dem Landweg über Eriwan zu erreichen. Das benachbarte Armenien ist weder politisch noch administrativ auf die Aufnahme von Flüchtlingen in größerem Ausmaß vorbereit.

Es mehren sich Meldungen, wonach die russischen Angriffe auf Abchasien, aber auch auf das Kernland Georgiens zunehmen. Militärisch gesehen kommt der Kampf zwischen Georgien und Russland einer Auseinandersetzung David gegen Goliath gleich – nur ohne die Schleuder. Aus regionaler Perspektive scheint die Lage sehr ernst. Die Krankhäuser in Tiflis sind übervoll mit georgischen Opfern.

Es ist zu befürchten, dass die Regierung von Präsident Medwedew und Premierminister Putin mit militärischen Mitteln den georgischen Präsidenten Saakaschwili stürzen will. Dies bedeutet auch einen Angriff auf die Bemühungen des Westens, Georgien die Möglichkeit zu geben, der NATO und der Europäischen Union beizutreten. Der russische Angriff auf Georgien ist zudem ein Angriff auf die Diversifizierung der Energieversorgung Europas. Weiter steht zu befürchten, dass der Konflikt durch die Beteiligung der Schwarzmeerflotte auf die Ukraine übergreifen könnte. Politisch gesehen ist dieser Krieg nicht mehr nur regional begrenzt. Die aktuellen Entwicklungen erinnern an Befürchtungen aus Zeiten des kalten Krieges.

Armenien sollte sich auf noch mehr Flüchtlinge vorbereiten

Noch tobt der Krieg, und die Debatte über die politischen Konsequenzen ist zu früh. Russland kann nicht mehr als verlässlicher Akteur für Friedensverhandlungen gelten. Die politische Landkarte Europas hat sich verändert. Kritisch überdacht werden muss die Haltung zu einem Russland, das als Aggressor gegen ein nach Demokratie strebendes Land der europäischen Staatengemeinschaft vorgeht. Zur Debatte steht eine angemessene transatlantische Strategie für die Nachbarschaften in Osteuropa. Kurzfristig muss das Ziel sein, Armenien auf die Aufnahme von Flüchtlingsströmen größeren Ausmaßes vorzubereiten.

Iris Kempe leitet das Büro Südlicher Kaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis.

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