Olympia in der Guanabara-Bucht: Sanierungsversprechen verfehlt

Guanabara-Bucht: Nicht nur die Sportlerinnen und Sportler, auch die lokale Bevölkerung ist von der Verunreinigung der Bucht betroffen.
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Guanabara-Bucht: Nicht nur die Sportlerinnen und Sportler, auch die lokale Bevölkerung ist von der Verunreinigung der Bucht betroffen.

Dank kleiner Säuberungsmaßnahmen werden die Olympischen Segelwettbewerbe in der Guanabara-Bucht wohl nicht durch Plastikmüll im Wasser gestört. Warum eine langfristige Sanierung der Bucht aber auch nach Olympia nötig ist, erklärt Emanuel Alencar.


Eine Bucht ist ein in das Land hineinragender Teil von Meeren oder Binnengewässern – so steht es nüchtern im Wörterbuch. Aber Buchten sind viel mehr –  es sind Ökosysteme, die   mit Geschichten und Symbolen beladen sind. Im Fall der Bucht von Guanabara und den 8,4 Millionen Menschen, die um sie herum leben, sind dies Geschichten und Symbole voller Leidenschaft; und voller Hoffnungen, Ängste, Begegnungen, Auseinandersetzungen, Glauben und Verfall. Ganz wie im Gedicht von Fernando Pessoa (unter dem Heteronym Alberto Caeiro) –  „Der Tejo ist schöner als der Fluss meines Dorfes, aber der Tejo ist dennoch nicht schöner als der Fluss meines Dorfes, weil der Tejo nicht der Fluss meines Dorfes ist.“ Die 143 Flüsse, Bäche und Abwasserkanäle, die in die Bucht von Guanabara münden, spiegeln ein wenig von dem wieder, was wir waren, was wir sind, und was wir sein wollen. Von den saubersten Wassern, die durch das Umweltschutzgebiet von Guapimirim fließen, bis zu den vergifteten Kloaken der nördlichen Peripherie Rio de Janeiros – die Guanabara-Region ist ein (noch) lebendiges Wesen, das uns täglich antreibt und herausfordert.

Die Guanabara-Region wurde vor mehr als 8.000 Jahren vom Menschen besiedelt, und sie ist Zeugin der gesamten Geschichte Brasiliens. Als die Portugiesen hier 1502 vor Anker gingen, überwältigte sie der Anblick der Bucht mit ihren klaren Wassern. Heutzutage, angesichts der Verschmutzung, verzaubert immerhin noch die Schönheit der Landschaft den Betrachter. Die Guanabara-Bucht ist und bleibt das internationale Markenzeichen von Rio de Janeiro, sie gehört zum Wesen der Stadt, ist ihre Visitenkarte für alle Besucher und Besucherinnen, die auf dem Landweg, per Schiff oder Flugzeug hier ankommen.

Für das Wohl der Bucht zu sorgen, bedeutet, für unser eigenes Wohl zu sorgen. Wir aber versuchen mit aller Kraft, sie zu zerstören. Und doch hält diese Bucht mit einer überraschenden Widerstandskraft dagegen: 50 Prozent ihrer Wasser erneuern sich innerhalb von nur 12 Tagen. Auch hier können wir uns also glücklich schätzen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Buchten ist die Guanabara-Bucht der Dynamik des offenen Meeres besonders ausgesetzt. Dieses Privileg haben wir allerdings aufs Spiel gesetzt. Auf geradezu kriminelle Weise haben wir die Bucht vor allem in den letzten 40 Jahren vernachlässigt und mit einer Vielzahl von Schadstoffen verseucht.

Bis heute haben wir es nicht geschafft, den selbst verschuldeten Schaden zu beheben. Die größte Plage für das Ökosystem der Bucht sind die häuslichen Abwässer, sie machen etwa 85 Prozent der Verschmutzung aus, gegenüber 15 Prozent industrieller Abwässer.  Das vor 22 Jahren begonnene Sanierungsprojekt für die Guanabara-Bucht endete ohne nennenswerte Erfolge. Das „Programm für die Säuberung der Guanabara-Bucht“ (PDBG) verschlang 1,2 Milliarden US-Dollar, die von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und der staatlichen Japanischen Entwicklungsbank (Japan International Cooperation Agency, Jica) stammten.

Geplant war, dass acht Kläranlagen 11.882 Liter Wasser pro Sekunde behandeln sollten. 20 Jahre später sind es jedoch nur 6.069 Liter Wasser pro Sekunde, und damit nur 51 Prozent der geplanten Kapazität. 2006 wurde das Sanierungsprogramm unter harter Kritik der japanischen Entwicklungsbank, die bis heute anhält, offiziell beendet –  ein Trauerspiel, bei dem die Stadt Rio eine sehr schlechte Figur abgab. Nach Ablauf der Verträge bezeichnete die IDB das Programm als „ineffektiv“, „unbefriedigend“, „wenig relevant” und einen zukünftigen  Erfolg als „wenig wahrscheinlich“.

Bereits im Namen des Projekts –  „Programm für die Säuberung der Guanabara-Bucht“ –   sahen viele Expert/innen einen grundsätzlichen Fehler: Selbst wenn das Projekt innerhalb der gesetzten Fristen in vollem Umfang ausgeführt worden wäre, hätte man so das Ökosystem der Bucht nicht vollständig säubern können. Die Verantwortlichen verkauften der Bevölkerung eine Illusion. Die verheerende Verschmutzung der Bucht kann mit 1,2 Milliarden Dollar nicht beseitigt werden. Heute herrscht die Überzeugung, dass mindestens ein Zehnfaches dieser Summe nötig wäre, um alle ungeklärten Haushalts- und Industrieabwässer von der Bucht fernzuhalten. 2012 wurde ein neues Sanierungsprogramm beschlossen. Neue Fristen, neue Ziele und zusätzliche 640 Millionen US-Dollar. Die Zweifel bleiben.

Es ist in Rio de Janeiro tatsächlich schwer, offiziellen Versprechungen Glauben zu schenken. Teil der offiziellen Kandidatur der Stadt für die Olympischen Spiele im Jahr 2007 war das Versprechen, die Bucht bis zum Beginn der Spiele von Abfall und unbehandelten Abwässern zu säubern. Die Regierung des Bundesstaats Rio de Janeiro und das Internationale Olympische Komitee (IOC) setzten das Ziel fest, 80 Prozent der Abwässer, die in die Bucht fließen, zu klären. Dieses Ziel liegt heute immer noch in weiter Ferne.

Daten des Instituts Trata Brasil zufolge haben sage und schreibe 624.000 Haushalte in Rio de Janeiro keinen Trinkwasseranschluss und 1,61 Millionen sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Die notwendigen Mittel, um Frischwasser- und Abwasserversorgung flächendeckend sicherzustellen, werden auf 27,7 Milliarden Reais geschätzt (das entspricht ca. 6,9 Milliarden Euro basierend auf dem Wechselkurs vom 28.04.2016 von 3,98) . Laut Trata Brasil konnte zwischen 2000 und 2012  im hydrografischen Einzugsgebiet der Guanabara-Bucht das Defizit an Abwasseranschlüssen um 55 Prozent abgebaut werden.

Als wäre der immense Entwicklungsrückstand der Kanalisation für Ver- und Entsorgung von Wasser, der ein beschämendes Licht auf unser Land wirft, nicht problematisch genug, haben die Regierenden zusätzlich einen für die Guanabara-Bucht gefährlichen und wenig nachhaltigen Weg eingeschlagen. Sie bestimmten die Bucht zum zentralen Stützpunkt für die Erdölindustrie, die vor dem Küstenstreifen zwischen den Bundesstaaten Santa Catarina und Espírito Santo 5000 bis 7000 Meter unter dem Meeresspiegel (in der sogenannten Pré-Sal-Schicht) nach Ölfeldern sucht. Seitdem vermehren sich Terminals und Werften, und der Druck steigt, immer größere Gebiete der Bucht zum Ankern von Schiffen freizugeben.

Die Anzahl der ein- und auslaufenden Schiffe ist beeindruckend. 2009 empfing der Hafen von Rio de Janeiro 1.568 Schiffe, 2014 waren es 5.198 –  innerhalb von fünf Jahren hat sich die Menge mehr als verdreifacht. Unter diesem Boom leidet die traditionelle Fischerei in der Bucht am meisten. Sie ist nun auf 12% der Wasserfläche eingeschränkt. Hinzu kommt: Viele Tierarten leiden unter der Ausdehnung der Erdölindustrie. In den 1970er Jahren lebten im zentralen Gebiet der Bucht noch 800 Exemplare des Guyana-Delfins, der auch im Wappen der Stadt verewigt ist. Nach Informationen des Labors für Meeressäugetiere und Bioindikatoren (Maqua) der bundesstaatlichen Universität von Rio de Janeiro (UERJ) sind es heute nur noch 38 Delfine.

Was wünschen wir uns für die Zukunft der Guanabara-Bucht? Werden wir zugunsten des Ausbaus der Erdölindustrie auf den Umweltschutz verzichten? Könnten nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten den Schutz der Bucht gewährleisten? Der Umstand, dass es –  anders als für viele Buchten in den Vereinigten Staaten von Amerika –  keine zentrale Aufsichtsbehörde für die Guanabara-Bucht gibt, führt dazu, dass mögliche politische Initiativen für den Fischerei-Sektor oder den Öko-Tourismus im Ungefähren verbleiben. Der Zivilgesellschaft fehlen meist konkrete Informationen, um Forderungen nach einem langfristigen Sanierungsplan mit Fakten untermauern zu können. Obwohl dies schon mehrfach versprochen wurde, gibt es immer noch keine Website, auf der man den Fortschritt der Projekte und den Einsatz von Finanzmitteln für die Guanabara-Bucht verfolgen könnte.

Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele, bei denen in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden werden, bereitet vor allem der auf dem Wasserspiegel treibende Abfall den Behörden Sorgen. Während das Olympische Komitee versichert, dass die Wasserqualität im Segelrevier (das nah am offenen Meer liegt) in Ordnung sein wird, herrscht bei der Frage des Abfalls Anspannung. Schätzungen des brasilianischen Verbands für Festmüll Abrelpe sind beunruhigend: jeden Tag werden 90 Tonnen Festmüll in das Wasser der Bucht gekippt. Die Instrumente, auf die die Regierung des Bundestaats zur kurzfristigen Linderung der Verschmutzung setzt –  Schwimm-Barrieren und Reinigungsschiffe –  können solche Mengen auf keinen Fall bewältigen.

Wenn es nicht gerade am Vortag der Segelwettbewerbe regnet, werden wohl keine treibenden Plastiktüten die olympischen Regatten stören. Aber wer kann das garantieren? Wir haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht, und ein Debakel vor internationalem Publikum ist nicht ausgeschlossen.

Um die Bucht von Guanabara zu retten, sind dringend langfristige Maßnahmen mit konkreten Zielsetzungen und unter aktiver Teilnahme der Zivilgesellschaft nötig. Es darf keine Zeit mehr vergeudet werden.

Unterdessen kämpft die Bucht ums Überleben. Ihre dunklen Wasser legen von den zerstörerischen Eingriffen des Homo sapiens Zeugnis ab. Sie fließen träge dahin und verbreiten eine stumme Klage: „Sorgt für mein Wohl! Ich bin der Fluss, der durch den Garten hinter eurem Haus fließt!“

 

Die portugiesische Langversion des Textes ist am 23. Juni auch als Buch erschienen. Mehr Informationen und den Link zum brasilianischen Verlag finden sie hier.

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